7. April 2012

Weltwoche
Bund

Revolutionäre Fabel gegen den Fusel


Zur Erzählung «Löwenzahn» von Oskar Freysinger
(Weltbildverlag, Olten, SFR 19.90, 63 Seiten)


Oskar Freysinger ist in der Westschweizer Öffentlichkeit nicht zu überhören. Er gehört zu den lautesten Stammgästen des welschen Radios: Der Unterwalliser geht keinem Streit aus dem Weg, auf französisch immer sehr direkt, deftig, manchmal grob. Seit seinem Kampf gegen die Minarette in der Schweiz, seinem Kreuzrittertum gegen den Islam und seinen Verbrüderungen mit europäischen Rechtsradikalen von Marie Le Pen bis Wilders ist er in der Romandie so berühmt wie berüchtigt.

Im Nationalrat, wo Freysinger als einziger, nicht nur von der SVP, den Rossschwanz mit dem Anzug zu verbinden weiss, spricht er manchmal auch deutsch, fast bühnendeutsch, und dies hört sich mit einem leicht österreichischen Akzent in der Form ungleich feiner, leichter, fast vornehm an.

Wenn nun das Walliser Mitglied des serbischen Autorenverbandes im Weltbildverlag, einem der grössten Versandhäuser Europas, in dem auch Joachim Gaucks Plädoyer für die Freiheit zu haben ist, ein Büchlein herausgibt, eine Erzählung unter dem Titel Löwenzahn, dann macht dies gwundrig.

Erst recht, wenn es von der ersten Frau im Bundesrat, Elisabeth Kopp, so lobend eingeführt wird. Die Alt-Bundesrätin von der Zürcher Goldküste distanziert sich zwar von den «politischen Ideen des Autors», billigt aber seinen «literarischen Werken» eine «hohe Qualität» zu und verspricht allen, welche «allfällige Vorurteile ablegen» für ihre Lektüre «eine reichliche Belohnung».

Womit hat sich Freysinger den Zuspruch der Pionierin unter den helvetischen Oekoliberalen verdient? (Begegnungen gab es ja sicher bereits anlässlich der Übersetzungsarbeiten Freysingers für Hans W. Kopps Gedichtband «Schöpfung». Anmerkung des Setzers Fredi Krebs) - Seine Erzählung Löwenzahn, schon vor einem Jahr auf französisch erschienen und vom Berner Zytglogge-Verlag abgelehnt, ist eher eine Fabel, ein kleines Märchen für alt und jung. Die Geschichte handelt von einem «alten Mann an der Suone», so der Untertitel, einem leicht verschroben grünen Rebell, welcher ganz handfest gegen die im Rohnetal nicht wenig verbreitete Monokultur des eintönigen, aber einträglichen Rebbaus («Fusel») aufbegehrt. Dazu pflanzt er entlang eines drei Kilometer langen Wasserlaufes («Suone») mitten im Rebhang jede Nacht über Jahre hinweg immense Mengen von unterschiedlichen Blumen- und Kräutersamen, die nach und nach und gegen teilweise heftigen Widerstand der Rebbauern deren Monokultur in eine überaus lebendige, vielfältige und farbenprächtige Blumenlandschaft verwandeln.

Erzählt wird die Kurzgeschichte aus der Perspektive des von seiner Mutter verlassenen Enkels, dem sich der Grossvater anzunehmen hatte und der von ihm in die aufmüpfige Kunst der Botanik und dieser besonderen grünen nächtlichen «Revolution» zu zweit liebevoll eingeführt wird. Wobei dieser Aufstand nicht nur dem Jungen die Augen öffnet für die verborgenen Schönheiten und möglichen Alternativen dieser Welt sondern den alten «Opa» auch sein Leben wieder finden lässt, aus dem er sich zuvor dreimal vergeblich hatte verabschieden wollen.

Oskar Freysingers linguistischer Stammbaum ist etwas kompliziert. Er ist als Sohn eines deutschsprachigen und literarisch gebildeten Tiroler Handwerkers und einer perfekt zweisprachigen Mutter, ihres Zeichens Krankenschwester, im welschen Walliser Hauptort Sion aufgewachsen, ging dort aber immer auf eine deutschsprachige Schule und lehrt heute dort am Gymi auf Deutsch deutsche Literatur.

Dass deutsch die Sprache seines Herzens ist und französisch seine (Strassen-)Kampfsprache, hört man wie gesagt selbst im Nationalratssaal, wo von den Herzen selten viel zu spüren ist. Seine Fabel hat Freysinger tatsächlich nahe am und fürs Herz geschrieben. Offenbar stand die Rekonvaleszenz von einer schweren Herzerkrankung auch am Anfang der Idee und Konzeption dieses Büchleins. Doch Freysinger hat mit den Jahren immer weniger deutsch gesprochen und dabei noch seltener das Herz sprechen lassen. Und so schleichen sich nun beim Verfassen seiner Herzensfabel immer mal wieder Begriffe aus der politischen Kampfsprache in eine Poesie ein, die dort Fremdkörper, Findlinge aus der anderen, realen lieblosen Politwelt bilden und diese stört. Das schmälert das Kopp’sche Versprechen von der reichlichen Erbauung doch sehr.

Von dieser Kritik sollte sich Freysinger jedoch nicht entmutigen lassen und seinen Weg weg vom Porno-Poeten der SVP-Parteitage vergangener Zeiten über den Polit-Haudegen jüngster Tage hin zum grün revolutionären Fabel-Dichter weiter gehen. Und vielleicht wäre es der Überzeugungskraft seiner Politdiskurse sogar ganz zuträglich, wenn er umgekehrt ab und zu auch auf französisch seine Sprache des Herzens erklingen lassen würde.


