11. Feb. 2016

Zwei sehr unterschiedliche «Revolutionen»
erschüttern das US-Polit-Establishment



Dimitri Brzosko
Illustr. Dimitri Brzosko

Zwar wurde seit 25 Jahren keiner mehr Präsident der USA, der nicht mindestens eine der beiden ersten Vorwahlen in Iowa und New Hampshire gewonnen hatte. Dies ist am vergangenen Dienstag im Neuenglandstaat sowohl dem New Yorker Baulöwen und Multimilliardär Donald Trump bei den Republikanern als auch dem ausgesprochen linken, sich selber als Sozialist bezeichnenden Senator Bernie Sanders aus dem benachbarten Vermont bei den Demokraten sehr eindrücklich gelungen. Beide sehen sich von eigentlichen, freilich sehr unterschiedlichen, wie sie es nennen - «Revolutionen» getragen. Doch ob diese sie als Nachfolger von Barak Obama bis ins Weisse Haus zu tragen vermögen, mögen selbst unter den gegenwärtigen «Revolutionären» nicht alle so richtig glauben.

Sanders und Trump sind im vergangenen Sommer als Aussenseiter in den äusserst anspruchsvollen Selektionsprozess eingestiegen. Dass sie nun als Sieger des zwar kleinen, politisch wenig repräsentativen New Hampshire «Revolutionen» zu ent­fa­chen vermochten, deutet jedoch darauf hin, dass sie verschiedene zentrale Nöte und Sorgen von Millionen von Amerikanerinnen und Amerikanern erkannt haben. Und ist es ihnen gelungen, diese vielfach verärgerten, enttäuschten und verängstigten Bür­ger­innen und Bürger so anzusprechen, dass sie hunderte von Postern pflanzen und zu Tausenden zu ihren Veranstaltungen kommen und gar Millionen zu kleinen Spen­den veranlassten. Wobei sich gerade hier, beim Geld, einer der vielen Unterschiede zwischen den beiden zeigt:

Der hemdsärmelige Trump versteht seine finanzielle Unabhängigkeit und Eigen­stän­dig­keit als eine seiner grossen Trümpfe. «Ich will im Unterschied zu allen anderen Kandidaten, heute wie als Präsident, kein Geld von Euch, nur Eure Stimmen!», rief er vergangenen Sonntag in einer riesigen Sporthalle seinen etwa 3000 ins sehr länd­liche Holderness gefahrenen, durchaus das ganze Volk repräsentierenden Fans zu.

Trump mokiert sich genüsslich und stundenlang über alle die Lobbyisten und Interes­sen­vertreter, zu denen er, wie er offen eingesteht, auch jahrzehntelang gehört habe. Mit Millionen von Dollars würden die Entscheide der Politiker beeinflusst und Sonder­anliegen statt dem Allgemeininteresse zum Durchbruch verholfen. Sie hätten die USA in den Sumpf geritten, aus dem er, Trump, dieses «grosse Land» jetzt retten und zu «neuer Grösse» herausführen müsse.

Für diesen Kampf stellte Donald Trump eine Milliarde Dollar aus dem eigenen Sack bereit. Und ist nun stolz darauf, dass ihm niemand dreinreden kann. Nur einer Sache fühlt er sich verpflichtet: «Amerika wieder gross zu machen!» Mit smarten Deals wer­de er Millionen von verlorenen Jobs aus China, Japan und Mexiko repatriieren; mit einer grossen Mauer entlang der mexikanischen Grenze die Amerikaner wieder si­cher machen, nur noch legale Migranten zulassen, Muslime fernhalten, die Illegalen (immerhin 11 Millionen!) hinauswerfen und die US-Army so «wieder herstellen», dass keiner mehr sich getraue, sich den USA zu widersetzen. Für diesen Kampf ist der 70jährige Businessman seit sieben Monaten nun auch Politiker geworden, wie Trump schmunzelt; zu einem dieser Politiker, von denen er so wenig hält - die nur schwatzten und nichts auf die Beine bringen würden.

Für Cliff Faller (58), Manager eines Shops für Autozubehör, liegt hier die Stärke Trumps. Er wählt und unterstützt ihn, «weil er kein Politiker ist, sondern etwas vom Business versteht, mit seinem Vermögen seine Fähigkeiten bewiesen habe, die Washington so dringend gebraucht. Sein Reichtum erlaubt ihm zu sagen, was er denkt; seine Grobschlächtigkeit, seine teilweise vulgären Ausdrücke stören mich nicht, sie beweisen doch nur, dass er keine Rücksichten nehmen muss, dass er endlich für Besserung sorgen kann.» Cliff Fallers Begeisterung für Trump überrascht, denn vor acht Jahren hatte er noch Obama gewählt. Heute ist er vom Präsidenten enttäuscht: «Ausser der falschen Gesundheitsversicherung ist Obama nichts ge­lun­gen. Ich bin total enttäuscht von ihm. Ich habe genug von den Linken. Jetzt muss ein Anderer ran.» Auf den Einwand, Donald Trump habe in seinem Wirtschaftsleben auch schon einige Male bankrott gemacht, meint Faller nur: «Das stimmt; doch er ist immer wieder aufgestanden und neu eingestiegen und hat schliesslich riesig Erfolg gehabt. Das spricht doch für ihn. So einen brauchen wir jetzt in Washington.»

