Jan. 2011

Aufbruch
Rubrik: Nachgefragt

Verfassungsrevision steht an


Nationalrat Andi Gross kämpft mit dem Forum zur Stärkung der Menschenrechte und der Direkten Demokratie FMD für die Ungültigkeit grundrechtswidriger Volksinitiativen

Interview: Wolf Südbeck-Baur

Andi Gross, das Forum zur Stärkung der Menschenrechte und der Direkten Demokratie, kurz FMD, will die Ungültigkeit von eidgenössischen Volksinitiativen, die nicht vereinbar sind mit dem Grund- und Menschenrechten der Bundesverfassung oder mit ratifizierten internationalen Abkommen, erreichen. Warum?

Wir müssen verhindern, dass die Direkte Demokratie diskreditiert wird. Sie verliert ihre Würde, ihre Existenzberechtigung und ihr grosses Zukunftspotenzial, wenn sie verwendet werden kann als Einladung an die Mehrheit, über die Grundrechte von Minderheiten zu befinden. Das wäre die Tyrannei der Mehrheit. Deshalb muss auch das Volk – so steht es in unserer Verfassung – beim Ausüben seiner Macht beispielsweise in Rahmen einer Volksabstimmung lernen, sich an Grenzen zu halten. Ob diese Grenze soweit gefasst wird, wie in Ihrer Frage formuliert, bedarf weiterer Diskussion.

Demnach läuft innerhalb des FMD eine lebhafte Diskussion …

Auf jeden Fall, denn es ist eine delikate Gratwanderung. In meinen Augen soll auch in Zukunft nicht jede Vereinbarung mit der EU ein Grund sein, eine Initiative für ungültig zu erklären. Wenn eine Initiative dem EU-Recht widersprechen sollte, bleibt noch genügend Spielraum für die Exekutive, nach Kompromissen zu suchen. Darum würde ich den Wortlaut vorschlagen: Wenn eine Volksinitiative dem Kerngehalt des schweizerischen Verfassungsrechts und der Europäischen Menschenrechtskonvention widerspricht, geht es um die wesentlichen Grundrechte von Minderheiten, die zu schützen sind. Eine solche Initiative wäre ungültig.

Welche Volksinitiativen der letzten Zeit wären von einer Ungültigkeitserklärung betroffen?

In den letzten zehn Jahren sind sechs Volksinitiativen lanciert worden, die eindeutig Grundrechte verletzen. So wurde beispielsweise bei der Ausschaffungsinitiative so genannt krimineller Ausländer das Gebot der Verhältnismässigkeit, das Diskriminierungsverbot und das Non-refoulment-Gebot verletzt, bei der Minarettverbotsinitiative wurde die Religionsfreiheit und das Diskriminierungsverbot verletzt.

Auf welchem Weg will das FMD die Möglichkeit einer Ungültigkeitserklärung von Volksinitiativen erreichen?

Ich hatte versucht, dass die Ausschaffungsinitiative und die Minarettverbotsinitiative im Nationalrat für ungültig erklärt wird. Damit habe ich zugleich versucht, die Verfassung zu interpretieren und weiterzuentwickeln. In Deutschland ist dafür das Verfassungsgericht zuständig. Das entspricht aber nicht der Schweizer Tradition. In der Schweiz muss man die Verfassung wörtlich ändern, wenn sie in Zukunft anders angewendet werden soll. Deshalb kommen wir um eine Verfassungsänderung nicht herum.

Soll das via Bundesrat oder Volksinitiative umgesetzt werden?

Wenn der Bundesrat nicht die Initiative ergreift, was aber durchaus noch passieren kann, kann das Volk via Volksinitiative den Anstoss zur Verfassungsänderung geben. Gleiches gilt für das Parlament, wobei es hier eher unwahrscheinlich ist, dass es in dieser Sache aktiv wird.

Das heisst, in Ihren Augen wäre es das Beste, wenn der Bundesrat die Sache an die Hand nähme?

Das wäre das Beste, weil sich die Direkte Demokratie selber korrigieren und eine Systemschwäche beseitigen würde. Entsprechende Gespräche mit verschiedenen Bundesrätinnen und Bundesräten laufen bereits. Das lässt mich hoffen.

Stichwort FMD
Das Forum zur Stärkung der Menschenrechte und der Direkten Demokratie FMD ist 2010 aus der Solothurner Landhausversammlung hervorgegangen und als Verein organisiert. Das FMD will erreichen, dass Volksinitiativen , die Grund- und Menschenrechten widersprechen, gar nicht erst zur Abstimmung gelangen können. Das FMD hat derzeit etwa 500 Mitglieder und 25 Mitglieds-Organisationen. Die dritte Landhausversammlung diskutiert über Reformvorschläge und Kommunikationsstrategien. Sie findet am 12. März 2011 in Solothurn statt.

www.landhausversammlung.ch WSB



Kontakt mit Andreas Gross



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