5. Dez. 2008

Auch die Vorschläge der SP waren nicht immer der Weisheit letzter Schluss und die Bundes­ver­sammlung war ganz gewiss klüger und sah weiter als die SP


Lieber Andi

Du musst dir für dein Engagement gegen Ueli Maurer wieder einiges anhören, was nachdenklich stimmt. Ich werde meine Kritik sachlich und ohne Hetzerei anbringen.

Ich habe reichlich Mühe damit, dass du und andere (vermeintliche) Exponenten dieser Gruppe 13 offenbar einen eigentlichen Standard setzen wollen, denen ein Mitglied der Landesregierung entsprechen soll. Du sprichst dabei von inhaltlicher Konkordanz. So sehr du inhaltlich damit Recht haben magst, so falsch ist meiner Ansicht nach die Reaktion darauf.

Auf mich wirkt sie ängstlich, sie riecht nach Ausschluss von Andersdenkenden und nach akademischem Establishment. Eure Gruppe scheint die -von ihr selbst definierte, aber mit dem Deckmantel der Gewaltenteilung und Respektierung der Völkerrechts versehene reine Lehre zu vertreten und tut meiner Ansicht nach damit genau das, was sie dem politischen Gegner seit Jahren vorwirft. Sie grenzt aus, was nicht passt, sie benützt Vokabular, welches nicht zur Sachlichkeit beiträgt («Fix und Foxi», «Herr Maurer ist ein Klon»).

Dahinter verschwinden gewichtige Argumente und es stellt sich die Frage, wieso Ueli Maurer im Voraus verurteilt wird. Es erstaunt mich, dass du mit deiner politischen Vergangenheit in dieser Situation nicht zu mehr Offenheit fähig bist. Die direktdemokratischen Elemente dieses Landes haben es dir ermöglicht, dir mit deiner stark von einer damaligen Norm abweichenden Meinung Gehör zu verschaffen. Sie haben dir ermöglicht, deine Interessen an höchster Stelle einbringen zu können. Auch Andersdenkende haben ein Recht darauf.

Es beklemmt mich, dass die Angst vor der Auseinandersetzung mit Andersdenkenden die Linke offenbar voll erfasst hat. Programmatisch besteht sie nun seit einigen Jahren nur noch aus der Abgrenzung gegenüber der SVP. Wenn ich, wie letzte Woche, Diskussionen über inhaltliche Fragen (Harmos) nicht mehr führen kann, weil mein Gegenüber zugibt, grundsätzlich einfach immer das Gegenteil der SVP-Parole zu vertreten, so stimmt politisch nicht mehr viel. Denn eigentlich ist es ganz einfach: Wer die mehrheitsfähigen Argumente hat, wird in der direkten Auseinandersetzung gewinnen, auch in einem Bundesratskollegium. Wer das Kollegialitätsprinzip nicht einhält, bekommt - und das ist richtig so - die Quittung.

Es gibt aber keinen Grund, sich dieser Situation mit einem neuen Kandidaten wie Herrn Maurer zunächst nicht zu stellen. Ich habe mich genau aus diesen Gründen vor einiger Zeit aus dem linken Lager verabschiedet und finde mich nun je nach Thema mal links und rechts der Mitte wieder. Ich erlebe aber in meinem Alltag als Lehrer immer häufiger, dass sich gerade auch linke Bildungspolitiker hinter Ideologien und professoralen Gelehrtenmeinungen verstecken und kein Gehör für unsere Anliegen und Ansicht aus der Praxis haben.

Ich hatte immer geglaubt, dass gerade die 68er die Meinungsfreiheit postuliert haben. Ich merke zusehends, dass sie diese nur akzeptieren, wenn sie ihren eigenen Grundsätzen entspricht. Um zur Bundesratswahl zurückzukehren: Wenn die SP die SVP (so wie sich diese eben selber darstellt und definiert!) nicht mehr im Bundesrat haben will, so soll sie dazu stehen, indem sie klar sagt, dass sie diese Politik nicht im Bundesrat vertreten haben will. Das wäre ehrlich. Das wäre transparent.

