15. Mai 2013

«Nur scheinbar demokratisch -
Die Volkswahl des Bundesrates ist ein Rückschritt für die Demokratie».

220 Seiten.
Editions le Doubs 2013

11 Gründe, warum wir am
9. Juni 2013 Nein stimmen sollten



Von Andi Gross, Fredi Krebs
Dani Schönmann, Martin Stohler

Die Volkswahl des Bundesrats bringt kein Mehr an Demokratie - dafür eine Reihe von Problemen und demokratischen Rückschritten. Dies gilt nicht nur für den Fall der Annahme der SVP-Initiative, über die wir im Juni abstimmen, sondern ganz allgemein für eine derartige Systemänderung.

1.
Die Volkswahl des Bundesrats bringt den Bürgerinnen und Bürgern keineswegs mehr Demokratie


Wer über gesunden Menschenverstand und eine gute Allgemeinbildung verfügt, kann sich ein eigenes Urteil über Sachgeschäfte und Gesetzes­vorlagen bilden. Sich ein zutreffendes Urteil über die Eigenschaften und Fähigkeiten eines Menschen zu bilden, den man nicht persönlich kennt, ist ungleich schwieriger. Die Volkswahl des Bundesrats bringt nur scheinbar mehr Demokratie. In Wirklichkeit ermöglicht sie uns lediglich, unsere Sympathien für Personen auszudrücken, die wir gar nicht richtig kennen. Auch bei der Volkswahl wird der Entscheid letztlich von den Parteileitungen gefällt, die festlegen, wer nominiert werden soll und damit eine Chance erhält, gewählt zu werden.

2.
Die Volkswahl des Bundesrats schwächt den Einfluss der Bür­gerinnen und Bürger auf die Politik, indem sie das Parlament schwächt


Mit der Volkswahl des Bundesrats soll die Regierung eine höhere Legitimation erhalten und das Parlament geschwächt werden. Eine starke Demokratie kann aber kein schwaches Parlament brauchen. Wenn die Regierung die VolksvertreterInnen nicht mehr beachten muss, schwächt dies die Demokratie. Ein vom Volk gewählter Bundesrat wird versucht sein, an National- und Ständerat vorbei zu regieren und sich der Kontrolle durch das Parlament zu entziehen. Dies dürfte zu einer Schwächung des Parlaments führen, weil neu das Hauptinteresse auf die Bundesratswahlen gerichtet wäre und die Parlamentswahlen zweitrangig würden.

3.
Die Volkswahl des Bundesrats schwächt das Kollegialitätsprinzip und behindert die Arbeit des Bundesrats


Eine Regierung muss fähig sein, langfristige Ziele zu verfolgen, aber wenn nötig auch rasch zu reagieren. Dies setzt eine gute Zusammen­ar­beit voraus. Nach einem Systemwechsel zur Volkswahl müssten die einzelnen Mitglieder des Bundesrats auf Dauerwahlkampf machen und einander möglichst die Schau stehlen, um wiedergewählt zu werden. Dadurch würde das Gegeneinander-Arbeiten verstärkt und lösungs­orientierte Entscheidungen behindert. Die Konkordanz würde zerbre­chen und von der Kollegialität müsste Abschied genommen werden.

4.
Die Volkswahl des Bundesrats ist die falsche Antwort auf die Krise der Konkordanz und der Zauberformel


In den vergangenen 20 Jahren wurde die inhaltliche Basis der Konkor­danz, wie sie sich nach dem 2. Weltkrieg etabliert hat, immer schmaler, wodurch die Zauberformel der Bundesratssitz-Verteilung (1959 bis 2003) ein Ende gefunden hat. Die Suche nach einer neuen soliden Basis ist schwierig. Vor diesem Hintergrund kann es verlockend er­scheinen, die Parteien von der Aufgabe, ein Regierungsteam zusam­men­zu­stellen, zu entbinden. Dies löst aber das Problem nicht. Denn die Wahrscheinlichkeit, dass bei einer Volkswahl eine wild zusammen­ge­wür­felte Regierung gewählt wird, ist gross: Hundert­tausende Menschen können sich nicht über eine sinnvolle Zusammensetzung eines Regierungsteams verständigen. Die Wahl der Landesregierung darf nicht zur Ziehung der Lottozahlen verkommen, genauso wie die Auswahl der KandidatInnen mehr sein muss als eine Castingshow!

5.
Die Volkswahl des Bundesrats gibt Medien und finanzkräftigen Interessensgruppen ein zu grosses Gewicht


Die Medien sind Vermittler politischer Informationen und Hintergründe, ebenso wie unverzichtbare Voraussetzung für politische Orientierung und Urteilsfähigkeit. Die Volkswahl des Bundesrats würde unweigerlich dem Trend, Politik zu personalisieren und politische Analysen durch Homestories zu ersetzen, Vorschub leisten. Und nicht nur das: Durch Agenda-Setting und das Lancieren ihrer KandidatInnen können sie auf die Wahl von bestimmten Personen hinarbeiten, ohne dass die Öffent­lichkeit weiss, wer im Hintergrund wie die Weichen stellt und weshalb die Fäden zieht.

