15.9.2018

BaZ

Viele kritisieren, doch nur wenige opponieren


Im Schwarzwald vor den Wahlen

Ob in den norddeutschen Hansestädten (BaZ vom 4.9.2017) oder im Südschwarzwald: Wer sich an den Markt- oder Kirchplätzen zu deu­tschen Bürgerinnen und Bürgern an den Kaffeetisch setzt und fragt, was sie im Hinblick auf die Wahlen vom kommenden Sonntag am meisten beschäftigt, bekommt überall ganz Ähnliches zu hören: Wenig Zufriedenheit und noch weniger Zuversicht, mit dem Kreuz auf dem Wahlzettel etwas verändern oder gar verbessern zu können. Eine eigenartige Lethargie prägt diesen deutschen politischen Früh­herbst, in dem viele wieder Merkel wählen. Aber ebenso viele er­war­ten kaum Besserung.

Von Andreas Gross

Einer der schönsten Wege von Basel in den Südschwarzwald führt durch das Wiesental. Die alte Industriestadt Zell bietet mit den Tischchen vor dem Café Argu an der schmucken Schopfheimerstrasse eine erste gute Gelegenheit, um beim Bier zum Feierabend ins Gespräch zu kommen. Jürg, ein strammer 50er mit einem eigenen kleinen Betrieb im Maschi­nen­bau­be­reich, sagt sofort: «Selbstverständlich gehe ich am Sonntag wählen. Denn wenn einer nicht hingeht, verwirkt er sein Recht, nachher zu meckern. Dieses Recht will ich mir nicht nehmen lassen.» Und Jürg sagt auch gleich ungefragt, wo er sein Kreuz machen wird am kom­men­den Sonntag: «Wie immer bei der FDP. Als Selbständigerwerbender fühle ich mich von ihnen am besten vertreten. Sie passen meiner Meinung nach am besten auf, dass mit unseren Steuergeldern sorgfältig umge­gan­gen wird. Heute hat der Staat zu viel Geld und gibt es schlecht aus. Denn ich gebe zu, die Rentner und die Arbeitslosen bekommen zu wenig, das ist schon brutal.»

«Erwarte wenig, gehe aber doch wählen»

Massimo kann seine italienische Herkunft nicht verbergen. Er kam 1980 aus Kalabrien ins Wiesental und fand Arbeit in einer Giesserei. Heute arbeitet er in einem Transportunternehmen, bekam 1990 die deutsche Staatsbürgerschaft und findet: «Die Merkel macht einige Sachen gut, deshalb wähle ich sie wieder. Zwar finde ich, dass wir zu schlecht bezahlt werden, doch dafür ist nicht die CDU zuständig.» Hansi, Endvierziger, ursprünglich Automechaniker, meint: «Ich erwarte zwar keine Besserung, doch ich gehe wählen. Im Unterschied zu meinen Freunden anders als vor vier oder acht Jahren. Früher wählte ich SPD, dann die CDU, doch beide überzeugen mich nicht. So mache ich wohl diesmal bei der FDP mein Kreuz, obwohl ich auch denen nicht zutraue, dass sie etwas von ihren Versprechen auch halten werden. Merkel redet mir zu viel um den Brei herum. Schulz kenne ich zu wenig als dass ich ihm vertrauen kann.»

Etwas weiter zum Schwarzwald hin, im oberen Wiesental, liegt das Städt­chen Schönau, berühmt für seine ökologischen Pioniertaten und als Hei­matgemeinde von Fussballtrainer Jogi Löw. Vor der Bäckerei sitzen zwei Bäckersfrauen und machen Pause, genauer eine Rauchpause. Olga sagt dennoch schnell: «Ich mag die Bundeskanzlerin überhaupt nicht, doch sie wird uns wohl erhalten bleiben. Deshalb weiss ich auch nicht, ob es sich wirklich lohnt, wählen zu gehen. Ich sehe keine erfolgversprechende Alternative.» Ursula, ihre Kollegin, teilt Olgas Unmut über die Merkel, geht deshalb aber umso sicherer wählen. Sie sagt: «Ich weiss zwar noch nicht wen. Der Martin Schulz sagt zwar viel Richtiges und die Reform­vor­schlä­ge der SPD überzeugen mich und würden mir persönlich auch ei­ni­ges helfen. Doch ich finde den Mann wenig sympathisch, ich kann ihm nicht vertrauen.» Olga: «Ich habe fünf Kinder und muss mich anstrengen, durchzukommen. Vielleicht sollte ich die Linken wählen, denen traue ich am ehesten zu, die Situation der kleinen Leute wirklich verbessern zu wollen. Oder eher die Grünen. Ich weiss es wirklich noch nicht, lasse mich überraschen ...»

