Datum
Publik-Forum
Berlin
|
Wenn die Politik käuflich wird
über die Demokratie in seinem Land und in Europa. Fragen an den Schweizer Politikwissenschaftler Andreas Gross. Interview: Bettina Röder.
Publik-Forum: Herr Gross, seit 40 Jahren beschäftigen Sie sich mit direkter Demokratie. Warum?
Andreas Gross: Ich bin davon überzeugt, dass sie den Menschen die Macht verschafft, die sie brauchen, um zusammen eine vernünftige Ordnung und Gesellschaft aufzubauen. Ganz abgesehen davon, dass Freiheit heißt, mitwirken zu können bei der Gestaltung der eigenen Welt.
Was anderen wiederum Freiheiten nehmen kann, wie das etwa die Schweizer Abstimmung über das Minarettverbot gezeigt hat.
Einiges ist da in der Schweiz schlecht. Ich gehöre zu denen, die das seit Jahrzehnten verbessern möchten. Ein Konstruktionsfehler ist, dass die Schweiz kein Verfassungsgericht auf Bundesebene hat. Bei der direkten Demokratie gibt es keinen Schutz der Menschenrechte. Deswegen gibt es in der Schweiz Volksabstimmungen gegen Ausländer. Sie müssen nicht wie in Deutschland vorher durch die Verfassung angenommen werden.
Was wollen Sie tun?
Das Problem sind die Nationalkonservativen, die Volksbegehren unterstützen. Unser Versuch, im Parlament Mehrheiten für ein Verfahren wie in Deutschland zu finden, ist nicht durchgekommen.
Was steckt dahinter?
Das Geld spielt eine viel zu große Rolle. Die Schweiz ist das einzige Land in Europa, das kein Gesetz hat, das die Rolle des Geldes in der Politik definiert. Auch Volksbegehren dürfen nicht käuflich sein.
Gibt es eine Chance zur Veränderung?
In den USA können Sie gerade sehen, wie das korrupte, vom Geld völlig verseuchte Wahlverfahren endlich ein großes Thema in Wahlkampf wird. Das zeigt: Wenn das Problem groß wird, können auch Staaten nicht mehr zurück bleiben.
Was muss in Europa passieren?
Europa kann nur stärker werden, wenn es demokratischer wird. Die Menschen werden nicht bereit sein, mehr Souveränität an Europa zu delegieren, wenn das auf Kosten ihrer Demokratie geht.
Was stellen Sie sich vor?
Es muss endlich auf die Idee zurückgekommen werden, dass Europa bundesstaatlich organisiert wird auf der Basis einer föderalistischen Verfassung. Die EU muss eine Republik werden. Wo es dann auch die Kompetenz gibt, Wirtschaftsgesetze zu machen, die den Markt zwingen, auf die Menschen und die Natur Rücksicht zu nehmen. Das kann heute kein einzelner Staat mehr. Gleichzeitig ist einer der Gründe für den neuen Nationalismus die Machtlosigkeit, die die Menschen empfinden. Sie haben den Eindruck, sie können das Wesentliche nicht bewegen.
Welche Rolle könnte da der Protest gegen das Freihandelsabkommen spielen?
Das Abkommen will die Demokratie weiter zurückschrauben und Investoren schützen. Das ist ein sehr schönes Thema, an dem man zeigen kann, dass man nein sagen muss und damit die Demokratie nicht einschränkt, sondern ausbaut.
Wo ist das grundsätzliche Problem?
Die großen Krisen der letzten zehn Jahre sind alles Krisen auf Gebieten, in denen die EU zu wenige Kompetenzen hat. Es geht um die Finanzkrise, die sozialpolitische Krise, die Flüchtlingskrise, bei der die Staaten alleine gar nichts zu sagen haben. Aber die EU auch nicht.
Woran liegt das?
An der Organisation. Wir haben nur eine Vertragsstruktur. Andererseits ist die Kompetenz für die Gestaltung der Grenzen national geblieben. Deshalb braucht die EU die Kompetenz, die Flüchtlingsfrage gemeinsam anzugehen. Die bekommt sie nur, wenn im Parlament in zwei Kammern auch die kleinen Staaten die Gewähr haben, ihre Anliegen in der gemeinsamen Flüchtlingspolitik vertreten zu können.
Wie soll das gehen, gerade die kleinen Länder sperren sich doch?
Sie müssen lernen, dass sie einen Teil der Problemlösung tragen müssen. Und das geht nur im gleichberechtigten Diskurs. Heute ist es so, dass die Kleinen nur wegsehen wollen. Das geht genau so wenig wie dass die Deutschen anderen befehlen, was sie zu tun haben. Wenn keine Demokratie existiert, wird entweder die Aufgabe nicht gelöst oder der Stärkere sagt dem anderen was zu tun ist.
Oder man ist gleich gar nicht dabei wie die Schweiz.
Auch in der Schweiz braucht es einen Lernprozess, dass sie ohne die Gemeinschaft nicht leben können. Der ist im Gang. Er ist aber schwierig, weil die Gestalt der EU so undemokratisch ist. Auch deswegen empfehle ich dringend eine Demokratisierung.
Kontakt mit Andreas Gross
Nach oben
|