Lilian Uchtenhagen und Christiane Brunner wurden nicht gewählt, weil sie den von der bürgerlichen Ratsmehrheit definierten Standards nicht genügt haben ... Schade, dass eure Partei daraus nichts für sich selber gelernt hat.

Ganz liebe Grüsse

L.M.

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Lieber L.

Vielen Dank für Dein Mail. Es steckt sehr viel in ihm, auch Angenommenes und Tieferliegendes, das ich so nicht teile, das ich ganz anders sehe und deshalb auch zu ganz anderen Schlussfolgerungen komme. Das macht alles nichts, es macht nur die Diskussion etwas schwieriger. Deshalb müssen wir auf alle Fälle wohl auch darauf zurück kommen.

Beispielsweise Dein Schluss: Ich bin heute durchaus der Meinung, dass Frau Dreyfuss besser war als C. Brunner, ebenso Stich als Uchtenhagen und Tschudi / Ritschard gewiss viel besser als Bringolf und Schmid. Das heisst eben, dass Parteivorschläge nicht immer der Weisheit letzter Schluss sind und die Bundesversammlung in unserem Fall schon ganz gewiss auch klüger und weiter sah als die SP. Da gibt es also schon mal weniger Widersprüche als Du meintest.

Ich war nie ein pawlowscher Hund, der einfach prinzipiell gegen alles ist, das aus der SVP kommt. Ich habe schon viel mit SVPlern für die Direkte Demokratie gekämpft; beispielsweise war ich einer der ersten innerhalb der Linken, die sich in drei Büchern (seit 1995) mit der SVP differenziert auseinandersetzte, weil ich sie sehr ernst nahm und nehme.

Ich identifiziere mich nicht mit allen SPlern und Linken und stehe auch nicht für sie. Wenn andere blöd reagieren, dann kannst Du mir dies nicht zuschieben. Es gibt auch bei uns keine Kollektivschuld - sonst hättest Du bei gewissen GLPlern auch sehr Mühe. Ich habe gar nichts dagegen, mich vehement von einem SPler zu distanzieren, ihn zu kritisieren - ich habe dies anfangs Woche am welschen Radio ganz öffentlich gegenüber Calmy Rey getan, einmal als sie für die Volkswahl des Bundesrates war und ein anderes Mal, als sie einfach jeden SVPler in den Bundesrat rein lassen wollte.

Klon und Fix und Foxi sind ganz kurze Symbole für die These, dass der eine politisch gleich ist wie der andere. Manchmal muss man verkürzen, um verstanden zu werden; Ueli Maurer hat weder dagegen noch gegen eine witzige Bemerkung etwas einzuwenden.

Der Kern unserer Differenz liegt genau dort, wo Du die Direkte Demo­kra­tie und die Konkordanz in den Diskurs bringst: Beides lebt vom Respekt gegenüber dem Andersdenkenden; ich habe noch nie einen anderen angegriffen, auf den Mann gespielt oder gar erniedrigt. Genau dies gestehen mir auch alle Gegner zu und genau dies kann man von Blocher und Maurer nicht behaupten. Die schlimmsten Begriffe - Bundesrat Schmid sei praktisch schon klinisch tot, Widmer Schlumpf ein Blinddarm etc. - neben entsprechenden Volksinitiativen gegen Ausländer und zur Ausgrenzung anders denkender kamen von beiden, Maurer fast noch schlimmer als Blocher. Ich halte ihn für eine Kopie ohne die politischen Qualitäten Blochers. Obwohl menschlich gegen Maurer nichts einzuwenden ist.

Doch in der Konkordanz geht es im Kern genau um diesen Respekt als Ausdruck des gesellschaftlichen Lernen Könnens. Da gibt es bei mir persönlich seit Beginn - nicht 68, erst 72!!! - eine Konsistenz, die mich auch von unserem Gross-, bzw., Schwiegervater unterscheidet und weswegen ich auch mit ihm einige Sträusse ausfechten musste.

Ich hoffe es geht Dir gut und ich grüsse Dich herzlich
Andi

Kontakt mit Andreas Gross



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