In Todtnau: Grüne und ...

Noch weiter oben im Wiesental, genau zwischen dem Feldberg und dem Belchen, liegt Todtnau, ein richtiger Kurort. Doch in der alten Sonne am Marktplatz sitzen die Menschen am regnerischen Sonntagnachmittag und geben gerne Auskunft. Sie sei ein grosser Fan des baden-württem­ber­gi­schen Ministerpräsidenten Kretschmann, sagt Helen. «Das ist noch ein richtiger gradliniger Politiker, manchmal zwar etwas kauzig, aber klug und weise. Deshalb gebe ich auch für den neuen Bundestag den Grünen mei­ne Stimme» sagt sie. Ihr Gatte Heiner, ein Lehrer, nickt, meint dann aber: «Ich hoffe sogar, dass die Grünen nach der Wahl wie hier im Land mit der CDU koalieren werden, im Unterschied zum Land im Bund leider als Ju­ni­or­partner. Wenn möglich ohne die FDP. Sollte dies aber nicht reichen für die Mehrheit im Bundestag, dann bin ich sogar für eine Jamaica-Ko­alition, der Berliner Premiere einer Dreier-, beziehungsweise genauer Vierer-Koalition: CDU, CSU, Grüne und FDP, das wäre auf alle Fälle für Deutschland und die Demokratie besser als eine erneute Grosse Koali­tion zwischen der Union (CDU und CSU) und der SPD. Letzterer tut wohl die Opposition mal wieder ganz gut.»

... in Todtmoos: Merkel, zusammen?

Etwas weiter südöstlich, am Oberlauf der Wehra, liegt in einem schönen Hochtal Todtmoos, ein kleinerer aber umso schmuckerer Kurort. Dort treffe ich vor dem Bistro-Café Maier Jürg und Barbara, die hier zur Er­holung sind und schon gewählt haben. Barbara, die eine Sprachschule leitet, meint eindeutig: «Die Frau Merkel hat es doch gut gemacht. Des­halb gab ich ihr wieder meine Stimme. Eine bessere Alternative fehlt für mich. Der Schulz ist für mich ein absolutes No-Go. Weder politisch noch als Typ kann mich der überzeugen. Von Helmut Schmidt war ich damals total begeistert, doch Schulz kommt niemals an ihn heran.» Ihr Bruder, Jürg, ein Architekt, ist differenziert: «Die grosse Koalition der CDU und der SPD tat Deutschland gut, war aber für die SPD ausgesprochen schlecht. Der kleinere Partner hat es in der heutigen Medienwelt, die immer die Chefs in den Vordergrund stellt, immer viel schwerer.» Jürg scheint sich aber nicht sicher, wie er am klügsten wählen soll. «Mir fehlt der breite Wille zum Aufbruch. Wir sollten wirklich einiges besser ma­chen, beispielsweise bessere Renten, eine solidarischere Europapolitik, eine bessere Pflege. Doch ich sehe nicht, wer das übernimmt. Mir wäre eine offenere Demokratie wie Ihr sie in der Schweiz habt viel lieber: Da kann man sich viel konkreter äussern, Aufträge geben, alte Weichen neu stellen. Hier hab ich den Eindruck, nur die Wahl zwischen Pest und Cholera zu haben.»

