31. Mai 2013

Le Temps

Macht und gesalzene Erdnüsschen:
Einige bekommen nie genug davon!



Von Andreas Gross

Politische Macht und gesalzene Erdnüsschen haben etwas gemein­sam: Wer einmal begonnen hat, daran zu knabbern, kann kaum mehr aufhören und bekommt nie genug davon. Er will immer mehr. Und schlägt alle Einwände und Einrichtungen, die ihn daran hindern, aus dem Weg. Daran musste ich denken, als ich am Mittwoch las, wie unkritisch, institutionenblind und mit welch autoritärem Machtver­ständ­nis der Waadtländer Regierungspräsident Maillard für die Direktwahl des Bundesrates durch das Volk und einen entsprechenden fundamen­ta­len Systemwechsel argumentierte (Le Temps vom 28. Mai).

Glücklicherweise wachsen in der Schweiz nun aber kaum Erdnüsse. Unsere Eichhörnchen müssen mit Haselnüssen vorlieb nehmen. Auch die politische Macht ist seit etwa 130 Jahren – durchaus als Reaktion auf schlechte Erfahrungen mit Einzelnen, die zu viel für sich bean­sprucht hatten - ausgesprochen fragmentiert und in mancherlei Hinsicht fein verteilt auf verschiedene Instanzen, die einander im Interesse Aller im Zaun halten.

In dieser Hinsicht sind der Föderalismus und die Direkte Demokratie Zwillinge, die einander helfen und ergänzen. Der eine verhindert die Zentralisierung und dezentralisiert die politische Handlungsmacht. Die andere verhindert die Herrschaft der Repräsentanten und verhilft den Bürgerinnen und Bürgern auch zwischen den Wahlen zu viel Einfluss. Und bringt sie über die sachspezifische Diskussion, den zivilisierten Streit, zusammen.

Die Direkte Demokratie demokratisiert aber auch die Parlaments- und Regierungsarbeit. Es gibt keine fixen Mehrheiten, auf die von oben einfach zurückgegriffen werden kann. Jede Sache muss auf allen Ebenen – Regierung, Parlament, Volk – ihre Mehrheit suchen und finden. In diesem System kann keiner befehlen, jeder muss den ande­ren erst überzeugen, wenn etwas gelingen soll. Das stört jene, die glauben, alleine die Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben. Macht­menschen wie Blocher, Calmy-Rey oder eben Maillard ist dieses System zu mühsam. Deshalb muss es gestrafft, hierarchisiert und oben mit mehr autokratischer Durchsetzungsmacht versehen werden. Nichts anderes würde die Änderung des Wahlsystems des Bundesrates bewirken.

Eine fein ausgestattete Demokratie ist das System der Diskussion. Schon Perikles wusste, dass eine gute Diskussion die Voraussetzung für eine weise Entscheidung ist. Vernünftige Ordnungen können anders nicht gefunden und aufgebaut werden. Was passiert, wenn wenige zu schnell zu viel entscheiden können, haben wir mit grauenhaften Kon­se­quenzen in den vergangenen 100 Jahren an vielen Orten und in vielen Bereichen gesehen.

Wer wann wie viel auf andere hören, andere überzeugen muss, bevor entschieden werden kann, das bestimmen wir in der Art, wie wir die einzelnen politischen Instanzen legitimieren und aufeinander abstim­men. Unter den heutigen politischen Umständen werden die Regie­run­gen immer mächtiger. Sie haben mit einer grossen Verwaltung das professionelle Knowhow zu Diensten, bewegen sich als einzige auf der internationalen Ebene, in der sich Wege zur Problemlösungen auftun und entsprechende Möglichkeiten zeigen. Da mitzuhalten und trotz allem den Bundesrat zu zwingen, ihm und den von ihnen vertretenen Bürgerinteressen Gehör zu schenken und gegebenenfalls auch Vorlagen zu ändern, haben es Parlamente schwer. Wer dies nicht glaubt, frage beispielsweise Alt-National-, Stände- und Bundesrat Samuel Schmid, er wohnt immer noch in Rüti bei Büren an der Aare.

Zudem ist der schweizerische Bundesrat die einzige Regierung auf der Welt, die vom Parlament nicht zum Rücktritt gezwungen werden kann. Er geniesst also heute schon eine weltweit einzigartige Autonomie. Würde einem solchen Bundesrat jetzt auch noch die gleiche Legitimität zuteil wie dem Parlament, dann würde dieses noch mehr marginalisiert, zwischen Volk und Regierung aufgerieben. Der Bundesrat würde sich noch selbstherrlicher gebärden. Zumal er im Unterschied zu den bloss kantonal gewählten Abgeordneten erst noch auf eine landesweite Basis verweisen könnte. Gleichzeitig könnten wir die Kollegialität vergessen, die Konkordanz würde geschwächt und auch die meisten Medien wür­den noch machtfixierter, Einwände könnten unreflektiert vom Tisch gefegt werden und die öffentliche Diskussionskultur würde dadurch weiter verarmen.

Machtmenschen mag dies gefallen, doch die Demokratie würde be­schä­digt. Einige wenige könnten sich besser durchsetzen, viel mehr fühlten sich noch ohnmächtiger, kritische Einwände würden noch häu­figer überhört, Minderheiten marginalisiert, die Integrationskraft der Schweiz geschwächt, die Freiheit der meisten abgebaut. Dies sollten wir auch dann verhindern, wenn einige Alt-Bundesräte und solche, die es im alten System nicht werden konnten, meinen, sie könnten mit einem Systemwechsel einfacher regieren. Doch eine lebendige direkte Demokratie braucht ein starkes Parlament, auf das die Regierung hören muss und keinen autokratischen Bundesrat.


Kontakt mit Andreas Gross



Nach oben

Zurück zur Artikelübersicht