22.01.2003

Weltwoche
Nr. 3/03



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Von der Politik gezeichnet


Nationalrat Andreas Gross stellt seine
Sitzungsprotokolle im Neuhof in Bachs aus.

Bild: Dorothea Müller, Keystone

Von Peter Bodenmann

Funktionierende Konzepte mittlerer Reichweite machen gute Politik aus. Somit Versuche, in halbwegs überblickbaren Feldern zukunftsgerichtet Weichen zu stellen, kommende Entwicklungen im dreifachen Wortsinn aufzuheben.

Lebendige Politik ist Knatsch, Tratsch, Unterzug, Kampf der Personen, Interessen und Klassen, alles - wenn notwendig - mit einem Heiligenschein versehen. Das eine geht ohne das andere aber auf Dauer nicht gut.

Politik gerinnt in Kommissionssitzungen mal zu rechtlicher Regulierung und mal zu reinem Zeitverlust. Die Konkordanz legt den Schleier des Geheimen und Geheimnisvollen über die meist langweiligen Beratungen hinter verschlossenen Türen. Wer nicht einschläft oder Zeitung liest, malt wie Andreas Gross, was er noch wahrnimmt.

Andreas Gross hat schweizerisch zweimal politisch Weichen gestellt. Dies können nur wenige von sich behaupten.

Die Gruppe Schweiz ohne Armee brach ein Tabu. Eine Million Schweizerinnen und Schweizer wollten die heilige Kuh «Militär» vom Sockel haben und stimmten deshalb für ihre Abschaffung. Niemand hatte das erwartet, und der befreiende politische Schock sass tief.

Heute hat sich Andreas Gross von dieser seiner antimilitaristischen Geschichte verabschiedet. Vielleicht ist deshalb Samuel Schmid Andreas Gross' liebster Bundesrat, ihm schenkte der einstige Armeeabschaffer zwei seiner Bilder unter dem Vorbehalt, dass er diese für eine allfällige Weltausstellung wieder herausrücken müsse. Etwas verrückt, diese Welt. Andreas Gross war ein Gegner des EWR. Er hat zusammen mit Hans-Peter Thür, Verena Diener und Rosmarie Bär erfolgreich eine Volksmehrheit für den EWR verhindert.

Damals sprachen die rot-grünen EWR-Gegner von einem demokratischen, sozialen, ökologischen und eigenständigen Alleingang der Schweiz.

Die meisten von ihnen mögen nicht an ihr historisch mitentscheidendes Nein erinnert werden. Anders Andreas Gross, er erklärt noch heute, warum aus demokratiepolitischen Überlegungen der EWR eine Fehlkonstruktion war. Präzis und präzis daneben.

Andreas Gross versucht seine Politik begrifflich trennscharf auf den Punkt zu bringen. Etwas zu scharf, zu trennend, zu statisch, genauso wie seine geometrischen Formen. Gross erklärt national und international allen geduldig, dass die immer komplexer werdenden Gesellschaften der Zukunft Demokratie brauchen wie Fische frisches Wasser zum Überleben. Etwas farblos, wie seine ausgemalten Flächen.

Andreas Gross ist ein Verletzlicher, ein Wanderer zwischen Welten, der sich aus Zürich in den Jura zurückgezogen hat, der als zurzeit einziger ernst zu nehmender Schweizer Aussenpolitiker von einem Schauplatz der Weltgeschichte zum andern eilt.

Spiegeln seine statischen Bilder den Verlauf von Sitzungen? Ist wirklich immer alles so klar ein-, aus- und abgegrenzt? Bleiben alle Farben so fahl, wie uns Andreas Gross berichtet? Oder spiegelt sich in den gezeichneten Notizen die Person Andreas Gross, der zweimal politisch mehr bewegt hat, als ihm, im Rückspiegel betrachtet, heute lieb sein kann?

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