11. Sept. 2013
Basler Zeitung
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Die Parteien sind heute nicht mehr in der Lage, ihrem verfassungsmässigen Auftrag nachzukommen
Baz / Sereina Gross
Die Initiative zur Abschaffung der Wehrpflicht wird ohne gosse Diskussion sang- und klanglos untergehen. Was ist passiert?
Andeas Gross: Der GSoA hat den Fehler gemacht, die Initiative nicht breiter abzustützen. Die Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht ist ein Anliegen der GSoA geblieben. Das ist die grosse Schwäche der öffentlichen Diskussion dieser Initiative. Es hat zur Folge, dass sich die Gegner auf die Armeeabschaffer einschiessen können und dass es kaum eine Diskussion über das eigentliche Thema, die Wehrpflicht, den Zwang in einem freiheitlichen Staat, gibt.
Was hätten Sie anders gemacht?
Ich hätte Persönlichkeiten in den Vordergrund gerückt, die nichts mit der GSoA und der Armeeabschaffung zu tun haben, die aber gegen die Wehrpflicht sind. Die gibt es nämlich, zum Beispiel bei den Jungfreisinnigen oder im Basler Regierungsrat. Zudem hat man es verpasst, das Thema nach der Einreichung der Initiative fest zu verankern. Das passiert leider übrigens oft.
Die GSoA kann heute keine Themen mehr setzen. Was muss sie ändern?
Der Name ist ein Problem. Er führt dazu, dass jeder Vorschlag von ihr torpediert wird, auch wenn er sehr vernünftig ist. Ich versuchte die Organisation schon Mitte der 1990er Jahre zu einer Demokratiebewegung umzubauen.
Warum sind Sie damit gescheitert?
Weil viele junge Leute die sensationelle Erfahrung von 1989 verständlicherweise auch erleben wollten, das grossartige Resultat von 36 Prozent bei der ersten Armeeabschaffungsinitiative. Doch das geht nicht. Das ist wie die erste Liebe. Die gibt es auch nur einmal.
Warum legt sich ihre Partei, die SP, nicht mehr für die Initiative ins Zeug?
Die SP hat ihre Priorität auf den November und die 1:12-Initiative gelegt und nicht auf den 22. September. Sie ist, wie die CVP und die FDP, gezwungen, solche Prioritäten zu setzen und damit einzelne Abstimmungsvorlagen zu vernachlässigen. Die Parteien sind heute nicht mehr in der Lage, ihrem verfassungsmässigen Auftrag nachzukommen, wonach sie überall ihren Beitrag zur Meinungsbildung leisten. Dazu kommt die Krise bei der Presse, die der intensiven und differenzierten öffentlichen Diskussion auch nicht förderlich ist. Der Schweizer Demokratie droht so die Seele abhanden zu kommen, die differenzierte Diskussion. Die Schweizer Demokratie funktioniert nicht mehr richtig, sie hat einen Defekt. Sie müsste dringend in die Garage, zur Generalüberholung.
Sind Sie eigentlich noch für die Abschaffung der Armee?
Nein, heute ist die Abschaffung der Wehrpflicht klüger, denn es gibt einen Bedarf an gut ausgebildeten Soldaten, die im Rahmen der UNO weltpolizeiliche Aufgaben wahrnehmen. Nicht um Frieden zu erzwingen, sondern um den Frieden dort zu schützen, wo zum Beispiel ein Waffenstillstand vereinbart wurde. In gewissen Situationen braucht es Soldaten, die an der Waffe ausgebildet sind, nicht um sie zu brauchen, sondern um diejenigen, die sie brauchen wollen, daran zu hindern. Deshalb kann es sinnvoll sein, eine kleine Armee zu haben.
Wie sieht es mit der Verteidigungsarmee aus?
