20. Juli 2012

sda

Rumänien:
Andreas Gross wirft EU
falschen Umgang mit Rumänien vor



Der Präsident der sozialdemokratischen Fraktion im Europarat, der Schweizer Andreas Gross, hat der EU einen falschen Umgang mit der Staatskrise in Rumänien vorgeworfen. Er sagte, es sei der Demokratie «nicht sehr förderlich, wenn man wie ein Schulmeister auftritt». Die EU kümmere sich viel zu wenig um die «inneren demokratischen Zustände» und den Respekt vor der Menschenwürde in dem Land, kritisierte Gross am Freitag im Deutschlandradio Kultur. «Ihr geht es immer viel zu sehr nur um den Markt, ums Geschäft.»

Die Gesprächspartner in Rumänien, darunter Regierungschef Victor Ponta, Interimspräsident Crin Antonescu und der suspendierte Präsident Traian Basescu hätten die offenen Gespräche mit den vier Vertretern des Präsidialauschusses des Europarats geschätzt, sagte Gross der Nachrichtenagentur sda. Es sei nötig, dass Delegierte der EU und des Europarats nach Rumänien gingen, um anhaltende Gespräche zu führen und begleitend eine weitere Eskalation des Verfassungskonflikts zu vermeiden. Es brauche die Einleitung einer Verfassungsänderung, um eine neue Qualität der Demokratie zu verankern.

Staats- und Verfassungskrise

Rumänien stecke heute in einer eigentlichen Staats- und Verfassungskrise, die sich zur offenen Gewalt entwickeln könne, betonte Gross. Das Problem der heutigen Verfassung ist laut Gross unter anderem, dass der Präsident direkt vom Volk gewählt wird, das Land aber über kein Präsidialsystem wie Frankreich oder die USA verfügt. Weil Staatspräsident und Premierminister über die gleiche Legitimation verfügen, kommen sie sich zunehmend in die Quere, zumal beide die demokratischen Rechte ganz auf sich alleine beziehen.

Keine Kultur des Dialogs

Gross hatte sich am Mittwoch und Donnerstag bei einem Besuch selbst einen Eindruck von der aktuellen Situation in Rumänien verschafft. Er kritisierte, in Rumänien werde die Demokratie auf das Mehrheitsprinzip reduziert. Die Mehrheit sei der Ansicht, immer alles machen zu dürfen und sich gegen jegliche Kritik und Gegengewalten durchsetzen zu können, sagte er.

So handle auch die sozial-liberale Koalition von Regierungschef Ponta wie zuvor die konservative Koalition unter der Führung des 2009 gewählten Präsidenten Basescu. «Es gibt überhaupt keine Kultur des Dialoges, keine Kultur des Kompromisses, der Verständigung und der Zusammenarbeit», kritisierte der SP-Nationalrat. Die Regierung fahre fort, «das Land in Dekreten, in Schnellbeschlüssen ohne Diskussion im Parlament zu regieren.»

Volksabstimmung über Amtsenthebung

Doch auch von dem zurzeit suspendierten konservativen eher unpopulären Präsidenten Basescu erwartet Gross, dass er nach einem überstandenen Amtsenthebungsverfahren autoritär regieren werde: «Basescu hat mit uns in einer Art geredet, wo man für den Tag nach dem Referendum vom 29. Juli das Schlimmste befürchten muss.»

Die Volksabstimmung über die Absetzung von Basescu wird nach den Worten von Gross keine Lösung bringen, da sie nur bei einer Stimmbeteiligung von mindestens 50 Prozent der Wahlberechtigten gültig ist, was aus verschiedenen Gründen nicht erreicht werden könne. Ponta treibt derzeit ein Amtsenthebungsverfahren gegen Basescu voran. Die EU-Kommission wirft ihm dabei systematische Verletzungen des Rechtsstaats und der Unabhängigkeit der Justiz vor und verlangt eine Reihe von Reformen sowie die Rücknahme mehrerer Eilverordnungen.


Kontakt mit Andreas Gross



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