20. Feb. 2016
Basler Zeitung
IV. Primaries-Kolumne
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In der amerikanischen Gesellschaft zeigen sich tiefe Gräben
Die nächsten Etappen im Rennen zur Qualifikation als Kandidat für die US-Präsidentschaft einer der beiden grossen US-Parteien stehen heute Samstag an: Die Demokraten in Nevada mit der weltweit bekannten Casino-City Las Vegas entscheiden zwischen der leicht favorisierten ehemaligen Aussenministerin Hillary Clinton und dem aufstrebenden Demokratischen Sozialisten Bernie Sanders; die Republikaner in South Carolina können immer noch zwischen sechs Kandidaten auswählen, die sich in den verschiedenen Debatten fetzen und keilen, wie dies selbst für US-amerikanische Verhältnisse ungewöhnlich ist. Am nächsten Dienstag folgen dann die Republikaner in Nevada und in einer Woche die Demokraten in South Carolina, bevor am 1. März mit Vorwahlen in sechs Staaten ein erster, bereits vorentscheidender Super-Tuesday folgt.
Die beiden Staaten von heute sind für alle Kandidaten besondere Herausforderungen, weil deren demographische und kulturelle Eigenheiten sich von den ersten Primary-Staaten Iowa und New Hampshire wesentlich unterscheiden. Zudem entsprechen sie viel mehr dem amerikanischen Durchschnitt und sind damit repräsentativer fürs Ganze und die Frage, wie denn der Schlussgang im November ausgehen könnte. So sind in Nevada fast die Hälfte aller demokratischen Wähler Latinos (Amerikaner mit spanischem Migrationshintergrund), African-Americans (Schwarze) oder asiatischer Herkunft und gewerkschaftlich sehr gut organisiert; die Mehrheit der Demokraten in South Carolina mit der Hafenstadt Charleston, jahrhundertelang ein Zentrum des Sklavenhandels, sind mehrheitlich Frauen und Schwarze. Zudem sind beide Staaten viel grösser als die beiden ersten. South Carolina hat etwa halb so viele Einwohner wie die Schweiz und ist flächenmässig etwa doppelt so gross, der Gebirgs- und Wüstenstaat Nevada ist fast sieben Mal grösser als die Schweiz, hat nur ein Viertel so viel Einwohner.
Weil es so immer schwieriger wird, mit den Wählerinnen und Wählern direkt ins Gespräch zu kommen, verlagert sich der Diskurs aufs Fernsehen. Dort gibt es jetzt jeden zweiten Abend kontradiktorische Debatten. Doch es sind die TV-Werbespots, welche die Auseinandersetzung dominieren. In den grossen TV-Anstalten erreichen sie mit fast 50 Prozent der Sendezeit eine schier unerträgliche Dichte. Einige Spots sind an einem einzigen Abend fünf Mal zu sehen und zu hören. Insgesamt wurden in diese Form des TV-«Diskurses» in einer einzigen Woche allein in South-Carolina über 15 Millionen Dollar investiert!
Inhaltlich geht es dabei wüst zu und her. Denn über das meiste Geld verfügen heute konservative Gruppen von Grossspendern, sogenannte Super-PACs, welche missliebige Kandidaten in Negativ-Spots angreifen, schlecht machen und in den Dreck ziehen. So wird Trumps Hauptrivale, der fromme Senator Cruz aus Texas «als die schlimmste Sorte von Washingtoner Politikern» bezeichnet, «er lügt, trickst und wechselt ständig seine Meinung» (im US-Politslang: «Flippflopper»). Dem Gouverneur John Kasich aus Ohio, der bereit ist, Kompromisse zu machen, Angriffe unter die Gürtellinie meidet und immer wieder betont, dass es für echte Reformen Unterstützer aus beiden Parteien braucht, wird genau dies vorgehalten. «Kasich unterstützte sogar Obamas Krankenversicherungsreform. Er würde besser auf dem Ticket der Demokraten kandidieren. Er ist kein richtiger konservativer Republikaner.»
Der andere ehemalige Gouverneur unter den republikanischen Kandidaten, Jeb Bush (Florida), Bruder und Sohn vergangener Präsidenten, dessen Kriegskasse von 130 Millionen Dollar offenbar schon leer ist – in New Hampshire bezahlte er für jede erhaltene Wähler-Stimme, die er erhielt, indirekt 2500 Franken – wird wahrscheinlich zu den grossen Verlierern dieses Wochenendes gehören. Zu ihm heisst es in den Spots seiner Gegner: «Er kann uns nicht verteidigen. Er hat so viele schlechte Ideen. Das einzige, was er wirklich besitzt, ist Vergangenheit.» Bei seinem Auftritt in der ländlichen Kleinstadt Sumter machte Bush einen schon fast resignierten, entrückten Eindruck. Ja, er gehöre nun mal zum Establishment, meinte er, sei stolz auf seinen Vater und Bruder und hätte die beste aller Mamas. Zum Verhängnis wird ihm, dass er mit keiner klaren politischen Botschaft verbunden wird.
Bushs Vergangenheit und seine Familie erweisen sich als Ballast. So beschrieb der konservative Autor J.D.Vance in der in Georgia publizierten Ausgabe von USA-Today seinen Wandel von einem Bush- zu einem Trump-Fan: «Es geschah in dem Augenblick, als dieser seinen Bruder zu verteidigen begann und meinte, dieser habe immerhin für die Sicherheit aller Amerikaner gesorgt. Das war eine Beleidigung von Tausenden von Amerikanern, die wegen ihm und während seiner Amtszeit gestorben sind. (...) Als Veteran der Marine, der inmitten einer elenden Vorstadt voller Arbeitslosen aufwuchs, weiss ich schon, dass viele von Trumps politischen Vorschlägen sowohl unmoralisch bis fast absurd sind. Doch ich weiss auch, weshalb ihn so viele Amerikaner bewundern - er sagt den Reichen und Mächtigen Amerikas genau das ins Gesicht, was wir selber ihnen gerne sagen würden: Dass das, was sie als ihre Errungenschaften ausgeben, genau das ist, was viele von uns in den Abgrund getrieben hat. Trumps Wählerinnen und Wähler eint das Gefühl einer tiefen Entfremdung von den Wohlhabenden und Reichen.»
Nutzen wird dies wohl Senator Marco Rubio aus Florida, Sohn armer Einwanderer aus Kuba und einer, der immer betont, dass der amerikanische Traum des sozialen und wirtschaftlichen Aufstieges wieder für alle funktionieren müsse. Für Bill Ryan, pensionierter Ingenieur und aktiv in der Küstenwache, ist dies der Grund, weshalb er Rubio wählen wird. Am Ende einer Veranstaltung in Aiken, einer kleinen Stadt an der Grenze zu Georgia, sagte mir Ryan: «Er scheint mir der sozial Sensibelste aller Republikaner. Das ist für mich entscheidend. Trump ist doch einfach ein Schreihals, Cruz ein Frömmler, Bush die miese Vergangenheit, Kasich kenn ich zu wenig. Da bleibt mir nur Senator Rubio.»
Kontakt mit Andreas Gross
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