Westlich von Todtmoos, die Fahrt durchquert wunderschöne Hochmoore und tiefe Wälder, erreichen wir St. Blasien, eines der Zentren im Süd­schwar­zwald. Mit Blick auf den beeindruckenden Dom aus dem 18. Jahr­hundert sitzt Georg im Strassencafé und geniesst am Samstagmorgen die Sonne. «Jeder mäkelt vor sich hin, hat aber keine wirkliche Alter­na­ti­ve zur Verfügung. Wirklich schlimm ist dies, weil davon die AfD profitieren wird, ohne dass diese wirklich eine echte Alternative werden wird. Mir feh­len Leute wie der eben verstorbene Heiner Geissler, der hier in St. Bla­sien studiert hat. Er stand für eine viel sozialere CDU, welche die Nöte der vielen kleinen Leute viel ernster nahm als die heutige Merkel-CDU. Sie kommt mir vor wie ein Stück Seife: Nicht wirklich fassbar. Sie bezieht zu wenig Stellung, sagt zu wenig im Voraus, was sie sich wirklich vor­nimmt. Das gefällt mir gar nicht und deshalb suche ich bis am Sonntag noch meine kleine Alternative.»

«Martin Schulz ist zu sehr Kumpel, zu wenig kompetent»

Ein wenig weiter auswärts an Haupstrasse St. Blasiens liegt das Eiscafé Venezia. Dort sitzen Alfred und Getrud, beide zur Kur im Schwarzwald. Alfred sagt, er hätte brieflich bereits Merkel seine Stimme gegeben. «Über die Jahre ist sie mir sehr sympathisch geworden. Bin zwar nicht mit allem einverstanden, was sie tut. Solange in Deutschland so viele Menschen noch auf Suppenküchen angewiesen sind, können wir nicht so viele Flüchtlinge aufnehmen wie dies vor zwei Jahren geschah. Doch sehe ich niemanden, der es besser machen kann. Doch gibt es wirklich noch viel zu viel Armut und ich wünsche mir, dass dagegen mehr ge­macht wird.» Gertrud ist nicht so glücklich mit der Bundeskanzlerin: «Sie tritt zwar unglaublich souverän auf. Doch sagt sie mir zu wenig, was sie wirklich will und kämpft zu wenig gegen die Armut, für höhere Renten, bessere Löhne. Auf der anderen Seite fehlt mir bei Schulz alles, was einen guten Politiker ausmacht. Er gibt sich viel zu kumpelhaft. Er ist mir zu wenig kompetent.»

Von St. Blasien führt das Albtal am schnellsten wieder runter an den Rhein. Manchmal ist das Tal tief, eng und dunkel, plötzlich lichtet es sich aber wieder und man kommt an Dörfern vorbei, in denen oft ein Gast­haus Adler zum Umtrunk einlädt. Und die Wirte kennen die Stimmung am Stammtisch bestens. «Im Schwarzwald sind viele mit der Bundes­kanz­le­rin sehr zufrieden und geben ihr wieder ihre Stimme. Zwar murren sie immer wieder, doch können sie keine bessere Alternative erkennen. Dem Schulz fehlt es an Charisma und Ausstrahlung, die Merkel scheint die Diplomatie beinah erfunden zu haben und weckt viel Vertrauen. Mir ist sie oft zu schwammig, kalkuliert mehr als dass sie wirklich sagt, was sie will. Ich möchte vor allem eine grosszügigere Rentenpolitik, sonst werden wir es bald mit einer enormen Altersarmut zu tun haben. Da schien mir die Frau Merkel kürzlich am Fernsehen doch sehr hilflos. Da müsste ein Ruck durchs Volk gehen und die Regierung sollte sich dies zur Haupt­aufgabe machen.»

Wie an der deutschen Ost- und Nordsee fällt auch im Südschwarzwald auf, wie sehr sich die Wahldebatten auf die beiden grossen Parteien, be­ziehungsweise deren beiden Spitzenleute konzentrieren, und wie viel bes­ser da trotz allem die Bundeskanzlerin abschneidet als ihr Heraus­for­derer. Zweitens kritisieren sehr viele Menschen konkrete politische De­fi­zite, verknüpfen diese aber selten mit der Wahl einer Partei, von der sie sich die Behebung dieser Defizite erhoffen. Die Wahl erscheint somit ausgesprochen personenfixiert und gleichzeitig entpolitisiert. Von Wech­sel­stimmung ist trotz umfassender und vielfacher Kritik jedenfalls wenig zu spüren.


Kontakt mit Andreas Gross



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