6. März 2012

TA-Online

Die Argumente gegen das Konstruktive Referendum sind klassische Argumente gegen die Direkte Demokratie überhaupt


Das Hauptargument der Gegner des konstruktiven Referendums lautete, das Instrument sei zu kompliziert, die Stimmberechtigten würden überfordert. Was entgegnen Sie?

Es scheint heutzutage eine ganz grosse Versuchung vieler Menschen zu sein, jene, die sie nicht kennen, zu unterschätzen und ihnen nicht das gleiche zuzutrauen wie sich selber. Besonders von dieser Versuchung werden gegenwärtig offenbar Manager, Journalisten und bürgerliche Politiker heimgesucht. Mein Vater, ein alter Baselbieter Freisinniger, meinte dazu schon vor über 30 Jahren jeweils, nur die Dummen meinen, die Anderen seien noch dümmer. Ein Konstruktives Referendum, nichts anderes als ein Gegenvorschlag aus der Bürgerschaft, und damit die Schwester des parlamentarischen Gegenvorschlages gegen eine Volksinitiative, ist nicht schwieriger zu handhaben als ein solcher Gegenvorschlag oder ein Schieber beim Jassen.

Abschreckendes Beispiel war aber die letztjährige Abstimmung übers Steuergesetz mit zwei Gegenvorschlägen. Mit drei Hauptfragen und drei Stichfragen sei das Stimmvolk nicht mehr zurechtgekommen. Manche behaupten, der klare Wählerwille sei kaum mehr zu eruieren - ein ganz schlechtes Zeichen für die Demokratie.

Das Urteil über die Demokratie fällen die Bürgerinnen und Bürger und keine Regierung und auch kein Parlament. Sie sind schliesslich die Quelle der politischen Macht und haben sich im Kanton Zürich vor nicht einmal zehn Jahren wie auch die Berner und die Nidwaldner das Konstruktive Referendumsrecht in die Verfassung geschrieben. Es zeugt von wenig Respekt gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern, den Verfassungsgebern, dieses Volksrecht jetzt schon wieder abschaffen zu wollen. Selbstverständlich gab es einige Geburtswirren, die aber gerade auch aus dem Parlament verantwortet worden waren, beispielsweise beim Steuergesetz. Da musste dann das Bundesgericht die Herren Kantonsräte an die Gepflogenheiten erinnern. Das haben diese offenbar schlecht verdaut und wollen nun das Kind mit dem Bad ausschütten.

Auch wurde gesagt, es führe zu Politikverdruss bei der Bevölkerung, wenn sie nicht mehr drauskommt bei Abstimmungen.

Nochmals, unterschätzen Sie bitte die Bürgerinnen und Bürger nicht. Viele von ihnen haben ein sehr viel feineres Gefühl für das, was bei uns in den Parlamenten und bei Volksabstimmungen rauskommt, als viele glauben. Parlamente haben auch bei uns vor 150 Jahren die Direkte Demokratie nicht gefördert, die Macht nicht mit den Bürgerinnen und Bürgern teilen wollen. Nun sind wir offenbar wieder so weit. Ich freue mich auf diese Demokratiedebatte und bin sicher, dass viele Bürgerinnen und Bürger eine fein ausgestaltete, effiziente und zeitsparende Mitbestimmungsform der grobschlächtigen Ja/Nein, Schwarz/Weiss-Argumentationen vorziehen werden.

Bei drei Gegenvorschlägen müssten gar zwei Abstimmungstermine angesetzt werden ...

Das ist weiter nicht schlimm. Gleichzeitig sechs Vorlagen an einem Wochenende zum Abstimmen zu bringen ist weit problematischer, weil die öffentliche Diskussion, die Seele der Direkten Demokratie, nur ein beschränktes Schluckvermögen hat.

Ein weiteres Argument war, dass das Parlament durch die konstruktiven Referenden entmachtet wird. Die Kompromisssuche werde erschwert, wenn die Parteien danach zur Profilierung ihre Anliegen einfach in ein konstruktives Referendum packen.

