2. Nov. 2011

Salzburger Nachrichten

Ein Politiker, der Angst hat vor den Bürgern, wäre mit einem Fisch zu vergleichen, der sich vor dem Wasser fürchtet


Von Thomas Hödlmoser

Welche Erfahrungen haben Sie mit Bürgerbeteiligung auf kommunaler Ebene in der Schweiz?

Ganz allgemein gibt es in der Schweiz kaum jemanden und schon gar keinen Politiker, der die intensive Mitbestimmung der Bürgerinnen und Bürger über Initiativen und Referenden auf allen Ebenen des Staates in Frage stellt. Kommunal und kantonal geht die Macht der Bürgerinnen und Bürger sogar noch weiter als auf Bundesebene. Doch auch dies möchte niemand ändern. -- Das aus Bürgersicht effizienteste Instrument der kommunalen und kantonalen Direkten Demokratie ist das obligatorische Finanzreferendum: Das heisst, dass ab einer bestimmten Höhe alle Ausgaben, welche kantonal oder kommunal parlamentarisch beschlossen und getätigt werden wollen, in einer Volksabstimmung sanktioniert werden müssen. In einem bestimmten Bereich können ein bis zwei Prozent der Stimmberechtigten im jeweiligen Kanton oder der jeweiligen Gemeinde, ein Projekt oder eine Geldausgabe vor die Volksabstimmung (sogenanntes fakultatives Referendum) bringen.

Generelle analytische Aussagen dazu sind nicht möglich, weil jeder Kanton frei ist, die kantonale und kommunale Direkte Demokratie selber zu regeln. So sind die Frankenbeträge, die für das obligatorische und fakultative Finanzreferendum erfordern, je nach Kanton ganz unterschiedlich. -- Entscheidend ist jedoch die von allen Seiten bestätigte Erfahrung – die übrigens auch ausserhalb der Schweiz gestützt wird - , dass in Demokratien, in denen die Bürgerinnen und Bürger abschliessend entscheiden dürfen, ob grössere Beträge investiert werden sollen oder nicht, viel sorgfältiger, das heisst sparsamer, mit öffentlichen Geldern umgegangen wird als dies dort der Fall ist, wo der Bürger nicht gefragt werden muss. Auch erfolgt die Planung von Seiten der Behörden sorgfältiger und präziser. Zudem zwingt es Regierungen und Parlamente sehr umsichtig auf die verschiedenen Interessen und Bedürfnisse der Bürger zu hören; so hat ein grosszügiges Kulturprojekt keine Chance bei den Stimmberechtigten einzugehen, wenn deren soziale oder gesundheitspolitische Bedürfnisse betroffen sind. Diese Umsicht und behördliche Hellhörigkeit ist entscheidend für die Zufriedenheit der Bürger mit den Behörden.

Die Stadt Salzburg will die Möglichkeiten direkter Einflussnahme durch die Bürger erhöhen. Was ist dabei zu beachten?

Entscheidend sind meines Erachtens zwei Bereiche: Einerseits gilt es das Instrumentarium der Direkten Demokratie fein auszudifferenzieren, sorgfältig auszugestalten und die Schnittstelle zwischen direkter und indirekter (repräsentativer) Demokratie fein zu organisieren. Mit ersterem meine ich, dass das nebst dem Initiativrecht, mit dem die Bürgerinnen und Bürger eigene Vorschläge machen können, auch ein Referendumsrecht gegenüber Beschlüssen des Stadtparlamentes wie auch das obligatorische und fakultative Finanzreferendumsrecht vorgesehen werden sollte. Dabei sind Fristen einzurichten, welche viel Nachdenken, vertiefte Diskussionen und sorgfältiges Aushandeln zwischen allen interessierten Beteiligten ermöglichen. Dabei darf man nie vergessen, dass die Seele der Direkten Demokratie die Diskussion ist. Zweitens hat Direkte Demokratie nichts mit Fastfood zu tun; je schneller etwas geschehen muss, umso mehr werden Menschen und Betroffene ausgeschlossen von der Mitentscheidung – genau dies will die Direkte Demokratie verhindern.

