3. März 2013
Sonntag
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Die Mediensituation in der Schweiz ist der politischen Bildung und Urteilsfähigkeit wenig zuträglich
Fragen: O. von Matt
Haben sich die Medien entpolitisiert? Wenn ja, weshalb?
Das muss man zuerst festhalten, was man unter Entpolitisierung versteht. Es geht dabei nicht um die Nichtbehandlung von politischen Themen und Fragen, obwohl das Gesamtvolumen von Innen- und Aussenpolitik gewiss abgenommen hat in den vergangenen 10 Jahren. Es geht vor allem um die Art, wie politische Themen behandelt werden. -- Und da gibt es vor allem in der deutschen Schweiz eine Uniformierung und eine Simplifizierung und Veroberflächlichung des Politischen in den Printmedien und in der TV statt, was als Entpolitisierungsprozess zusammengefasst werden kann. Ebenso gilt dies für die Art der Darstellung des Politischen: Des Personalisierens, der Emotionalisierung und des Skandalisierens.
Politisch wäre eine Durchdringung, eine inhaltliche vertiefte Analyse, sowie der öffentliche Widerspruch und die entsprechende sachbezogene Debatte in Bezug auf die Deutung und Einordnung der Ereignisse. Das wäre die Alternative zum heutigen over-newst und under-informed. Auf deutsch: Wir wissen mehr über Ereignisse und Meinungen und sind dennoch immer weniger informiert, weil mit der guten Information die Orientierung verbunden wäre, die Fähigkeit einordnen und Zusammenhänge sehen zu können, die dann nicht wie die meisten heute ohnmächtig machen, sondern urteils- und handlungsfähig.
In der Deutschen Schweiz äussert sich die Krise und die Erosion der politischen Öffentlichkeit auch darin, dass es keine öffentlichen Debatten und kaum eine Auseinandersetzung mehr gibt, was viele BürgerInnen in ihrer Suche und auch in ihrem Bemühen nach Orientierung und Perspektive allein lässt. - In der welschen Schweiz ermöglicht das Radio drei Stunden täglich diese Debatte, welche in der deutschen Schweiz völlig fehlt. Hier reden Journalisten lieber mit Journalisten und die Stellungnahmen von politisch Engagierten werden auf Soundbites reduziert, was der politischen Bildung und Urteilsfähigkeit wenig zuträglich ist.
Welche Tendenzen stellen Sie sonst noch fest; z. B: Gibt es politische Neuausrichtungen (siehe unten bei einzelnen Konzernen)?
Erstens: Es gibt eine Uniformisierung und Verflachung in der nationalen Berichterstattung und eine enorme Verarmung der Auseinandersetzung. Dabei erfüllt die ‚Arena‘ die Funktion der Karikatur dessen, was eine fruchtbare Auseinandersetzung wäre, aus der alle klüger herausgehen als sie eingetreten sind.
Zweitens: Kantonal gibt es, wenn überhaupt, nur noch monopolistische Öffentlichkeiten, ohne Konkurrenz, was das Geschäft auch verarmt und dazu führt, dass niemand mehr die Kraft und die Lust hat, schlummernden Tendenzen und Potentialen auf die Spur zu kommen und sie zu Wort kommen zu lassen.
Erste Folge: Für die demokratische Kontrolle von Macht ist dies katastrophal; Machtversagen und Machtmissbrauch werden so auch kaum mehr thematisiert. Das ist eine Art Vorstufe für Korruption.
Zudem: Dies hat eine Atomisierung der Gesellschaft zur Folge, eine Verkümmerung des Denkens. Und dies behindert gesellschaftliches Lernen schwer.
Können Sie kurz eine Einschätzung geben zu den wichtigsten Medienhäusern/Produkten (Tamedia, Ringier, NZZ, SRF, AZ-Medien, BaZ)?
Sie – die drei grossen sowie SRF - haben sich die Märkte aufgeteilt, als ob es um Suppen oder Schokolade ginge. Inhaltlich und sogar formal werden sie einander immer ähnlicher, schreiben einander auch ab – fruchtbarer Streit wie in um Basel ist selten und dort auf einem Niveau, das alle nach unten abgleiten lässt. Auf jeden Fall ist nicht erkennbar, dass man sich gegenseitig zu Hochflügen stimulieren würde.
Und ausgerechnet dort, wo Konkurrenz der Sache gut tun würde, hat man sich der Konkurrenz entledigt. Die Folge, immer mehr lesen gar keine Zeitung mehr.
Dass es auch anders geht und Substanz sogar Auflage stärkt zeugt auch in der Schweiz die ZEIT. Doch wer wie sogar die NZZ – vom TA reden wir nicht mehr – dort abbaut, wo er stark war, muss sich nicht wundern, dass die Auflage noch weiter erodiert. Für Engagierte sind Internetmedien Alternativen. Gesellschaftlich können diese jedoch nie kompensieren, was die traditionellen Blätter aufgeben und brachliegen lassen. Doch wenn der Markt die Voraussetzungen für eine starke und lebendigte Demokratie nicht mehr ermöglicht, hat der Staat im gesellschaftlichen Auftrag die Pflicht zu handeln.
Kontakt mit Andreas Gross
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