24. Nov. 2013

Schweiz am Sonntag

Dies ist (mal wieder) aus exemplarischen Gründen ein Vorabdruck eines Ar­ti­kels, resp. Interviews. Wir sind gespannt, wie­viel und was schluss­end­lich in der Zeitung Auf­nah­me finden wird. Und wieviel und was (meist ist dies der be­deu­tend grössere Teil) dem Zeit(ungs)geist geopfert wird ... --- Was, wie in den Antworten beklagt, dazu führt, dass der Öffent­lich­keit mehr und mehr die notwendigen Diskurs­grund­la­gen fehlen, um die von allen gewünschte Demokratie auch wirklich leben zu können. - (FK)

Sollte sich das Parlament durch Volksinitiativen gelähmt fühlen, so wäre dies erbärmlich


Fragen: David Cassidy (SchwamS)

In den letzten Jahren wurden ja diverse Volksinitiativen angenommen, deren Umsetzung sich schwierig gestaltete oder nicht dem Willen der Initianten entspricht. Manchmal, aber nicht immer (Verwahrungs­ini­tia­ti­ve, Zweitwohnungsinitiative) spielte dabei ein Konflikt zwischen inter­na­tionalem und Landesrecht mit. -- Welche Gefahren birgt Ihrer An­sicht nach die mangelhafte Umsetzung von Volksinitiativen für das Vertrauen der Stimmbürger in die Politik?

Wenn Volksinitiativen nicht so umgesetzt werden können, wie sie vor der Abstimmung allgemein verstanden und interpretiert worden sind, dann untergräbt dies letztlich die Direkte Demokratie; sie verliert ihre Legitimität und ihre einzigartige Bedeutung für die Integration der Schweiz und die Freiheit der Bürgerinnen und Bürger. Die Schweiz könnte nicht länger das bleiben, was sie heute politisch ist.

Ist es nicht problematisch, wenn Regierung, Parlament und Behörden eine Initiative nicht gemäss Initiativtext umsetzen?

Gewiss. Doch noch viel problematischer ist es, wenn Regierung und Parlament Volksinitiativen zur Volksabstimmung kommen lassen, von denen sie wissen, dass sie aus rechtlichen oder anderen faktischen Gründen nicht so umgesetzt werden könnten, wie dies der Text vor­sieht. Ist der Text unklar, dann liegt die Hauptverantwortung bei den Ini­ti­an­ten und die Bundesversammlung muss einen Gegenvorschlag aus­ar­bei­ten, der eindeutig ist und ebenso klar umgesetzt werden könnte. Ist die Umsetzung aus fundamental grund- oder menschen­rechtlichen Gründen nicht umsetzbar, dann muss die Bundesversamm­lung den Mut haben, die VI ganz oder teilweise ungültig zu erklären. An diesem Mut und dem dazu notwendigen Sachwissen fehlte es bisher der Bundes­ver­samm­lung zu oft. Wobei einzugestehen ist, dass eine solche rechtliche Prüfung eigentlich Sache des Bundesgerichtes sein müsste. Doch die gleichen, denen der Mut und die sachliche Kompetenz zur richtigen Einschätzung einer Volksinitiative fehlen, sind jene, die sich der Verlagerung der Gültigkeitsbeurteilungs-Kompetenz an das Bundesgericht widersetzen. --- Wenn die Initianten ganz bewusst Grundrechte, Menschenrechte oder wichtiges Völkerrecht brechen wollen, dann müssen sie zuerst eine entsprechende VI lancieren, in der nur dies verlangt wird, beispielsweise eine Aufkündigung der EMRK, der Europäischen Menschenrechtserklärung, was auch den Rauswurf aus dem Europarat mit sich bringen würde.

Wie beurteilen Sie die Zunahme von (angenommenen) Initiativ­be­geh­ren in den vergangenen Jahren?

Die Zunahme der VI generell hat verschiedene Ursachen: Die Schwä­che der Parteien, sich anderswie Gehör verschaffen zu können, ver­führt sie zu schnell zu zu vielen Volksinitiativen. Das Parlament ver­mag oft zu viele Menschen mit seiner Art, gewisse Probleme zu lösen, nicht zu überzeugen. Drittens ist es schwieriger geworden, wich­ti­ge Kompro­mis­se zu schliessen. Es gibt immer wieder Verlierer, die sich mit einem Kompromiss nicht abfinden mögen und mit einer VI nachbessern wol­len. Viertens zeigen sich Probleme schneller, als das Parlament fähig ist, überzeugende Lösungen zu verwirklichen. Und fünftens, und dies ist sehr gut so, wollen mehr Leute eigene Vorschläge zur Diskus­sion stellen, als diese einfach dem Parlament zu überlassen. --- Was die angenommenen Volksinitiativen betrifft: Die Kraft der wichtigsten Par­teien, die Bürger von ihren Beurteilungen zu überzeugen, ist schwach geworden. Das liegt nicht primär an der Güte deren Argu­men­ta­tion, sondern an den fehlenden Ressourcen, die Parteien und nicht wirt­schaftlich geleitete Interessengruppen in der Schweiz zur Verfügung haben sowie an der abnehmenden Diskursqualität der Medien. Auch diese erliegen zu oft dem zügigen, süffigen, sexy Anliegen und vermögen die notwendige Debatte nicht gründlich und ausführlich genug zu führen. Im Übrigen ist es aber erfreulich, dass heute Volks­initiativen eher angenommen werden als früher. Doch es bleibt sehr schwer.