Andererseits finde ich sehr wichtig, dass in Salzburg auf Dinge geachtet wird, die in der Schweiz leider bis heute vernachlässigt werden. Es gilt die Transparenz und die Fairness im Gebrauch der Bürgerrechte zu ermöglichen: So müssen die verschiedenen Gruppen offenlegen, wie und woher sie finanziert werden; dafür kann die Stadt dann auch dafür sorgen, dass alle Beteiligten ähnliche Möglichkeiten haben, sich die notwendige Aufmerksamkeit zu verschaffen. Denn wir dürfen nie vergessen, dass die Qualität eines Abstimmungsergebnisses wesentlich abhängig ist von der Qualität des Meinungs- und Willensbildungsprozess der Bürgerinnen und Bürger, die zu diesem Abstimmungsergebnis führte.

Soll man die Bürger über alles abstimmen lassen oder nur über einzelne, definierte Bereiche?

Grundsätzlich sollten die Stadtbürger über alles abstimmen dürfen, was in die Zuständigkeit des Stadtparlamentes fällt. Das heisst dann konsequenterweise, dass über Landes- und Bundesangelegenheiten nicht auf städtischer Ebene abgestimmt werden kann. Ausser man möchte wie einzelne Kantone zulassen, dass auch kantonale Anträge an den Bund Gegenstand von kantonalen Volksinitiativen und Volksabstimmungen sein dürfen. Dies hätte auch zur Folge, dass die Bundesverfassung bei städtischen Begehren beachtet werden muss und beachtet würde.

Wie viele Unterschriften sollten Ihrer Meinung nach nötig sein, um in einer Kommune oder einer Stadt eine Bürgerbefragung zu erzwingen?

Der Sinn der Direkten Demokratie ist die feine Verteilung der Macht an alle. Niemand, auch kein Stadtpräsident oder Minister, sollte so viel Macht haben, dass er nicht lernen muss, das heisst ihm nicht widersprochen werden kann. Daraus folgt für die notwendigen Unterschriften, dass deren Zahl klein sein muss, so dass auch Gruppen mit wenig Organisations- oder Geldmacht von diesen Instrumenten Gebrauch machen können. In Stadt und Kanton Zürich gehörte ich als Stadtparlamentarier und als kantonaler Verfassungsrat zu jenen, die wesentlich dazu beigetragen haben, dass heute in Zürich auf allen Ebenen die Unterschriften von weniger als einem Prozent der Stimmberechtigten ausreichen, um per Referendum oder Initiative eine städtische oder kantonale Volksabstimmung zu erzwingen.

Welche Bereiche eignen sich nicht für direkte Demokratie? Minderheitenrechte beispielsweise?

Über die Grundrechte des Einzelnen und von Minderheiten, die in der Bundesverfassung definiert und geschützt sind, können keine Mehrheiten befinden. Diese Frage stellt sich auf städtischer Ebene aber gar nicht, weil von dort her die Bundesverfassungsnormen nicht verletzt werden können – das versuchte ich vorher schon zu betonen. Das von Ihnen angesprochene Problem stellt sich für die Schweiz auf Grund einer unausreichenden Verfassungsgebung auf Bundesebene aber tatsächlich, doch habe ich den Eindruck, dass dies in Österreich anders und besser gemacht würde, wenn die Direkte Demokratie auch auf Bundesebene in Österreich vertieft und verfeinert würde. Es ist selbstverständlich, dass auch die Direkte Demokratie viel mehr ist als die Mehrheitsregel und dass die Direkte Demokratie nicht zu einer Tyrannei der Mehrheit verkommen darf.

Kritiker der direkten Mitbestimmung sagen oft, man könne das Volk nicht über alle, teils recht komplizierten Sachverhalte abstimmen lassen (bspw. Finanzangelegenheiten, Steuerrecht, Sozialfürsorge). Dafür gebe es schließlich gewählte Vertreter. Was halten Sie davon?

Eines der Gütezeichen der Direkten Demokratie ist das Zusammenspiel zwischen deren direkten (Bürger) und indirekten (Vertreter) Teilen. Keiner darf ausgeschlossen werden, keiner darf für sich etwas beanspruchen, was er dem anderen nicht zugesteht. Je komplizierter etwas ist, umso mehr muss sorgfältig und ausreichend mit möglichst allen Interessierten diskutiert werden. Genau diese bereite Diskussion wird durch die nicht zu verhindernde Volksabstimmung gewährleistet. Im übrigen haben die Vorkämpfer der Direkten Demokratie in Zürich schon in den 1860er Jahren – als es noch keine Farbfotos, Fernseher oder Publicrelationsberater gab – betont, dass auch die komplizierteste politische Frage einfacher zu verstehen ist als manche Person, von der man nie ganz sicher ist, wann sie was sagt und ob sie vor oder nach der Wahlen beim gleichen bleibt.

