10. Okt. 2012

NZZ

«Ich würde nur ein einziges Wort
im heutigen Gesetz streichen»



Martin Senti, NZZ, 9.10.2012 Herr Gross, nachdem das Referendum gegen die Steuerabkommen gescheitert ist, wirft die Auns den Gemeinden vor, bei der Beglaubigung getrödelt zu haben. Wie beurteilen Sie diese Problematik?

Ob sie wirklich trödeln, wissen wir nicht mit aller Gewissheit. Tatsache ist, und das wissen alle, die schon Referenden oder Volksinitiativen organisiert haben: Die einen Gemeinden schicken die ihnen zur Beglaubigung zuge­san­dten Unterschriften sofort zurück, andere lassen sich Zeit damit und wählen dann erst noch nicht die schnellst mögliche Zustellungsweise. -- Dies ist tatsächlich eine grosse Schwäche in unserer gegenwärtigen Organisations­form der Direkten Demokratie, vor allem des fakultativen Gesetzesrefe­ren­dums: Alle Bürgerinnen und Bürger können in den 100 Tagen nach der Publikation eines im Parlament beschlossenen Gesetzes im Bundesblatt ein Referendum dagegen ergreifen und es zur Volksabstimmung bringen, wenn sie innert 100 Tagen mindestens 50’000 beglaubigte Unterschriften zusammenbringen. Sie haben also nur 100 Tage Zeit, können aber die Art nicht beeinflussen, wie zügig die Gemeinden beglaubigen. Damit müssen die Bürger die Folgen von möglicherweise ungenügend zügig arbeitenden kommunalen Behörden tragen; das ist eine strukturelle Schwäche in der heutigen Gesetzgebung, die unfair ist.

Falls tatsächlich mehrere Tausend Unterschriften durch die Gemeinden per B-Post verschickt wurden: Muss das Bundesgericht die Beschwerde der Auns gutheissen? Könnte das eine oder andere Referendum also doch noch zustande kommen?

Dies zu beurteilen ist Sache des Gerichtes, nicht die meine. Ich bin Parla­men­ta­rier und ich muss das Gesetz verbessern. Die Beurteilung um dessen richtige Anwendung ist Sache der Richter. Ich möchte ihr Urteil auch nicht durch eine unangemessene Aussage beeinflussen.

Der Bund hat in den vergangenen Jahren die Personenregister zentralisiert oder zumindest kompatibel gemacht. Warum müssen bei Unterschriften­samm­lungen eigentlich immer noch zunächst die Gemeinden beglaubigen?

Ich bin nicht sicher, ob eine Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer heute eine zentrale Einwohnerkontrolle beim Bund akzeptieren würde. Der bürokratische Aufwand wäre wohl ungleich grösser, ebenso die Gefahr des Missbrauchs und die Quellen für Irrtümer und Fehler. Doch um die heutige Unfairness zu überwinden, müssen wir gar nicht so weit gehen.

Es gibt den Vorschlag, die Fristen für Einreichung und Beglaubigung zeitlich zu trennen, wie das der Kanton Bern macht, was halten Sie davon?

Meine Reformidee geht in diese Richtung: Ich würde ein einziges Wort im heutigen Gesetz streichen und innert den 100 Tagen bloss zumindest 50'000 Unterschriften verlangen. Diese würden dann anschliessend unter der Ober­aufsicht der Bundeskanzlei in Zusammenarbeit mit den Gemeinden beglau­bigt. Dies hätte den grossen Vorteil, dass der Bund, der ein Interesse an einer möglichst schnellen Beglaubigung an, mit den Gemeinden entspre­chend verkehrt und sie im Falle von Verzögerungen anmahnt. Die Organi­sa­to­ren des Referendums müssten dann in den 100 Tagen möglichst viele Un­ter­schriften sammeln; je seriöser sie dies tun, umso sicherer sind sie, dass ihnen dies auch gelingt, selbst wenn sie die absolute Gewissheit zum Zeitpunkt des Ablaufs der Frist noch nicht haben und dafür den Beglaubi­gungs­pro­zess unter der Regie der Bundeskanzlei abwarten müssten. Doch diese Gewissheit haben sie ja, wie wir gesehen haben, auch heute nicht. Dafür könnten sie sich mit der neuen Regelung ganz auf das Sammeln der Unterschriften und auf die Überzeugungsarbeit bei den Bürgerinnen und Bürgern konzentrieren, könnten sich die Beglaubigungs­an­stren­gun­gen und das entsprechende Porto sparen und würden also etwas mehr Zeit für die politische Arbeit bekommen.

