11. März 20014
Tagesanzeiger
saldo
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Die feinen Austarierungen einer entwickelten parlamentarischen Kultur müssen erkannt werden
Das Magazin saldo und der Tagesanzeiger bereiten Beiträge zum nationalrätlichen Abstimmungsergebnis über die Lockerung der Kriegsmaterialexporte vor:
Sehr geehrter Herr Gross
Am 6. März hat der Nationalrat über die Lockerung der Regelung für Kriegsmaterialexporte abgestimmt. Weil Sie entschuldigt waren, konnten Sie Ihre Stimme nicht abgeben. Was geht einem – besonders als Gründungsmitglied der GSoA – durch den Kopf, wenn man dann von so einem Resultat erfährt?
Ich schreibe für saldo einen kurzen Beitrag zum Thema. Arbeitstitel: «Profit vor Menschenrechten». Ich nenne die Namen derjenigen, die Ja gestimmt hatten und würde eine kurze Stellungnahme Ihrerseits sehr schätzen, wenn möglich bis morgen Nachmittag.
Denise Bucher
Sehr geehrte Frau Bucher
Ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie nachfragen. Als ich im Internet in Paris während der Büro-Sitzung des Europarats dieses Ergebnis las, lief es mir kalt über den Rücken. Mir schauderte aus zwei Gründen:
Sachlich gehört dieser Entscheid zu den grösstmöglichen Irrtümern, die ein Parlament entscheiden kann. Denn der Entscheid ist ökonomisch falsch; es gibt auf der Welt riesige Überkapazitäten in der Rüstungsindustrie, die vor allem in kleinen Ländern keine Zukunft hat. Persönlich habe ich mich dazu schon vor 35 Jahren kundig gemacht, als der Bührle-Konzern noch vom Gegenteil überzeugt war und viele Millionen Franken hätte sparen können, wenn er auf uns Kritiker in der SP Oerlikon gehört hätte.
Menschenrechtlich widerspricht der Entscheid den Grundprinzipien der schweizerischen Aussenpolitik.
Aussenpolitisch ist der Entscheid kurzsichtig und verkennt die angebrachten Prioritäten.
Auch finanzpolitisch macht der Entscheid keinen Sinn, denn Geld, das in der Rüstungsindustrie investiert wird, schafft viel weniger Arbeit als Geld in zivilen Unternehmungen.
Es schauderte mich aber auch, weil ich wusste, dass ich ungerechtersweise wieder mitschuldig gemacht werde für einen parlamentarischen Fehlentscheid. Sie haben die Differenz zwischen entschuldigt und abwesend bemerkt - etwas, das nicht vielen Journalisten auffällt und deshalb informieren sie die Bürger auch nicht darüber. -- Ich bin an jenem Donnerstag meiner Pflicht nachgekommen, als Fraktionspräsident am Vormittag in der Präsidentensitzung des Europarates und am Nachmittag im Büro meine Kritik an der russischen Intervention in der Ukraine zum Ausdruck zu bringen und entsprechend auch an der Gestaltung der Tagesordnung der April-Session des Europarates mitzuwirken.
Für den Ausgang der Abstimmung in Bern war meine Abwesenheit insofern irrelevant, weil meine FDP-Kollegin Doris Fiala, die anders gestimmt hätte als ich, auch in Paris anwesend sein musste als Delegationspräsidentin. Unsere beiden unterschiedlichen Stimmen hätten also am Patt in Bern nichts geändert.
Es entspricht einer entwickelten parlamentarischen Kultur, dass wenn immer möglich zwei unterschiedlich positionierte Schweizer Parlamentarier die Schweiz im Europarat vertreten, damit die Repräsentativität der Entscheidungen zu Hause nicht verfälscht wird.
Dass diese Zusammenhänge von vielen Journalisten ihren Lesern heute nicht mehr erklärt wird, ist nur einer von vielen Ausdrücken der äusserst schlechten Qualität der schweizerischen Medien. Es ist einfacher, nicht nachzufragen und auch nicht nachzusehen, sondern einfach zu glauben, möglichst simpel einen Schuldigen für den Stichentscheid gefunden zu haben und diesen sofort an den Pranger zu stellen. Und noch mehr wird darob verpasst: Man braucht sich so auch nicht weiter zu fragen, weshalb denn für solch einen eklatanten Irrtum überhaupt eine Mehrheit gefunden werden konnte.
Die Begründung für diesen Irrtum: Die Befürworter glauben durch die Vergrösserung des Umsatzes der schweizerischen Rüstungsgüter könne man den Preis, den die Schweizer Armee für die Güter aus dieser Rüstungsindustrie bezahlen muss, günstiger machen. Womit eine alte Erkenntnis der alten GSoA aus den 1980er Jahren bestätigt wird, wonach die Armee im Frieden schon zerstört, was sie im Krieg nicht verteidigen kann: Die Grundwerte, welche den Frieden und den Weg zum Frieden ausmachen.
