16. Sept. 2017
BaZ
|
Widersetzt Euch dem Diktat der FDP!
Mit Laura Sadis (FDP, TI) wäre die Rechtsaussen-Mehrheit im Bundesrat zu verhindern
Vor Bundesratswahlen gleicht das Bundeshaus eher einem Bienenhaus. Nichts treibt die 246 Mitglieder der Vereinigten Bundesversammlung so um wie die Wahl eines neuen Mitglieds in den Bundesrat. Wo und wann immer mindestens zwei von ihnen zusammenstehen, kommt das Gespräch auf die kommende Wahl in die Regierung.
Die Kandidierenden werden von allen Seiten befragt, gewogen, politisch abgeklopft: Kann sie dies wirklich? Hat er das Format? Wäre die aus der anderen, lange im Bundesrat nicht mehr vertretenen Landesgegend nicht die Bessere? War er bisher nicht immer sehr einseitig, wenig kompromissbereit? Passt sie ins Kollegium? Muss es wirklich einer von dieser Partei sein?
Fragen über Fragen. Je näher der Wahltag kommt, umso heftiger werden diese Fragen diskutiert. Kaum einer kommt zur Ruhe. Zu viel steht auf dem Spiel. Zu unsicher sind die Beurteilungen. Nur ganz wenige sind sich bereits vor dem ersten Wahlgang absolut sicher.
Umso erstaunlicher war diesmal das allgemeine Einvernehmen, mit dem bisher zumindest öffentlich die Vakanz von Didier Burkhalter, einem ausgesprochenen Brückenbauer und Integrator, diskutiert worden ist. Obwohl die FDP-Fraktion nur drei Sitze mehr hat in der Bundesversammlung als die CVP, wird der von ihr geltend gemachte Anspruch auf zwei der sieben Bundesratssitze nicht in Frage gestellt.
Anerkannt wird, dass das Tessin seit 1999 nicht mehr im Bundesrat vertreten ist und gemäss Verfassung und ungeschriebener Kultur wieder einen Sitz für sich beanspruchen darf. Heisst es doch im Absatz vier von Artikel 175 der Bundesverfassung, dass bei der Wahl des Bundesrates «auf eine angemessene Vertretung der Landesgegenden und Sprachregionen» Rücksicht zu nehmen sei. Im französischen und italienischen Wortlaut heisst es sogar, Landesgegenden und Sprachregionen müssten «ausgeglichen» beziehungsweise «gleichermassen» vertreten sein.
Ebenso sind sich die meisten bewusst, dass die Romands derzeit mit drei von sieben Bundesräten absolut (allerdings völlig atypisch) übervertreten sind. Dies war die Folge eines Zufalls anlässlich der Bundesrats-Ersatzwahl von 2015, als Guy Parmelin (SVP) dem Vielen allzu weit rechts aussen politisierenden Blocherzögling Thomas Aeschi vorgezogen wurde, obwohl - und nicht weil - Parmelin ein Waadtländer ist.
Daraus folgt, dass das aktuelle Dreierticket mit zwei Welschen und einem Tessiner, das die FDP auf den Schild hob, die von der Bundesversammlung seit über 20 Jahren postulierte Auswahlmöglichkeit nur vortäuscht und real gar nicht bietet.
Die FDP will also der Bundesversammlung Ignazio Cassis gleichsam aufdrängen. Sehr zur Freude nur der SVP, die dies am vergangenen Dienstagabend unüblich früh und sehr laut zum Ausdruck gebracht hat. Und der Kampagne folgend, welche die neu ausgerichtete NZZ-Redaktion im Einvernehmen mit dem Präsidenten des Schweizerischen Arbeitgeber-Verbandes über den ganzen Sommer hinweg orchestriert hatte: Es muss Cassis sein, denn nur er garantiert «u n s endlich einen klar bürgerlichen Bundesrat» -- mit einer absoluten Mehrheit für den notabene weder in der Schweiz noch in der Bundesversammlung majoritären rechten Flügel von SVP und FDP.
Wäre dies nicht eine umfassendere Debatte wert? Sind sich wirklich so viele im Bundeshaus dieser Taktik und deren Motivation bewusst? Wissen sie um die historische Tragweite einer solchen Machtverschiebung im Bundesrat?
Denn seit 1848 hat sich die Bundesversammlung immer bemüht, alle in ihr vertretenen politischen Identitäten in der Landesregierung abzubilden. So schrieb die NZZ nach der ersten Bundesratswahl von 1848 ganz befriedigt, dass alle Landesgegenden, beide Konfessionen und alle «verschiedenen Nuancen der Fortschrittspartei, die langsam Vorangehenden wie die Sturmschrittigen», vertreten seien.
Seit 1959 realisierte sich dieses Konzept in Form der Zauberformel mit drei Rechten, zwei der Mitte und zwei Linken, was erst 2003 erstmals parteipolitisch modifiziert wurde, als der zweite SVPler Christoph Blocher die zweite CVP-Bundesrätin Ruth Metzler ersetzte. Doch wurde mit den zentrischen Pascal Couchepin (FDP) und Samuel Schmid (SVP/BDP), denen die ebenso flügelübergreifenden Didier Burkhalter und Eveline Widmer-Schlumpf (SVP/BDP) nachfolgten, auch mit und nach Blocher die Idee der konkordanten Regierungspraxis mit wechselnden Mehrheiten aufrechterhalten.
Soll sich dies nun mit dem sich je länger, desto weiter rechts aussen und kompromisslos positionierenden Cassis wirklich ändern? Soll von der historisch gewachsenen und bewährten Konkordanzregierung tatsächlich Abschied genommen werden?
Ich persönlich glaube es nicht. Deshalb rufe ich die Vereinigte Bundesversammlung auf, sich diesem Diktat der FDP zu widersetzen und lege ihr die Wahl der ehemaligen Tessiner FDP-National- und Regierungsrätin Laura Sadis (56) aus Bellinzona ans Herz. In unser aller Interesse. Laura Sadis ist eine umsichtige, dem Gemeinwohl verpflichtete freisinnige Wirtschafts- und Finanzpolitikerin, welche verfassungsgemäss die italienische Schweiz wieder in den Bundesrat brächte und gleichzeitig die Untervertretung der Frauen in der Regierung korrigieren würde.
Ebenso garantiert Laura Sadis wie vor ihr Eveline Widmer-Schlumpf, dass keine politische Tendenz im Bundesrat die absolute Mehrheit bekommt, und dass auch dort wie meist seit 1848 nach dem richtigen Mass und dem, was in unser aller Interesse wäre, gestrebt würde.
Andi Gross ist Politikwissenschaftler. Er war von 1991 bis
2015 Nationalrat (SP, ZH) und wählte als Mitglied
der Ver- einigten Bundesversammlung in dieser Zeit 16 Bundesräte.
Kontakt mit Andreas Gross
Nach oben
|