Derzeit hört man landauf, landab die Klage, dass Politiker aus Angst vor dem Wähler keine Reformen mehr wagen. Die Folge ist Stillstand auf allen Ebenen – also: keine Pensionsreform, keine Verwaltungsreform, keine Schulreform. Kann die direkte Demokratie da Abhilfe schaffen?

Ein Politiker, der Angst hat vor den Bürgern, wäre mit einem Fisch zu vergleichen, der sich vor dem Wasser fürchtet. Das ist lebensfremd. -- Blockiert werden grosse Reformen oft durch mächtige Organisationen, die ihre privaten Interessen mit dem Allgemeininteresse verwechseln. Dieses steht dann viel mehr im Vordergrund, wenn die direkt betroffenen Menschen in den Entscheidungsprozess miteinbezogen werden. In dem Sinn kann die Direkte Demokratie wirklich dazu beitragen, solche Blockierungen aufzubrechen. Vor allem dann, wenn Transparenz und Fairnessregeln verhindern, dass die öffentliche Debatte zu einseitig wiederum von den grossen Interessensgruppen beherrscht werden.

Einer der grossen Grundsätze und Ansprüche der Demokratie ist, dass die Betroffenen von Entscheidungen immer Mitentscheidende sein sollten, dass heisst in den Entscheidungsprozess miteinbezogen werden müssen. Dieses Prinzip hilft allen Beteiligten, Entscheide zu fällen, welche die Interessen der Betroffenen ernst nehmen. Vor den damit verbundenen Auseinandersetzungen sollte niemand, schon gar kein Politiker, Angst haben; denn so ist die Chance grösser, dass der Politiker seinen Wählern dienen und ihnen gerecht werden kann; denn er wird dabei die Interessen der Bürgerinnen und Bürger besser kennen lernen und in seiner täglichen Arbeit eher berücksichtigten. Denn – und das ist die Pointe - die Direkte Demokratie stellt die repräsentative Demokratie nicht nur nicht in Frage, sondern sie hilft ihr, sie macht gleichsam die repräsentative Demokratie repräsentativer.

In der Schweiz sind die Kantonsparlamente teils deutlich größer, dafür verdienen die Abgeordneten deutlich weniger als etwa im Salzburger Landtag. Sorgt dieses Modell dafür, dass mehr «Bürger» und weniger «Parteisoldaten» in den Parlamenten sitzen?

Das Milizprinzip ist eine der Lebenslügen der Schweiz. Sie wird in den kommenden zehn Jahren schwer daran zu nagen haben und es spricht einiges dafür, dass die Stellung der Schweizer Parlamentarier im Bund und Kantonen in den kommenden Jahren gestärkt werden wird. Ihre Autonomie und ihre individuelle Leistungsfähigkeit sind aber tatsächlich Folgen einer politischen Kultur, die massgeblich von der Direkten Demokratie geprägt wird und die auch die Parlamente beeinflusst. In dem Sinne kann gesagt werden, dass wenn die Bürger ganz allgemein gestärkt werden in ihren Mitbestimmungsrechten sie dann auch genauer hinschauen, was in ihrem Namen in den Parlamenten beschlossen wird. Das illustriert, dass wir es in der Demokratie nicht mit einem Nullsummenspiel zu tun haben und mehr Bürgermacht schliesslich auch der Bedeutung und der Qualität des Parlamentes zukommt. Billiger müssen sie deswegen nicht werden. Denn vergessen wir nicht: Was nichts kostet, ist nichts wert und was gute Arbeit leistet, darf auch etwas kosten. Gute Parlaments- und Bürgerarbeit bringt der Gesellschaft letztlich mehr als was sie kosten; Bürger und Parlamentarier, welche undemokratisch handeln, sind die wahren Kostenverursacher und richten den grössten Schaden an.


Kontakt mit Andreas Gross



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