12. März 2016
BaZ. 7. Kolumne zu den US-Vorwahlen 2016
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Die einen staunen, die anderen erschrecken, keiner ist froh
Normalerweise zeichnet sich zur Halbzeit des Vorwahlkampfes um die Kandidatur zum US-Präsidenten ein klarer Trend ab. Doch diesmal ist fast alles anders. Die meisten Republikaner erschrecken über den, der bei ihnen die besten Aussichten hat. Bei den Demokraten staunen die meisten, dass sich Hillary Clinton noch nicht durchgesetzt hat. Froh und echt zuversichtlich scheint niemand mehr zu sein.
So überraschte Clintons demokratischer Widersacher, der Sozialdemokrat Bernie Sanders, letzten Dienstag fast alle mit seinem Vorsprung im wichtigen Industriestaat Michigan mit der Autostadt Detroit und den vielen in der Autoindustrie beschäftigten Arbeitern im Blaumann (Blue-color-Workers): Ein Gewinn, der ihm nur gelang, weil er ein politisches Kernstück der etablierten Demokraten seit Präsident Clinton fundamental in Frage stellte, den Freihandel. Dass auch Trump in diesem Punkt den Mainstream der Republikaner in Frage stellt und deshalb bei vielen Arbeitern auch gut ankommt, tröstet ebenso niemanden, ganz im Gegenteil.
Bei den republikanischen Wählerinnen und Wählern hat mit dem Businessman Donald Trump als Sieger in vierzehn von 24 Bundesstaaten derjenige am meisten Rückenwind, der von der Mehrheit der Mitglieder der republikanischen Partei und deren Parteispitze abgelehnt wird. Trump gewann anfangs dieser Woche in Mississippi, Michigan und Hawaii - in drei demographisch, wirtschaftlich und kulturell sehr unterschiedlichen Bundesstaaten – trotz all der vehementen Kritik, die in der Presse, im Fernsehen und in den für Dutzende von Millionen Dollar geschalteten negativen Fernsehspotts in den Tagen zuvor auf ihn niedergeprasselt war. So manche glauben, diese Kritik nütze Trump sogar eher als dass sie ihm schadet. Denn sie kommt von genau jenen, die in Washington das Sagen zu haben scheinen und gerade deswegen von vielen frustrierten republikanischen Anhängern vehement abgelehnt werden.
Anlässlich der grossen Debatte unter dem republikanischen Kandidaten-Quartett von vorgestern Donnerstagabend in Orlando (Florida) machte der nun viel präsidialer und integrativer auftretende Trump deutlich, dass er ganz bewusst einen Umbau der Basis und Programmatik der republikanischen Partei beabsichtigt. Er will sie auch im Norden der USA dem normalen Volk öffnen und die Interessen der Arbeiter und Angestellten vertreten lassen. Programmatisch soll sie isolationistischer werden und weniger militärische Interventionen à la Bush eingehen, sie soll sozialliberaler sein (keine Infragestellung der bisherigen Sozialleistungen), nationalistischer und weniger willfährig gegenüber finanzstarken Interessengruppen wie der Pharmaindustrie oder den Versicherungen. Auch in letzterer Beziehung tönt Trump manchmal ganz ähnlich wie Bernie Sanders. So machte sich am Donnerstagabend Trump sogar Sanders Standardsatz zu eigen, als er vom «kaputten System der Wahlkampffinanzierung» sprach. Die bisher massiv höhere Wahlbeteiligung bei den Republikanern bucht Trump ganz auf sein Konto und seine neue politische Identität.
Erleichterung verschafft dem republikanischen Establishment in Washington auch die aussichtsreichste Alternative zu Trump nicht. Denn er ist eher eine zwar umgänglichere, aber extremere Variante von Trump und keine echte politische Alternative. Senator Ted Cruz gewann nach seinem Heimatstaat Texas zwar vor einer Woche auch dessen Nachbar Kansas und Maine im Nordosten sowie letzten Dienstag Idaho im Nordwesten und kommt so auf acht der 24 Bundesstaaten, in denen sich die Republikaner nun schon entschieden haben. Doch Cruz surft ebenso auf anti-systemischen Wellen wie Trump, verteufelt Washington im Allgemeinen und Präsident Obama im Besonderen sogar noch ruchloser, und verkörpert programmatisch eine rechtsextremere, asozialere Variante von Trump: Er ist sehr evangelikal, gesellschaftlich reaktionär, genauso nationalistisch, aber militaristischer, neoliberaler und antistaatlicher.
So hoffen die alten moderaten Republikaner um den Vorsitzenden des Repräsentantenhauses, Paul Ryan, insgeheim immer noch darauf, dass die beiden anderen aus dem Quartett – Rubio und Kasich - in ihren Staaten (Florida und Ohio) am kommenden Dienstag gewinnen. So könnte es passieren, dass am Ende der Vorwahlen, vor der grossen sommerlichen Delegiertenversammlung in Cleveland, keiner der vier die für die Nomination notwendigen 1237 Delegierten für sich gewinnen kann. Die kommende Woche ist diesbezüglich deshalb vorentscheidend, weil von jetzt an in den Vorwahlstaaten der Gewinner alle Delegierten für sich gewinnen kann und diese nicht mehr wie bisher und bei den Demokraten immer proportional nach Vorwähler-Anteil auf die Kandidaten verteilt werden. Gewinnt Trump trotz aller Kritik am kommenden Dienstag aber in Florida, Illinois, Ohio, North-Carolina und Missouri, so ist ihm die Nomination kaum mehr zu nehmen.
Hillary Clinton ist nach der knappen Niederlage in Michigan deshalb nervös, weil Illinois und Ohio am kommenden Dienstag demographisch und kulturell ganz ähnlich sind. Sie möchte verhindern, dass Bernie Sanders auch dort die Mehrheit der weissen männlichen Demokraten gewinnt, für die wirtschaftliche Sorgen das hauptsächliche Wahlkriterium sind. Clinton zeigte dies bereits an der Diskussion mit Sanders am Mittwoch und in Interviews am Donnerstag, als sie plötzlich Präsident Obama kritisierte, zu wenig gegen die Dumping-Stahl-Importe aus China zu tun, und versprach, die Auslagerung von ganzen Fabriken nach Mexiko und China zu verhindern. In North Carolina wird Hillary Clinton ebenso sicher gewinnen wie bisher in allen südlichen Staaten der ehemaligen Konföderierten mit ihrem hohen Anteil an Schwarzen. So hat auch der Buchhändler Gody Morrison in Mississippi Hillary Clinton seine Stimme gegeben: «Sie hat vor ihrer politischen Karriere als Zwanzigjährige zwei Jahre lang in South-Carolina und Alabama mit schwarzen Frauen zusammen gelebt, sie hat ihnen juristisch geholfen und die Lage der schwarzen Kinder analysiert. Später lebte sie jahrelang als First Lady in Arkansas und nahm sich vor allem dem Schicksal der schwarzen Kinder an. Dabei lernte sie auch mit den Afro-Amerikanern so zu reden, dass diese sich heute mit ihr identifizieren können. Das hilft ihr bei den farbigen Frauen im Süden, welche die Mehrheit der Mitglieder der Demokraten stellen und zu 80 Prozent ihr die Stimme geben. Unter den schwarzen Arbeitern im Norden, in Detroit zum Beispiel, waren es bloss etwas mehr als die Hälfte.»
Kontakt mit Andreas Gross
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