28.11.2002

Aargauer Zeitung
Mittelland Zeitung
Seite 3
Rubrik: "Thema"
"Nachgefragt"

«Die Stimmenzähler
nicht durch Maschinen ersetzen»


Andreas Gross, Zürcher SP-Nationalrat, Politikwissenschafter und Wahlbeobachter des Europarates und der OSZE.
Er war in 22 Ländern - darunter die USA und Frankreich - als Wahlbeobachter unterwegs. Andreas Gross sieht die Demokratie in der Schweiz durch die verschiedenen Auszählprozedere nicht gefährdet.

Claudia Blangetti

Herr Gross, nach dem Wahlskandal in Florida hat man in den USA herausgefunden, dass jeder Bundesstaat sein eigenes Zählverfahren hat. Herrschen bei uns Zustände wie in Amerika?

Andreas Gross: Man kann die Situation in der Schweiz mit jener in den USA überhaupt nicht vergleichen. Das sind zwei ganz verschiedene Dimensionen.

Warum?

Gross: In den USA hatte das Wahlprozedere eindeutig manipulative Aspekte. Ausserdem gibt es dort weder Bundes- noch Staatsgesetze, die das Wahlprozedere vorschreiben und somit dafür sorgen, dass jeder Bezirk korrekt auszählt. Schliesslich wurde in Florida mit den Lochkarten eine alte und schlechte Technik benützt. Stellen Sie sich vor, Fehlerquoten von zwei bis drei Prozent werden dort in Kauf genommen.

Sind in der Schweiz solche Manipulationen nicht auch möglich? Schliesslich zählen Laien die Stimmzettel aus.

Gross: Man muss zwischen Irrtum und Betrugsversuch unterscheiden. Irrtümer sind immer möglich, vor allem bei der Übermittlung der Ergebnisse. Deshalb sollten sie per Fax oder E-Mail übermittelt werden. Manipulationsversuche sind zwar nie ganz auszuschliessen, aber unwahrscheinlich, weil in der Schweiz so viele Menschen am Prozedere beteiligt sind.

Aber Maschinen sind doch zuverlässiger als Stimmenzähler. Immerhin wird so die Möglichkeit von menschlichem Versagen ausgeschlossen.

Gross: Stimmenzähler sollten meiner Meinung nach nicht durch Maschinen ersetzt werden, wohl aber ergänzt. Banknotenzählmaschinen oder Waagen sollen für die Kontrolle der Resultate von Hand genützt werden.

Also kein Skandal, sondern eine etwas aufgebauschte Geschichte?

Gross: Weder noch. Es handelt sich hier um eine Unterlassung einiger Behörden. Sie haben aber lediglich den Fehler begangen, zu vergessen, eine Bewilligung einzuholen. Betrügerische Absichten stehen sicher keine dahinter.

Trotzdem, diese Unterlassung und der Umgang mit Stimmzetteln befremden.

Gross: Ich war auch überrascht, vor allem über das Wägen der Stimmzettel in Bern. Aber die Berner Behörden konnten beweisen, dass auch mit ihrem System sehr korrekt gezählt werden kann. Doch: in einer Demokratie werden Stimmen gezählt, nicht gewichtet.

Die Grundprinzipien unserer Demokratie sind also mit dem Beizug verschiedener Zähltechniken nicht tangiert?

Gross: Wichtig ist in einer Demokratie, dass jede Stimme zählt. Der Bund wird nun alle technischen Möglichkeiten überprüfen und die entsprechenden Bewilligungen erteilen oder nicht. Wir haben bedrohlichere Probleme in unserer direkten Demokratie, mit denen wir uns auseinander setzen müssen.

Wäre es sinnvoll, das Auszählprozedere zu vereinheitlichen?

Gross: Nein, wenn der Bund den Rahmen vorgibt und besser kontrolliert.

Die Schweiz braucht also keine Wahlbeobachter?

Gross: Es ist immer sinnvoll, alle zur Beobachtung einzuladen. Auch wenn die Zürcher nun die Berner besuchen würden. So kann jeder dem anderen zeigen, wie und dass er ebenfalls richtig auszählt. Auch wenn er das Ziel auf eine andere Weise erreicht.

Und dieses Ziel wäre?

Gross: Dass jede Stimme zählt. Und dass es nicht - so wie in Florida - heisst, dass eine Fehlerquote von zwei bis drei Prozent normal ist.

Andreas Gross

 

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