Also sind eben doch einige Parteien verantwortlich an der von den gleichen Parteien jetzt kritisierten Lage des Konstruktiven Referendums. Eine Teilung der Macht hat noch nie eine Entmachtung bedeutet, ist aber von jenen, die nicht teilen wollen, immer als solche dargestellt worden. Das sind klassische Argumente gegen die Direkte Demokratie überhaupt, wie wir sie aus elitären Demokratien anderer Staaten hören und sollten eigentlich in der Schweiz nicht mehr formuliert werden. Doch dies zeigt, wie auch bei uns die Demokratie in einer Krise ist und viele vergessen haben, um was es eigentlich geht bei einem demokratisch ausgestalteten Staat, unter denen der Kanton Zürich einmal ein Pionier sein wollte.

Bisher mussten mehrmals Gegenvorschläge vom Bundesgericht beurteilt werden, was zu ärgerlichen Verzögerungen führte. Manche sagen etwa, die Abstimmung über den Ausbaustopp für Flughafenpisten sei dadurch entschieden worden.

Weil eben gewisse Fraktionen und Parteien ausreizen wollten, wie viel drin liegt und glücklicherweise vom Bundesgericht eines Besseren belehrt wurden. Wenn Sie zu schnell fahren und von der Polizei gestoppt werden, eine Busse bezahlen und die Ausweise zeigen müssen, dann können sie aus Ärger über die selbstverschuldete Verspätung nachher nicht verlangen, dass die Tempolimiten und die Polizei abgeschafft werden!

Weshalb sollten die Zürcher Stimmbürger ein Recht haben, das auf Eidgenössischer Ebene abgelehnt wurde?

Die Zürcher sind schon 1869 vorangegangen mit der Direkten Demokratie, die im Bund erst 1874 und 1891 eingerichtet worden ist. Im 20. Jahrhundert ist die Direkte Demokratie beinahe nie verfeinert worden. Jetzt haben wir anfangs des 21. wieder einen kleinen Schritt gemacht. Übrigens waren die Berner schneller und die wollen es auch nicht wieder abschaffen!

Wundert es Sie, dass die Abschaffung just von der SVP gefordert wurde, die sich ansonsten die Volksrechte aufs Banner schreibt.

Nein, überhaupt nicht, weil die SVP hat sich nie für die Verfeinerung der Demokratie und die Ausweitung des Demos auf alle eingesetzt. Weder im Verfassungsrat noch im Bund. Sie braucht dann aber immer das, was andere für alle erkämpft haben - gegen die SVP!

Könnte man die jetzige Form des konstruktiven Referendums weiterentwickeln statt es abzuschaffen? Haben Sie Vorschläge?

Gewiss könnte man es weiterentwickeln. Dies müsste aber im Rahmen einer allgemeinen Stärkung der Infrastruktur der Demokratie und der Demokratisierung der Demokratie erfolgen. Ich bin gerne bereit, dazu einen feinen Artikel im TA zu schreiben. Das lässt sich nicht mit einigen wenigen Sätzen erledigen!

Wäre eine Erhöhung der Unterschriftenzahl eine Möglichkeit?

Gewiss nicht. Höhere Unterschriftenzahlen privilegieren immer die eh schon Mächtigen. Die Volksrechte wurden genau dafür erkämpft, um allen zu erlauben, ihre Macht wahrzunehmen. Und weshalb soll das feinere, konstruktivere und schnellere Referendum mehr erfordern als das wenig konstruktive simple Nein sagen? Das wäre gerade verkehrt!

Im Verfassungsrat hatten die Gegner des konstruktiven Referendums, SVP und FDP, eine Mehrheit. Sind einige in den Fraktionen ausgeschert?

Nein, in einem Verfassungsrat sitzen im Vergleich zu einem normalen Parlament mehr Menschen aus allen Parteien, die grundsätzlicher, weitsichtiger und auf lange Sicht nachdenken und weniger parteipolitisch fixiert sind. Deshalb gab es dort auch Unterstützung von jenen, deren Parteien heute dagegen sind. Deshalb wählt man für eine gute Verfassung auch einen Verfassungsrat und überlässt den Entwurf nicht einem Parlament. Dass es diesem nun an Respekt vor der Arbeit des Verfassungsrates mangelt, ist menschlich nachzuvollziehen, politisch aber weder klug noch weise.

Waren alle anderen Parteien dafür, namentlich die Grünen und die CVP, die nun dagegen sind?

Beide hatten im Verfassungsrat eher kleine Fraktionen, dafür aber kreative, den demokratischen Grundsätzen verpflichtete und waren deswegen auch reformfreudiger als manche ihrer Parteikollegen in den Parlamenten.


Kontakt mit Andreas Gross



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