28. Mai 2010

Basler Zeitung

Sorgfältige Bemühungen werden von den Medien oft diskreditiert


BaZ: Herr Gross, am Samstag treffen sich die Gegner des Minarettverbots in Solothurn. Ein Treffen der schlechten Verlierer?

Andreas Gross: Keineswegs. Wir haben ausdrücklich alle eingeladen, die das schlimme Resultat von 29. November 2009 zwar akzeptieren, sich mit diesem Klecks in unserer Verfassung aber nicht abfinden wollen. Einer der genialen Aspekte der Demokratie ist eben, dass alle immer auch auf einmal zustande gekommene Entscheide zurückkommen dürfen und versuchen können, sie zu korrigieren. Demokratie ist nicht mehr und nichts weniger als ein ewiger gemeinsamer Lernprozess und dies ist doch gut so.

Das Ganze tönt nach einer Veranstaltung eines intellektuellen und sozialromantischen Debattierclubs.

Es werden höchstwahrscheinlich mehr als 200 Personen nach Solothurn kommen: Von der älteren pensionierten noblen Basler Diplomatin bis zu jungen Jusstudenten, die sich für das Völkerrecht engagieren. Vom politisch wachen Gärtner, der vor der nationalkonservativen Vorherrschaft über den Stammtischen nicht kapitulieren will, bis zum engagierten Historiker, der nicht einfach im Elfenbeinturm zusehen möchte, wie das Erbe des Humanismus den Bach runter geht. Sie haben nichts dagegen, als Intellektuelle bezeichnet zu werden. Und sie glauben alle, dass wir in der Schweiz viel mehr qualifizierte, nicht-arenisierte Diskussionen gebrauchen. Wenn Sie uns als Sozialromantiker qualifizieren, disqualifiziert dies eher Sie als die Teilnehmenden der Solothurner Landhausversammlung.

Werden auch islamische Exponenten oder gar Mitglieder des umstrittenen Islamischen Zentralrats mit von der Partie sein?

Es wurde keine Gruppe explizit eingeladen. Individuell sind alle eingeladen, die in der Schweiz in Sachen Stärkung der Menschenrechte und der Direkten Demokratie einen Reformbedarf erkennen. Wer alles kommen wird, wissen wir jetzt noch nicht.

Braucht es diese Versammlung überhaupt? Die Empörung über das Minarettverbot hat sich weitgehend gelegt. Und es gab weder Boykotte arabischer Länder, noch grosse Demonstrationen. Weshalb wieder Staub aufwühlen?

Wer den Dreck vor der eigenen Türe reinigen will, der wühlt ihn nicht auf, sondern beseitigt ihn. Das ist die vornehmste Pflicht von demokratischen Patrioten, welche wissen, dass die Würde der Demokratie verletzt wird, wenn sie gegen die Grund- und Menschenrechte einer Minderheit ausgespielt wird und diese diskriminierend behandelt. Ich gehörte nicht zu jenen, welche solche von Ihnen erinnerte Voraussagungen machten. Es genügte aber, in den letzten Monaten in der Welt herumzukommen und aufmerksam zuzuhören, um zu merken, dass das Abstimmungsergebnis vom 29. November 2009 nicht nur die Schweiz belastet, sondern vor allem die Direkte Demokratie diskreditiert hat.

Die Direkte Demokratie wurde diskreditiert? Inwiefern?

Indem nun alle, die dagegen sind, Bürgerinnen und Bürger direktdemokratisch in die Verfassungsgebung und Gesetzesarbeit mit einzubeziehen, mit dem Minarettergebnis gegen die Direkte Demokratie an sich argumentieren. Dabei geht es nur darum, dass die Schweiz bisher die Schnittstelle zwischen Menschenrechten und Direkter Demokratie unzureichend ausgestaltet hat. Dies müssen wir ändern! Wir machen letztlich die Direkte Demokratie kaputt, wenn wir länger Volksabstimmungen zulassen, deren Ergebnis nicht umgesetzt werden kann.

Ihr Ziel ist im Endeffekt eine Einschränkung der Direkten Demokratie – im Namen der Menschenrechte.

Keinesfalls. Hier geht es eben nicht um ein Nullsummenspiel. Menschenrechte und Demokratie sind untrennbar miteinander verknüpft. Wer diese Verbindung aufknüpft und sogar beide gegeneinander ausspielt zerstört letztlich beide. Es gilt, beide zu stärken, ohne einen zu schwächen. Dies ist die politische und verfassungsrechtliche Kunst, der wir in Zukunft besser nachleben müssen als bisher. Das hat schon Tocqueville erkannt ...

Sie warnen, um es mit Tocqueville zu halten, vor einer «Tyrannei der Mehrheit»?

Genau. Tocqueville erkannte, dass die Direkte Demokratie mehr ist als die Mehrheitsregel und ein Zählrahmen. Wenn die Mehrheit über die Grundrechte einer Minderheit entscheidet, dann haben wir es tatsächlich mit der Tyrannei der Mehrheit zu tun und nicht mit einer Demokratie. Das ist in einer Zeit, in der mit Volksinitiativen viel mehr auf den Mann gespielt wird statt auf den Ball sehr gefährlich. Deshalb müssen wir zur Stärkung der Direkten Demokratie deren Achtung der Menschenrechte besser garantieren.

Inwiefern wollen Sie selber die Volksrechte für Ihre Ziele nutzen. Ist eine Volksinitiative gegen das Minarettverbot noch ein Thema?

Das Minarettbauverbot wird in Strassburg vom Europäischen Menschenrechts-Gerichtshof aufgehoben werden, weil es die Religionsfreiheit verletzt. Da müssen wir weiter gar nichts tun. Wir konzentrieren uns deshalb auf die demokratisch und menschenrechtlich besser auszugestaltende Schnittstelle zwischen der Direkten Demokratie und den Grund- und Menschenrechten und überlegen uns in diesem Zusammenhang die Lancierung einer Volksinitiative. Doch dies muss sorgsam reflektiert und diskutiert werden und da lassen wir uns von niemanden drängen.

Das in einen Initiativtext zu giessen, tönt ziemlich kompliziert. Oder haben Sie schon einen Textentwurf? Oder zumindest eine etwas konkretere Formulierung?

In unserem neuen Buch «Von der Provokation zum Irrtum», das vergangene Woche erschien, kommen vor allem im letzten Kapitel verschiedene Formulieren zur Sprache und da wird noch einiges nachzudenken und zu diskutieren sein.

Zum Abschluss der Tagung wird eine «Solothurner Erklärung» präsentiert. Wird diese nicht einfach ein Papiertiger bleiben, der in einer Schublade verstaubt?

Zur Diskussion zu stellen, was man denkt, und zu begründen, weshalb man dies so sieht, ist nichts anderes als eine demokratische Selbstverständlichkeit. Viele werden dies als Ermutigung sehen und für andere ist es ein Anlass zum Weiterdenken. So können wir von einander lernen und lernen uns zu verstehen, selbst wenn wir nicht alle Positionen teilen. Sie können solche sorgfältigen Bemühungen immer diskreditieren, wenn Sie anderer Meinung sind, das stört uns freilich nicht weiter. Leiden wird darunter höchstens die Schweiz. Wir werden aber so weitermachen: Eine zweite Solothurner Landhausversammlung am 9. Oktober ist bereits geplant und der Saal wiederum reserviert.


Kontakt mit Andreas Gross



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