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(Fredi Krebs FK:) - Soweit die wohlwollende Besprechung von Andreas Gross, von welcher Roger Köppel fand, sie sei eine Perle in der aktuellen WeWo. -- Gar nicht dieser Meinung war ein Herr Vogel im Bund vom 7. April, als er schrieb:

Poesie und Pipi

Von Arthur K. Vogel

Ein Schweizer Autor, der in wenigen Jahren ein halbes Dutzend Werke veröffentlicht, Romane, Kurzgeschichten, Essays, Gedichte, zudem in zwei Sprachen, die er perfekt beherrscht, reklamiert mit Fug Respekt für sich. Wenn dieser Autor zudem zwei anspruchsvollen Beschäftigungen nachgeht - als Gymnasiallehrer und Nationalrat - sollte ihm Aufmerksamkeit gewiss sein. Nicht viele Spitzenpolitiker finden die Musse, um Belletristik zu schreiben.

Wenn der Nationalrat, Lehrer und Schriftsteller allerdings Oskar Freysinger heisst, gelten diese Prinzipien nicht. Denn Freysinger hält sich ausserhalb jenes lauwarmen, linken Biotops auf, in welchem sich ein Gutteil der schweizerischen Literaten (und Literaturkritiker) breitmacht. Und weil er nicht zum Mainstream gehört, verwehrt man ihm als Poet die Aufmerksamkeit, die ihm als Politiker zuteilwird.

Der Dichter Freysinger wird faktisch totgeschwiegen: Er hat vor gut zwei Wochen eine weitere Erzählung veröffentlicht; besprochen worden ist sie in exakt zwei Zeitungen: im Walliser Boten vom stellvertretenden Chefredaktor Luzius Theler und in der Weltwoche, die politisch Freysiniger ziemlich nahesteht.
(… und in der Schweizerzeit, die ihm politisch aber noch näher steht … FK)
Dort liess sich skurrilerweise einer seiner politischen Gegner, der Zürcher SP-Nationalrat Andreas Gross, über das schmale Werk aus. Gross hofft, Freysinger möge den Weg «vom Polithaudegen hin zum grün-revolutionären Fabeldichter weitergehen».

Wo Freysinger nicht totgeschwiegen wird, macht man ihn lächerlich: Auch Gross greift in jene Klischeeschublade, in die ausgerechnet der Blick Freysinger versenkt hatte, und zwar schon vor zehn Jahren. Damals verunglimpfte das Boulevardblatt den SVP-Mann als «Pissoir-Poeten», weil dieser am Parteitag in Lupfig AG ein streckenweise obszönes Gedicht vorgetragen hatte. Zwei Jahre später empörte sich der Blick tagelang heuchlerisch über Freysingers angebliche «Porno-Prosa»: In der Kurzgeschichtensammlung «Brüchige Welten» hatte die Blick-Redaktion zielsicher die einzige Stelle gefunden, in welcher eine sexuelle Handlung beschrieben wird.

Freysinger bezahlt teuer dafür: Als Autor kommt er stets (z. B. bei Andreas Gross) mit dem Präfix «Porno» oder «Pissoir» vor.
FK: Zielsicher findet Herr Vogel hier das von ihm gesuchte Wort, um seine vorgefasste Meinung zu stützen. Und übersieht dabei, fixiert wie er nun mal auf das böse Wort «Porno» ist, dass AG genau das Gegenteil dessen tut, was Vogel behauptet: Er sagt ja ausdrücklich, dass Freysinges Buch nichts mit dieser Schublade zu tun habe.
Die SonntagsZeitung benutzte zweimal hintereinander die Blick-Metapher, ebenso Roger Schawinski am Schweizer Fernsehen, bei dem Freysinger diese Woche zu Gast war. Da sollte wohl die Tatsache verwedelt werden, dass der Schnellredner Schawinski dem «Porno-Poeten» intellektuell und rhetorisch unterlegen war.
FK: Ja, was nun? Wird Freysinger «faktisch» totgeschwiegen oder zahlt er teuer, weil er in Besprechungen «stets» mit einem Präfix vorkommt. Ich frage mich, wie viele unserer am Existenzminimum und darunter gehaltenen und von einer Förderung und Öffentlichkeit, die diesen Namen auch nur im Ansatz verdiente, abgeschnittenen CH-Dichterinnen und Dichter sich wünschen würden, von Sonntags Zeitung, Blick (dort erst noch «tagelang»), Schweizer Fernsehen, Weltwoche etc. etc. seitenweise so prominent und so ausführlich totgeschwiegen zu werden. –- Aber die machen sich ja angeblich im wohlig-lauwarmen linken Biotop breit. Ja, Herr Vogel, davon haben sie dann gefressen, unsere Schriftsteller. Aber wir wissen ja nun, was Faktentreue für Sie bedeutet.
Politische Gegner persönlich fertigzumachen, ist sonst eine Spezialität von Freysingers SVP. Doch dass ihm dasselbe widerfährt, macht nicht froh. Denn die freie Debatte ist eine Voraussetzung für eine funktionierende Demokratie. Und Meinungsfreiheit ist stets die Freiheit der andern, das wusste schon Voltaire.
FK: … obwohl dieser Zitat-Anklang eher bei Rosa Luxemburg zu verorten wäre, aber – stimmt schon: Voltaire meinte mit dem, was er sagte, Ähnliches …
Wo es nicht mehr möglich ist, seine Meinung zu sagen, ohne dafür geächtet zu werden, wird die Demokratie genau dort hinuntergespült, woher Freysingers Gedichte laut Blick angeblich stammen.


Kontakt mit Andreas Gross



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