25. Sept. 2014

Tages-Anzeiger
Basler Zeitung
Bund etc.

«Exemplarisch gut abgehandelt»


Autor und SVP-Nationalrat Oskar Freysinger erhält Lob
von SP-Nationalrat Andreas Gross.


Von Martin Furrer, Bern

Dass ein linker Nationalrat einen rechten Nationalrat mit Lob über­schüttet, dass er öffentlich Sympathie für ihn bekundet – so was kommt selten vor. Es passiert am Dienstagabend in Bern, Restaurant Zunft zu Webern. Das Lokal liegt nur ein paar hundert Meter vom Bundeshaus entfernt, wo sich Linke und Rechte sonst nichts zu schenken pflegen. Da sitzt nun also in der Zunftstube der Zürcher Sozialdemokrat Andreas Gross dem Walliser SVP-Politiker Oskar Freysinger gegenüber. Gross spricht nur gut über seinen Ratskollegen. Er sagt: «Es ist fantastisch, Oskar, dass du das gemacht hast.» Und: «Du hast das exemplarisch gut abgehandelt.»

Was ist passiert? - Freysinger hat ein Buch geschrieben. Ein Buch über die Tragödie eines siebenjährigen Buben namens Luca. Seine Mutter fand ihn eines Abends im Februar 2002 in der Nähe ihrer Wohnung bei Veysonnaz im Unterwallis. Der Bub war schwer verletzt, halb nackt, er lag bewusstlos im Schnee. Polizei und Justiz vertraten von Anfang an die These, der Hund der Familie habe Luca die Verletzungen zugefügt.

Ein grausames Verbrechen

Wie viele andere Walliser verschlang damals auch Freysinger die Zeitungsartikel, die dem rätselhaften Fall gewidmet waren. Er wurde immer neugieriger, machte sich seine eigenen Gedanken, befragte Lucas Vater, Mutter, den Bruder, erkundigte sich bei der Staatsan­walt­schaft, studierte Ermittlungsdossiers, recherchierte im Spital von Sitten, in das Luca eingeliefert worden war, bevor er später in die Uniklinik Genf transportiert wurde. Und runzelte immer mehr die Stirn. Die Ge­schichte kam Freysinger seltsam vor: Unge­reimtheiten da, Unge­reimt­heiten dort. Ein Verdacht erwachte in ihm: Dass nämlich nicht der Vierbeiner, sondern Menschen dem kleinen Luca derart schwe­res Leid zugefügt haben mussten, dass er sechs Monate lang im Koma lag und zum Schwerinvaliden wurde. Freysinger arbeitete seine These schliesslich auf 204 Buchseiten auf.

Die Geschichte vom Leidensweg des kleinen Luca, von einem grausa­men Verbrechen, das niemand begangen zu haben schien und für dessen Auflösung niemand den Schlüssel hinterlegt hat erschien 2010 zunächst unter einem Pseudonym auf Französisch. Jetzt ist es auch auf Deutsch erhältlich – packend geschrieben, ein Thriller.

«Fantastisch, Oskar»

«Es ist fantastisch, Oskar, dass du das gemacht hast» – Andreas Gross sagt diesen Satz am Dienstagabend an der Buch-Vernissage. Dem Sozialdemokraten gefällt, dass Freysinger, der SVP-Rebell im CVP-Kanton, scheinbar Festgefügtes hinterfragt, dass er der Wahrheit ans Licht, der Gerechtigkeit zum Durchbruch verhelfen will. «Wir sind politisch völlig unterschiedlich positioniert», erklärt Gross am Rande der Veranstaltung, «aber Oskar Freysinger ist ein Systemkritiker, ein Kämpfer gegen das Unrecht. Das verbindet uns. Das ist unsere gemeinsame Basis.»

Gross diskutiert mit Freysinger über Recht und Unrecht im Allgemeinen und über das Wallis im Speziellen. Er redet über die Justiz und den Fall Luca. Was er denn genau meine, wenn er im Buch düster von einem korrupten Machtgefüge in seinem Kanton schreibe, will Gross wissen. Freysinger holt aus, leidenschaftlich, kämpferisch, impulsiv, zwei Stents wurden ihm schon ins Herz gepflanzt, der Mann steht immer unter Strom. «Das Wallis», erklärt Freysinger, «war wegen seiner geogra­fi­schen Lage lange verkehrstechnisch schlecht erschlossen und damit abgeschottet. So konnte eine Clanwirtschaft mit einer Partei entstehen, die sich vom Herrgott die Absolution für ihre Macht holte.» Diese spe­zifische Herrschaftsstruktur zeige sich auch im Fall Luca. Wenn die Mächtigen im Ort zusammenspannten, Fehler unter den Teppich kehrten, die schludrig ermittelnden Polizisten deckten und die Ärzte im Spital, die den Buben eineinhalb Stunden liegen liessen, bevor sie ihn behandelten, sagt Freysinger, «dann nennt man dies das Gesetz des Schweigens».

Ein gutes Omen

Gross sagt: «Du bist doch jetzt auch Teil des Systems.» Er spielt auf die Tatsache an, dass Freysinger nicht nur Nationalrat ist, sondern seit März 2013 auch Walliser Regierungsrat, Vorsteher des Sicherheits­de­par­te­ments. Kein Problem, sagt Freysinger: Die Walliser Justiz be­kom­me im Buch ihr Fett ab, aber er werde sich hüten, auf die Ermitt­lun­gen, die kürzlich neu aufgenommen worden sind, Einfluss zu nehmen, «das wäre Amtsmissbrauch».

Die Zunft zu Webern, in der das ungleiche Duo am Dienstagabend diskutiert, liegt sinnigerweise in der Gerechtigkeitsgasse. Vielleicht kein schlechtes Omen in dieser Geschichte.


Kontakt mit Andreas Gross



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