Seit er seine Kandidatur erklärt hatte, lag Donald Trump an der Spitze aller Um­fra­gen. Auch in den Medien vermochte er sich mit viel Getöse viel Gehör zu ver­schaf­fen. Dennoch schien er vom enormen Zulauf zu seinen Veranstaltungen in New Hampshire selber überrascht. Er wunderte sich fast, zeigte sich beinahe etwas ver­legen, dankte den Anwesenden überschwänglich und begann begeistert von der «Revolution der schweigenden Mehrheit» zu sprechen, die er beobachte. An sich ein Widerspruch. Doch das stört Trump ebenso wenig wie die Anzüglichkeiten, zu denen er sich hinreissen lässt. Mich erinnert Trump bei diesen Selbstinszenierungen immer wieder an den Silvio Berlusconi («Forza l’Italia!») von vor 20 Jahren. Auch er ein superreicher Macho, der sich vorgenommen hatte, den Politik-Laden auszumisten, Italien zu retten und den Staat wie einen Fussballclub zu managen – mit substanziell kläglichem, politkulturell aber leider nachhaltigem Erfolg.

Bernie Sanders «Revolution» hat einen ganz anderen Charakter. Er weiss, dass er sogar als Präsident die Wirtschaft und das politische System alleine nicht so um­bau­en kann, dass beide allen dienen und nicht bloss den Reichen und Privilegierten. Dazu braucht er nicht nur die Stimmen von möglichst vielen Bürgerinnen und Bür­gern, sondern auch deren Engagement weit über die Wahlen hinaus. Deshalb betont Sanders einerseits, dass es bereits über eine Million Menschen sind, die ihm viele kleine Spenden haben zukommen lassen; andererseits, dass diese aber auch sonst aktiv werden müssen, um beispielsweise in den beiden Häusern des Kongresses in Washington neue Mehrheiten zu schaffen, welche die notwendigen neuen steuer-, renten-, krankenversicherungs- und bildungspolitischen Gesetze durchbringen.

«Sanders möchte die Menschen aktivieren, nicht einfach nur von ihnen gewählt werden», meint Kelly Ryan (59), Restaurateurin alter Nähmaschinen aus Wolfeboro am Lake Winnipesaukee, «Sanders zeigt, wo weshalb radikale Alternativen möglich und wichtig sind, begeistert Menschen aller Art damit, kann sie so aus der bequemen Stube rausholen und zur politischen Arbeit motivieren. Ich sehe dies bei meinen Töchtern, wie er auch als älterer Mann, fast wie ein Weiser, gut ankommt und mobilisiert. Das ist eindrücklich und erfüllt mich mit grossen Hoffnungen, dass wir doch noch die notwendigen Reformen schaffen.»

Dass Bernie Sanders mit seinem ausgesprochen idealistischen Entwurf so gut an­kommt, können seine Konkurrentin Hillary Clinton und ihre Anhänger nicht verste­hen. «Ich wähle Hillary trotzdem, denn sie bringt den grössten Rucksack mit, ver­steht von vielem mehr als alle anderen und möchte die Reformen im Interesse der kleinen Leute wirklich realisieren», sagte mir in einem kleinen Café der Biochemiker Mat Soloperto aus Boston. «Doch sie spricht tatsächlich etwas viel nur von ihrer Vergangenheit und ist sich nicht bewusst, wie etabliert sie geworden ist als alte First Lady, Senatorin und Aussenministerin. Da unterschätzt sie die im ganzen Volk sehr verbreitete Wut auf das Establishment in Washington, die Enttäuschungen, die viele mit Barak Obama verbinden und die Verzweiflung vieler angesichts der täglichen, existenziellen Schwierigkeiten. Um diese Menschen zu gewinnen, braucht es mehr als den Verweis auf vergangene Leistungen.»

Die grosse Frage ist nun aber, ob die beiden Bewegungen, die sich um Trump und Sanders formiert haben, vor allem von weissen und politisch eher ungebundenen, traditionell aufmüpfigen Wählern getragen werden oder ob sie auch unter den Schwarzen, den Latinos, denjenigen mit asiatischer Herkunft und den religiöseren Farbigen Anklang finden. Denn deren Anteil ist in den Bundesstaaten Nevada und South-Carolina, wo als nächstes die Präsidentschaftskandidaten evaluiert werden, viel grösser als im Mittleren Westen und in Neuengland. Und weil diese Bundes­staa­ten auch viel mehr Einwohner haben als Iowa und New Hampshire, spielen Geld und Fernsehwerbung eine viel wichtigere Rolle. Hier ist es also schwieriger, die Men­schen direkt anzusprechen und zu begeistern. Die Wahlgänge in Nevada und South-Carolina werden uns helfen, herauszufinden, wie stark und wie tief und wie nach­hal­tig diese «Revolutionen» wirklich sind, die das Establishment der beiden grossen US-Politmaschinen und Wahlvereine derzeit so erschüttern.


Kontakt mit Andreas Gross



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