Die Schweiz braucht keine Armee zur klassischen nationalen Verteidigung. Die Schweizer Armee ist heute sicherheitspolitisch irrelevant. Selbst wenn man sie auf Null abbauen würde, würde sich bezüglich unserer Sicherheit nichts ändern. In Europa bedrohen sich die Staaten nicht mehr, so wie einander Zürich und Basel nicht mehr bedrohen. Das war vor ein paar hundert Jahren auch noch nicht selbstverständlich. Das ist eine Dividende der Geschichte, die man einfahren sollte. Auf der elektrischen Eisenbahn brauchte es vor 100 Jahren auch keinen Heizer mehr.
Warum soll die allgemeine Wehrpflicht abgeschafft werden?
Der demokratische Staat hat kein Recht, die Lebenszeit seiner Bürger in Anspruch zu nehmen, es sei denn, er ist bedroht. Darauf hat der in Basel lebende Philosoph Hans Saner schon in den Sechzigerjahren aufmerksam gemacht. Dem Zwang zum Militärdienst fehlt in einem freiheitlichen Staat die Legitimation. Es geht um die Frage, wann der Staat das Recht hat, den Bürger zu etwas zu zwingen. Doch diese Frage wird nicht diskutiert. Stattdessen drischt man auf die Armeeabschaffer ein.
Das würde heissen, im Bedrohungsfall wären Sie damit einverstanden, dass der Staat die Armeepflicht wieder einführt?
Ja, wenn die Armee die richtige Antwort auf die Bedrohung wäre. Wenn es wirklich so ist, dass es 100'000 Armeeangehörige braucht, um die Existenz der Schweiz zu sichern, dann kann man die Wehrpflicht wieder einführen. Das ist ja das Schöne an der Demokratie, dass man immer wieder gescheiter werden kann und auf einen Entscheid zurückkommen könnte, wenn es denn wirklich Sinn macht.
Die Initiative will die Wehrpflicht abschaffen, der Verfassungsartikel aber, wonach die Armee nach dem Milizprinzip organisiert ist, bliebe. Es bliebe also bei der Milizarmee.
Der Begriff Milizarmee ist unscharf, um nicht zu sagen ein Mythos. Mein Vorschlag ist eine Freiwilligenarmee. Das würde bedingen, dass der Staat denjenigen, die zwei, drei Jahre lang Militär- oder einen anderen Dienst leisten wollen, etwas zurückgibt.
Was zum Beispiel?
Da kann man sich vieles vorstellen, zum Beispiel eine bezahlte Ausbildung. Oder ein Bonus bei der AHV oder bei den Steuern. Jeder Armeeangehörige schliesst einen Vertrag mit dem Staat ab: Ich gebe Dir etwas, Du gibst mir ebenso etwas.
Das würde dazu führen, dass tendenziell sozial Unterprivilegierte Militärdienst machen, wie in den USA.
Für die USA stimmt das. In den USA ist die professionelle Armee eine Armee der armen Leute. Ich glaube nicht, dass es in der Schweiz so weit käme.
Die Gegner sagen, die allgemeine Wehrpflicht sei die beste Garantie dafür, dass eine Armee nicht auf ihre Bürger schiesst.
So hat der grosse französischen Sozialist Jean Jaurès vor dem ersten Weltkrieg mit Blick auf die Schweizer Armee argumentiert. Dagegen spricht die Erfahrung, dass in Basel und Genf in den Dreissigerjahren trotzdem auf Arbeiter geschossen wurde. Das Argument zieht heute noch weniger. Es ist heute unvorstellbar, dass der Bundesrat die Armee im Innern gegen Oppositionelle einsetzen würde. Das war übrigens bereits anfangs der Achtzigerjahren so, als Kurt Furgler bei den Zürcher Unruhen 1980 den Einsatz der Armee erwog und Willi Ritschard ihm mit dem Rücktritt drohte. Auch der Bundesrat weiss, dass dies nur schief gehen und die Armee noch ganz und für immer diskreditieren würde.
Kontakt mit Andreas Gross
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