30. April 2015
TagesWoche, Basel
Demokratie-Kolumne
Teil XIII
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Wie demokratisieren wir die Direkte Demokratie?
Seit einigen Wochen scheint eine Diskussion um die Reform der Volksrechte in Gang zu kommen. Wobei bisher alle Beteiligten vorgeben, es gehe ihnen um die Rettung der Direkten Demokratie, keineswegs um deren Infragestellung. Wer aber genauer hinhört, erkennt Argumentationslinien, wie sie seit Jahrzehnten von denjenigen entwickelt werden, die sich von aktiven Bürgerinnen und Bürgern mehr gestört als beglückt fühlen und diesen deswegen das Handeln erschweren möchten.
Bevor man sich über die Medizin zu verständigen sucht, sollte man sich über die Diagnose verständigt haben. Dies ist freilich in der Medizin oft einfacher als in der Politik im Allgemeinen, ganz besonders aber in Fragen rund um die Demokratie.
Nicht einmal bezüglich der Zahlen ist man sich einig. Der ehemalige Staatssekretär Jean-Daniel Gerber behauptet seit Monaten, das Parlament «werde recht eigentlich überschwemmt von Volksinitiativen». Andere reden in einer ähnlichen Metapher von «der Flut der Volksinitiativen».
Wer genau zählt und vergleicht, merkt aber schnell, dass in den vergangenen Jahren zwar viele Volksinitiativen lanciert wurden, die Spitzenwerte vom vergangenen Jahrzehnt jedoch nicht erreicht werden. Zudem kommen etwa ein Viertel aller lancierten Volksinitiativen erst gar nicht zustande; und etwa ein Viertel derjenigen, welche die 100'000 gültigen Unterschriften schaffen, werden im Zuge der parlamentarischen Beratung wieder zurückgezogen, kommen also nicht zur Volksabstimmung. Sei es, weil sie, wie oft bei Verbands-Initiativen, bloss Druck ausüben wollten auf eine anstehende grosse Gesetzesrevision (AHV, IV, Krankenversicherung oder ähnliches); sei es, weil sie mit kleinen Gesetzesänderungen direkte oder indirekte Erfolge erzielen konnten, die sie mit einer Abstimmung nicht glauben übertreffen zu können.
Doch Gerbers Argument bezüglich der vermeintlich zunehmenden Quantität ist ohnehin bloss vorgeschoben. Wer ihm länger zuhört merkt, dass ihm viel mehr die Inhalte gewisser Volksbegehren nicht passen. Einerseits sind sie ihm Ausdruck von «Spinnereien», womit der asketische Protestant aus dem Berner Südjura («Arbeit ist das Leben») die Einführung eines erwerbslosen Grundeinkommens oder die Vollgeldreform meint; andererseits sind sie ihm zu dumm (Ecopop), zu extrem (1:12), oder zu alternativ.
Sollen also in Zukunft nur noch solche Volksinitiativen lanciert werden dürfen, welche Chefbeamten oder Funktionären der Wirtschaftsverbände genehm sind? Es gehört zum Wesen einer offenen Gesellschaft freier Bürgerinnen und Bürger, dass verschiedene Menschen Unterschiedliches richtig finden und zur Diskussion stellen dürfen. Ja, es ist sogar eine der segensreichsten Möglichkeiten einer Volksinitiative, dass damit der Gesellschaft eine Diskussion aufgezwungen werden kann, welche deren echte oder vermeintliche Stützen übersehen haben, fürchten oder ganz einfach vermeiden möchten.
Entsprechend verkehrt sind die ‚Reform‘-Vorschläge des pensionierten Staatssekretärs und seinesgleichen. Sie laufen alle auf eine Bevormundung der engagierten Bürgerinnen und Bürger durch Vertreter der politischen Eliten hinaus. So meint Gerber, es sollten künftig nur noch jene Volksbegehren zur Volksabstimmung kommen, welche in der Bundesversammlung von mindestens einem Drittel oder gar der Hälfte der Parlamentarier unterstützt werden – der Obwaldner CVP-Nationalrat Karl Vogler nennt die Zahl von 50 National- und Ständeräten. Als ob es eben nicht gerade zum Wesenskern der Direkten Demokratie gehört, dass ein Teil der Bürgerschaft den anderen eine Reformidee zur Beurteilung vorschlagen darf, die im Parlament wenig oder gar keine Zustimmung findet.
Zudem sind die Parlamentarier ja nicht ausgeklammert: Wenn sie finden, sie hätten zur Bewältigung des von der Volksinitiative aufgeworfenen Problems eine überzeugendere Lösung als die Initianten, dann steht ihnen die Möglichkeit offen, die Volksinitiative mit einem parlamentarischen Gegenvorschlag zur Volksabstimmung zu bringen.
Ebenso unausgegoren ist die Idee der ehemaligen Bundeskanzlerin Huber-Hotz, wonach Bundesratsparteien keine Volksinitiativen mehr lancieren dürfen sollten. Sie vergisst, dass die Mehrheit der Volksinitiativen in den vergangenen 50 Jahren ohnehin nicht von Parteien gekommen ist, sondern von Initiativkomitees, in denen häufig auch zahlreiche National- und Ständeräte sitzen. Und angenommen, Hubers Regierungsparteienverbot würde eingerichtet, wer hindert dann die eh sehr gewitzten Spitzen von Bundesratsparteien daran, für ihr Begehren ein entsprechendes Komitee zu gründen, in dem sie oder Gesinnungsfreunde ohne Parteiamt Einsitz nehmen können, und so die Forderung mit dem gleichen Publizitäts- und Prestigegewinn als ‚Volks‘initiative unter die Leute zu bringen?
Vollends ignorant und undemokratisch ist die Idee von liberalen Chefideologen von Avenir Suisse, zwecks Beruhigung verschiedener Chefetagen die für eine erfolgreiche Volksinitiative nötige Unterschriften-Zahl zu verdoppeln. Ignorant, weil jene, welche die Volksrechte nutzen, wissen, dass es in den letzten zehn Jahren trotz allen kommunikationstechnologischen Errungenschaften nicht einfacher geworden ist, Unterschriften zu sammeln. Zudem soll die Volksinitiative gerade ein Instrument der kleinen und organisatorisch Schwachen sein. Das war historisch ihr Sinn. Und schliesslich ist die Höhe der gesammelten Unterschriften in der Regel kein Zeichen für die besondere Qualität einer Idee.
Wer also die Volksrechte wirklich demokratisieren will, muss sowohl ihre Probleme besser erkennen als auch die Reformvorschläge umsichtiger erarbeiten.
Das werden wir in der nächsten Kolumne versuchen.
Kontakt mit Andreas Gross
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