Es gibt auch Forderungen nach klareren Vorgaben für die Gemeinden, was die Termine anbelangt. Wie stehen Sie dazu?

Dies scheint mir weniger erfolgversprechend. Der Bund kann den Gemein­den schlecht Vorschriften machen und hat schon gar keine Sanktionsgewalt. Der Umgang mit den Gemeinden ist schliesslich eine der grossen fast absoluten Vorrechte der Kantone. In dem wir aber im Gesetz die Anreize anders organisieren und dem Bund, das heisst also einer Behörde, die Folgen des möglichen Trödelns einer anderen Behörde, der Gemeinde­kanzleien, tragen lassen, werden die Gemeindekanzleien vorsichti­ger sein, sich um Speditivität bemühen und die Bürgerinnen und Bürger bekommen die Gewissheit, nicht schuldlos in der Wahrnehmung ihrer politischen Rechte beeinträchtigt worden zu sein.

Die Bundeskanzlei bastelt im Bereich E-Democracy seit längerem an der Möglichkeit der elektronischen Stimmabgabe wie auch der elektronischen Unterschriftensammlung. Begrüssen Sie diese Anstrengungen?

Selbstverständlich. Doch sie werden die Papier-Praxis ergänzen und noch lange nicht ersetzen. Deshalb wird das heutige Problem dadurch nicht überwunden werden sondern bedarf einer Lösung ohne Elektronik.

Gäbe es andere Möglichkeiten, die Problematik kurzfristig anzugehen?

So schnell und einfach wie die Änderung eines einzigen Wortes scheint mir kein anderer Weg. Dieses Vorgehen würde allen dienen: Die Bürger hätten mehr Zeit für die politische Referendumsarbeit und weniger bürokratische Auflagen, die Gemeinden bekämen weniger, dafür grössere Pakete und der Bund würde Herr des zeitlichen Rhythmus und könnte dies entsprechend speditiv organisieren.

Planen Sie diesbezüglich einen Vorstoss?

Ich würde vor der nächsten Session meiner Fraktion eine entsprechende Parlamentarische Initiative vorschlagen. Das ist, vor allem wenn der poli­tische Willen parteiübergreifend existiert, der schnellste Weg der klugen Reform.

Generell wird seit jeher darüber gestritten, ob die Hürden für Initiativen und Referenden zu hoch oder zu niedrig sind, eigentlich haben sich die Hürden doch bewährt?

Ich würde vor allem beim Referendum an den Hürden nichts ändern. Zwar stimmen immer mehr Bürgerinnen und Bürger – in den Städten sind dies bereits über 90% der Stimmenden – per Brief ab und gehen nicht mehr ins Urnenlokal, vor dem jahrzehntelang am effizientesten für neue Referenden und Volksinitiativen Unterschriften gesammelt Die immer kleiner werdende Bedeutung des Urnenlokals hat eine kalte Erhöhung der alten Hürden zur Folge, weil heute vor der Post oder dem Coop oder der Migros etwa viermal mehr Zeit aufgebracht werden muss als vor dem Urnenlokal. Das wird durch das Internet und den Computer als neuere Organisationshilfen nicht ausge­glichen. So rechtfertigt sich auch die kleine Begünstigung der engagierten Bürgerinnen und Bürger, wenn die Beglaubigungsanstrengungen aus der 100tägigen Frist ausgegliedert würde. Bei der Volksinitiative würde ich dies nicht tun. Dort könnte man dafür über die Verlängerung der möglichen Sammelzeit von 18 auf 24 Monaten nachdenken. Schliesslich sind diese Hürden politische Feuermelder, die nicht zu hoch sein sollten, wenn sie ihre Funktion erfüllen und die Volksrechte nicht zu einem Privileg gut organisierter, eh schon mächtiger und mit Geld gut ausgestatteten Organisationen verkommen soll.


Kontakt mit Andreas Gross



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