16. Juni 2016
WochenZeitung
WoZ Zürich
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Der Ständerat verkennt die Prinzipienfestigkeit der EU
Wie schätzen Sie die möglichen Folgen der Brexit-Abstimmung ein? a) Im Falle eines Nein, b) im Falle eines Ja.
Die EU hat auf jeden Fall wenig Kapazitäten und Lust, Rosinen zu offerieren, wenn es derzeit um die Schweiz geht. Im Falle des Brexit noch weniger als üblich. Sollte der Brexit abgewendet werden, so steigen etwas die Kapazitäten, aber sicher nicht die Lust.
Die Bürgerlichen streben nach einer Lösung mit Inländer-Vorrang, Didier Burkhalter spricht davon, nahe an einer Lösung mit der EU zu sein. Für wie hoch halten Sie die Chancen, dass die EU tatsächlich im Schnellzug-Verfahren Verhandlungen mit der Schweiz aufnimmt?
Sehr klein. Siehe oben.
[Und die Chancen, dass die EU] bereit ist, mit der Schweiz über einen Inländervorrang zu verhandeln?
Grundsätzlich besteht dazu keine Bereitschaft, weil es ans Eingemachte des EU-Selbstverständnisses geht. Doch eine Klausel zu finden, für den Fall der Fälle, dass die Schweiz von einer grossen Krise erfasst würde, ist fast immer möglich. Doch über das Ausmass dieser Krise wird man dann streiten können und müssen. Was in der Schweiz als Krise empfunden wird, ist für viele in der EU eher ein sanftes Lüftchen ...
Werden wir in der Schweiz früher oder später darüber abstimmen, ob wir die Bilateralen oder den Masseneinwanderungs-Verfassungsartikel wollen?
Es wird sicher eine Abstimmung geben, die so wie dargestellt werden wird. Das Parlament sollte kein Gesetz verabschieden, dass irgendwelchen europäischen Vereinbarungen widerspricht. Dagegen wird dann die SVP das Referendum ergreifen und wir hätten die Abstimmung, die man so interpretieren kann. Nie vergessen darf man, dass der damalige SVP-Präsident Brunner wenige Wochen vor der Abstimmung im Februar 2014 betont hat, dass es dabei nicht um die Zukunft der Bilateralen Verträge gehe ... Was vorher galt, gilt erst recht nachher.
Was halten Sie von der RASA-Initiative? Was wird mit ihr passieren?
Persönlich kann ich sie unterstützen. Doch ist mit einer Volksinitiative noch nie das Ergebnis einer anderen Volksinitiative korrigiert, beziehungsweise kassiert worden. Zudem haben linke Volksinitiativen seit fast 100 Jahren noch nie mathematische Mehrheiten gefunden. Auch ist sehr unwahrscheinlich, dass die Mehrheit der Kantone für Rasa stimmen wird. Ich denke, das Parlament wird einen Gegenvorschlag formulieren, der bei Volk und Ständen mehrheitsfähig ist.
Wie ist der Entscheid des Ständerates zu verstehen, die Ratifizierung des Kroatien-Protokolls abhängig zu machen von einer einvernehmlichen Lösung mit der EU? Ist es nicht eine etwas naive Vorstellung, dass diese in den nächsten Monaten erreicht werden kann?
Ob es naiv ist, weiss ich nicht. Jedenfalls unrealistisch. Und der Ständerat verkennt wiederum die Prinzipienfestigkeit der EU. Mit solchen Unterzügen gewinnt die Schweiz keinerlei Überzeugungskraft oder Verhandlungsstärke. In den nächsten Monaten, das heisst in den kommenden vier Monaten, wird sicher nichts Positives für die Schweiz passieren in Brüssel.
Ist die MEI bis im Februar umsetzbar? Was passiert, wenn es bis dahin keine Lösung gibt?
Kaum. Der Bundesrat wird dann aber auch nicht den Verordnungsweg beschreiten, wie die Initiative ihm nahelegt. Sondern es gibt einfach eine weitere Verfassungslücke in der Schweiz. Einen Passus in der Verfassung, der (noch) nicht in die Gesetzeswirklichkeit übersetzt worden ist.
Kontakt mit Andreas Gross
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