6.

Die Volkswahl des Bundesrats verhindert keinen politischen Kuhhandel


Auch bei der Wahl des Bundesrates durch das Volk würde es zu Absprachen zwischen den Parteien und natürlich auch innerhalb der Parteien kommen. Nachdem es in den vergangenen Jahren bei einigen Parteien üblich geworden ist, dass Kandidaten für ihren Spitzenplatz auf der Wahlliste tief in die Tasche greifen müssen, stellt sich auch die Frage, wie viel ein Spitzenplatz auf einer Bundesratsliste kosten und wer den finanzieren würde.

7.

Die SVP-Initiative gibt keine Antwort auf die Frage, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit ein Wahlvorschlag zustande gekommen ist


Die Schweiz hat ein Mehrparteiensystem. Bei der Volkswahl des Bundesrats ist es unwahrscheinlich, dass die WählerInnen zwischen einer Regierungs- und einer Oppositionsliste zu entscheiden hätten. Aufgrund der Erfahrungen in den Kantonen müsste mit einer Vielzahl von KandidatInnen gerechnet werden. In der Volkswahl-Initiative der 1940er-Jahre wurde diesem Problem wie folgt Rechnung getragen: «Wahlfähig ist jeder in den Nationalrat wählbare Schweizerbürger, der von mindestens 30'000 Stimmberechtigten unterschriftlich zur Wahl vorgeschlagen wird.» Nach einer vergleichbaren Bestimmung sucht man in der SVP-Initiative vergeblich. Offenbar will sie diese Problematik nicht thematisieren.

8.
Die SVP-Initiative teilt die Schweiz de facto in zwei Wahlkreise


Die Schweiz ist ein mehrsprachiges Land mit unterschiedlichen Lan­des­teilen. Die eidgenössischen Räte achten darauf, dass diese eini­germassen angemessen in der Regierung vertreten sind. Dies verlangt von den Parteien jeweils viel Umsicht und politisches Geschick. Die SVP weiss, dass es bei einer Volkswahl des Bundesrates zu einer Do­minanz der Deutschschweizer Kantone kommen könnte. Um dies zu verhindern, präsentiert sie in ihrer Initiative eine Lösung, welche die Schweiz in zwei Wahlkreise teilt, in denen die Stimmen unter­schied­liches Gewicht erhalten und das Tessin praktisch keinerlei Chancen hat, je wieder einen Bundesrat stellen zu können.

9.
Die SVP-Initiative will, dass der Bundesrat künftig in Majorzwahlen gewählt wird


Die SVP misst mit unterschiedlichen Ellen. Vom Parlament verlangt sie, dass es ihr aufgrund ihrer Wähleranteile zwei Bundesratssitze zuge­stehen müsse, ungeachtet dessen, dass die SVP sich schon lange von der inhaltlichen Konkordanz verabschiedet hat. Von solchem Proporz will sie bei der Volkswahl des Bundesrats nichts mehr wissen. Die soll gemäss Initiative nach dem Majorzverfahren erfolgen, welches verschiedenen Minderheiten keinerlei Chancen lässt.

10.
Die Wählenden können nicht einmal mündig und einmal unmündig sein


Die Initianten unterstellen, dass das Volk unfähig ist und aus ihrer Sicht ein schlechtes Parlament wählt, welches dann einen schlechten Bun­des­rat zusammenstellt. Warum also sollte, aus Sicht der Initianten, das gleiche Volk, das nicht einmal fähig sein soll, die geeignetsten Mit­bür­ger aus dem eigenen Kanton in den Nationalrat zu wählen (Leute, die oft im gleichen Ort wohnen, die gleichen Schulen besucht haben, in den gleichen Vereinen aktiv sind), plötzlich einen besseren Bundesrat wählen können? (Leute also, die in der Regel aus einer ganz anderen Region kommen.) Die Initianten hoffen, die Bundesratswahl leichter manipulieren zu können, ohne das störende, vom Volk gewählte Parlament; es geht ihnen um unkontrollierte Macht.

11.
Eine Volkswahl der Regierung ist kein neues Element der Direkten Demokratie


Wer die Volkswahl des Bundesrates als Krönung der Direkten Demo­kra­tie bezeichnet, erliegt einem fundamentalen Missverständnis. Kern der Direkten Demokratie ist die Abstimmung über Sachfragen. Die Wahl von Personen ist ein Zeichen der indirekten Demokratie, der Wahl von Repräsentanten. In einer Demokratie braucht es beides. Aber ver­wechseln darf man die beiden unterschiedlichen Formen der Demo­kra­tie nicht. Denn auch eine schwierige Sache ist immer einfacher zu ver­stehen als mancher Kandidat, vor allem wenn man ihn nur aus den Me­dien kennt. Einer Ausweitung des Wahlrechtes auf die Bundesregie­rung, die es so in keinem Land gibt, ziehen wir die weitere Stärkung und Verfeinerung der Direkten Demokratie vor (beispielsweise Ein­füh­rung der Gesetzesinitiative und Fairness bei Volksabstimmungen).


Kontakt mit Andreas Gross



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