Ist sie gesundes Ventil und Antriebsfeder der direkten Demokratie – oder hat sie ein Ausmass angenommen, das die Politik lähmt?

Erstens dürfen Sie die Institutionen (Parlament, Parteien, Politiker etc.) nicht einfach wie in Deutschland oder Frankreich als «Politik» bezeich­nen oder sie mit ihnen verwechseln oder gar gleichsetzen. In der Schweiz mit der DD gehören die BürgerInnen zu dieser Politik wie der Teufel zur Hölle. Zweitens müssen sich diese Institutionen, Parteien und Politiker den Bedürfnissen der Bürger und ihrem Engagement anpassen und nicht umgekehrt. Der Betrieb braucht also die Ressour­cen und die Fähigkeiten zur richtigen Bearbeitung dessen, was der Bürger und die Bürgerin einbringen und von ihm verlangen. Der Hund wedelt mit dem Schwanz und nicht der Schwanz mit dem Hund. Sollte sich das Parlament gelähmt fühlen, so wäre dies erbärmlich. Es braucht nur mehr zu arbeiten und schnell könnte es sich aus dieser vermeint­li­chen Lähmung befreien. Dies ist nur ein Vorwand, um sich mit Dingen nicht befassen zu müssen, die man nicht schätzt. Dann sollte man sich aber auch nicht ins Parlament wählen lassen.

Oder ist nicht die Quantität, sondern die Qualität der Initiativen das Problem?

Die Qualität gewisser Initiativen ist tatsächlich ein Problem ebenso wie der Umgang mit den Gegenvorschlägen. Dazu haben wir noch keine angemessene Kultur entwickelt. So war beispielsweise die Minder-Initiative ausgesprochen schlecht formuliert; seine Unzufriedenheit mit der Verordnung des Bundesrates muss sich Herr Minder an den eigenen Hut stecken. Zudem haben Sonderinteressen verhindert, dass ihr ein angemessener Gegenvorschlag entgegengestellt worden wäre, welche die Grundanliegen besser aufgenommen hätte.

Braucht es Ihrer Ansicht nach höhere Hürden für Volksinitiativen?

Sicher nicht. Sonst könnten nur wieder jene sie gebrauchen, die eh schon viel Macht haben und in den Institutionen gut vertreten sind. Das Wesen der DD ist die feine Teilung der Macht und die Möglichkeit auch wenig Privilegierter, ihrem Anliegen und dem, was sie als Unrecht empfinden, Gehör verschaffen zu können. So kommt der Reichtum der Gesellschaft auf ihren Tisch und kein Problem kann übersehen werden. Wenn Sie das Glas einer Feuermeldeanlage zu dick machen, dann brennt das Gebäude nieder, bevor sie den Hammer gefunden haben und Alarm schlagen konnten.

Eine höhere Unterschriftenzahl?

Auch dies sicher nicht. Der Verlust der Urne als effizientester Ort des Un­terschriftensammelns angesichts des 90%igen Gebrauchs der Brief­wahl macht die Erleichterungen durch das Internet und den Computer mehr als wett. Es ist nicht einfacher geworden, für anspruchsvol­le Volksinitiativen Unterschriften zu sammeln. Sonst gäbe es noch weit mehr, denn dringende aber anspruchsvolle Reformen sind mehr als hängig.

Eine Verkürzung der Sammelfrist?

Nein, auch dies würde nur etablierten, grossen Organisationen dienen. Damit würden Sie jene bestrafen, die oft die originellsten und interes­san­testen VI lancieren: Jene, die sich mit einer VI und dank ihrer neuen Idee erst finden müssen und Zeit brauchen. Diese grosszügigen Fristen sind eines der grossen Gütezeichen der schweizerischen Direkten Demokratie, derer sich viele SchweizerInnen aber nicht bewusst sind.

Anderweitige Einschränkungen des Initiativrechts, die mögliche Auswüchse korrigieren?

Es muss viel mehr in die politische Bildung, in die Fairness der öf­fent­lichen Auseinandersetzung, in die Qualitätsmedien, in die Trans­pa­renz der Geldquellen und in andere Elemente der Infrastruktur der Direkten Demokratie investiert werden. So könnten wir Probleme lösen, statt neue anzuhäufen und alte zu verlagern.

Ein Verfassungsgericht, wie Sie es seit langem fordern, war ja bisher nicht mehrheitsfähig …

Das wird dennoch bald kommen, denn bald geht es um Eigentums- und Prozessverfahren, die seit einiger Zeit Bundessache sind und nicht mehr den Kantonen unterstehen, in denen das Bundesgericht eine verfassungsgerichtliche Kompetenz hatte. Es geht um die Erweiterung unserer Verfassungsgerichtsbarkeit auf den Bund, nicht um dessen Einführung!

Und: Was macht eigentlich die Landhausversammlung? Jemand sagte mir, man habe im Herbst schon die Auflösung traktandiert.

Einer hat aus Verzweiflung tatsächlich diesen Antrag gestellt, wir haben sofort lange und ausführlich darüber diskutiert, den Antrag verworfen und aus der Verzweiflung neue, positive Energie entwickelt, welche die Landhausversammlung 2014 spürbar kräftiger und bemerkbarer machen wird!


Kontakt mit Andreas Gross



Nach oben

Zurück zur Artikelübersicht