Mit Dank und Gruss
Andi Gross
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Sehr geehrter Herr Gross
Aus dem Protokoll der Abstimmung über die Kriegsmaterialverordnung wird ersichtlich, dass sie der Abstimmung ferngeblieben sind. Da der Entscheid bekanntlich per Stichentscheid gefällt wurde, gehe ich davon aus, dass sich die Leser des Tages-Anzeigers für den Grund der Abwesenheit interessieren. Ich erlaube mir, Ihnen deshalb folgende Fragen zu stellen:
Warum konnten Sie an der Abstimmung nicht teilnehmen? Was sagen Sie dazu, dass ihre Anwesenheit das Abstimmungsergebnis hätte umstossen können? Laut der Statistik von Politnetz haben Sie in der Frühjahrsession bisher bei 56 Prozent aller Abstimmungen gefehlt, mehr als jeder andere Parlamentarier. Ist diese grosse Zahl von Absenzen noch mit dem Wählerauftrag zu vereinbaren? Für einige ihrer Absenzen liessen Sie sich entschuldigen, für andere nicht. Gibt es dafür einen Grund?
Felix Schindler, Tages-Anzeiger
Sehr geehrter Herr Schindler
1. Ich war zusätzlich am vergangenen Dienstag abwesend, weil ich mich in Stockholm unterstützt von der schweizerischen Regierung um die Funktion des Generalsekretärs des Internationalen Institutes für Demokratie bewarb und dafür mich einem Hearing unterziehen musste. Dieser Termin wurde von den elf Botschaftern, welche verantwortlich für diese Wahl sind, bestimmt; - ich konnte ihn unmöglich ändern.
2. Vergangenen Mittwochnachmittag war ich ebenfalls abwesend, weil ein berühmter Russe, für den ich mich als Russland-Verantwortlicher im Europarat vor drei Jahren eingesetzt habe, mich in Zürich sprechen wollte, um zusammen zu diskutieren, was wir gemeinsam zu einer anderen Beziehung zwischen Russland und Europa sowie für die Demokratisierung Russlands tun könnten.
3. Gestern Abend fehlte ich ab 17.30 Uhr, weil ich um 20.25 Uhr das Flugzeug nach Stockholm erwischen musste, um heute hier an der Sitzung der Politischen Kommission um 09.00 Uhr sein zu können. Das heisst heute und morgen werde ich wieder in Bern entschuldigt sein; ich vertrete heute und morgen hier zwei Berichte, einerseits zur Demokratisierung von Kirgistan und andererseits zum Föderalismus als Ausweg aus der institutionellen Krise der EU und deren Demokratisierung.
Als Fraktionspräsident der SP im Europarat muss ich meinen Verpflichtungen im Europarat auch dann nachkommen, wenn diese gleichzeitig mit den Nationalratssitzungen stattfinden. Das entspricht genau meinem Wählerauftrag; die Wähler wussten anlässlich meiner letzten Wahl, dass ich diese Aufgabe habe und sie sehr gewissenhaft wahrnehme und dass es durchaus in ihrem Interesse ist, wenn ein Zürcher Vertreter einen politischen Handlungshorizont hat, der weit über die Kantons- und die Landesgrenzen hinaus geht.
Zudem ist im von Ihnen hergestellten Zusammenhang wichtig: Die Abstimmungsergebnisse im Nationalrat haben sich durch meine entschuldigten Abwesenheiten nie geändert, weil ich nur ganz selten der einzige Schweizer bin in den Kommissionen. Konkret: Am vergangenen Donnerstag war auch Frau Fiala im Büro des Europarates und sie hätte in Sachen Rüstungsindustrie leider anders gestimmt als ich; heute ist Herr Bugnon von der SVP hier, der in Bern meist auch das Gegenteil von mir stimmt.
In dieser Session - ich werde nur die dritte Woche vollständig in Bern sein können - sind die Gleichzeitigkeiten mit dem Europarat ausserordentlich. Dazu kam meine Kandidatur in Stockholm und das Treffen in Zürich – glauben Sie mir: Mich selber ärgert es am allermeisten, dass ich nicht an möglichst allen Abstimmungen in Bern teilnehmen kann.
Und ich bitte Sie auch zur Kenntnis zu nehmen, dass ich in der vergangenen Wintersession keine einzige Abstimmung im Nationalrat verpasst habe und dass ich im Europarat der Einzige bin, der an praktisch allen Abstimmungen teilgenommen hat. Klare Zahlen vermögen dies am besten zu illustrieren: Fünf Jahre lang, das heisst in 20 Sessionen habe ich von über 2000 Abstimmungen gerade mal an deren 3 meine Stimme nicht abgeben können! An meiner Seriosität und meiner Verpflichtung gegenüber den Wählerauftrag kann also kaum einer zweifeln. Ausser er will es, weil er mit meinem Engagement in der Schweiz und Europa nicht einverstanden ist ...
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