Jan. 2011
Buchbeitrag
|
Die doppelte Krise der europäischen Demokratien und die Bedeutung der Direkten Demokratie zur Überwindung dieser Krise
Direktdemokratische Rechte können bei umsichtiger Ausgestaltung zerrüttete Demokratie(n) heilen, Deutschland kann dabei von schweizerischen und kalifornischen Erfahrungen lernen.
Von Andreas Gross
Andreas Gross,58, ist Politikwissenschaftler, Mitverantwortlicher verschiedener schweizerischer Volksinitiativen, seit 1991 schweizerischer Nationalrat, präsidiert seit drei Jahren die sozialdemokratische Fraktion in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates, seit 1991 Lehrbeauftragter an verschiedenen deutschen Universitäten für die Direkte Demokratie im globalen Vergleich und gilt in Europa als einer der ausgewiesenen Fachleute im Bereich der Direkten Demokratie.
An vielen Orten Europas scheinen sich die Integrations- und Legitimationskräfte der repräsentativen Demokratie erschöpft zu haben. Der Aufstand gegen Stuttgart 21 ist in Deutschland ebenso wenig singulär wie die deutschen Bürger-Proteste in Europa Ausnahmen sind. In Italien, Frankreich, Grossbritannien, Irland oder Österreich fühlen sich viele Bürgerinnen und Bürger von vielen ihrer Repräsentanten in den Parlamenten ebenso schlecht bis gar nicht vertreten.
Mancherorts sind viele Bürger bis weit in den Mittelstand hinein mehr als enttäuscht über die Schwäche der demokratischen politischen Institutionen, die Finanzkrise nicht nur nicht verhindert sondern sie auch sozial so unausgewogen meistern zu wollen. Sie widersetzen sich auch der Umsetzung rechtlich ordnungsgemäss zustande gekommener Entscheidungen, weil sie sich mit ihren Anliegen oder Einsichten während deren Genese marginalisiert, überhört, missverstanden, betrogen oder schlicht ignoriert fühlten. Es brodelt in so machen europäischen Gesellschaften, um eine von Oskar Negt auf Deutschland bezogene These zu erweitern. Viele Bürgerinnen und Bürger fühlen sich an vielen Orten tatsächlich von der Demokratie «ausgeschaltet&rquo; wie es Peter Sloterdijk formuliert hat.
In Dänemark, Schweden, Belgien, den Niederlanden und der Schweiz suchen viele verängstigte, frustrierte, um Zukunft und Wohlstand fürchtende Bürgerinnen und Bürger eher Zuflucht bei nationalistischen, fremdenfeindlichen Kräften, die derzeit vor allem «den» Islam und «die» Ausländer als Sündenböcke für missliche Lebenslagen brandmarken. Gemäss dem Journalisten Frank A. Meyer, einem Wahlberliner aus der Schweiz, ist dies «der grosse Zorn der kleinen Leute». Sie illustrieren die eine Quelle der doppelten Krise der derzeitigen Demokratie: Diese vermag national verfasst gegenüber den längst global agierenden Märkten das lebensweltliche Versprechen der europäischen Demokratie, eine faire Verteilung der Lebenschancen, nicht länger einzulösen.
Mit der anderen Seite der doppelten Krise der Demokratie, dem «repräsentativen Absolutismus» (Wolf-Dieter Narr), sehen sich Bürgerinnen und Bürger freilich nicht zum ersten Mal konfrontiert. Bereits vor 150 Jahren fanden viele Bauern, Handwerker und Arbeiter in den schweizerischen Kantonen Baselland und Zürich, ihre Interessen kämen kantonal und auf Bundesebene in den zu den ältesten rein repräsentativen Demokratien Europas gehörenden Parlamenten zu kurz. Die liberalen Sieger von 1848 hatten damals in der Schweiz andere Prioritäten: Der Ausbau der Verkehrswege, vor allem die Eisenbahn - mit all ihren Brücken und Tunnels der grosse Wachstumsmotor von damals - besetzte alles vorhandene Kapital; viele «der kleinen Leute» mussten wegen der billigeren Konkurrenz ihre Preise senken, während die Produktionskosten stiegen, ohne dass sich die liberalen Repräsentanten dieser Sorgen annahmen. So verlangten sie nach Volksrechten, Initiativ- und Referendumsrechten, um bei ihnen wichtigen Verfassungs- und Gesetzesreformen das letzte Wort haben zu können. Sie wollten so aus ihrer «Scheinsouveränität», wie es in ihren Aufrufen hiess, eine echte Volkssouveränität machen. So kam die Schweiz über eigentliche demokratische Revolutionen in einigen wichtigen Industriekantonen zu Verfassungsreformen auf Bundesebene, die 1874 mit dem fakultativen Gesetzesreferendum und 1891 mit der Volksinitiative für Verfassungsrevisionen die Direkte Demokratie schufen, welche die schweizerische Politik seither so prägt.
Bemerkenswert ist die Ausstrahlung, welche die schweizerische Anwendung einer Idee aus der Mitte des revolutionären Frankreichs von 1791 schon vor mehr als 100 Jahren bis an die Westküste der USA fand: Der New Yorker Journalist John W. Sullivan reiste 1889 nach Zürich und verfasste auf Grund seiner Recherchen bei den Zürcher Pionieren der Direkten Demokratie und seinen Beobachtungen der sofort zahlreichen Initiativen und Referenden im direktdemokratischsten Kanton der Schweiz ein Büchlein, das in den 1890er Jahren in Oregon und Kalifornien unter den dortigen Bauern, Handwerkern und Arbeitern besser verkauft werden sollte als die Bibel. Sie werten sich aus ganz ähnlichen Gründen wie 30 Jahre zuvor ihre Zürcher Kollegen gegen die Geringschätzung ihrer Interessen in den von den Eisenbahnbaronen gekauften Landesparlamenten von Salem und Sacramento: 1904 erweiterten Oregon, 1911 Kalifornien ihre Verfassungen um die partizipativen Bürger- und dank diesen bald auch um die entsprechenden Bürgerinnen-Rechte der Direkten Demokratie.
Seither will trotz aller Unterschiede und immer wieder aufkommender Kritik sowohl in der Schweiz als auch an der US-Westküste kaum jemand mehr gänzlich auf die Direkte Demokratie verzichten. Zu deutlich sind ihre Vorteile und Errungenschaften: Die Distanz zwischen Bürgerschaft und politischer Klasse ist deutlich kleiner als anderswo, die Identifikation und Zufriedenheit der Bürger mit dem Staat grösser, die repräsentative Demokratie ist repräsentativer, die politischen Systeme sind offener, für Anregungen von unten und aussen zugänglicher, die politische Kultur ist kommunikativer, es kann weniger befohlen, es muss mehr diskutiert, zugehört und überzeugt werden, eine vielfältige Gesellschaft lässt sich partizipativ besser integrieren, alle müssen mehr lernen, auf andere Ansichten und Blickwinkel achten – alles Ansprüche, die moderne, ebenso gut ausgebildete wie informierte Bürgerinnen und Bürger mehr denn je auch in der Politik stellen.
Vor allem in den vergangenen 40 Jahren wurden die Volksrechte dies- und jenseits des Atlantiks deshalb in einer Intensität gebraucht wie nie zuvor. Dabei zeigen sich aber auch unterschiedliche Schwächen im Design der Direkten Demokratie, welche es vielen Deutschen heute schwer macht, sich für die Erweiterung der deutschen Demokratie um direktdemokratische Rechte zu erwärmen. Dabei werden Schwächen der Direkten Demokratie moniert, welche weniger mit den direktdemokratischen Prinzipien als viel mehr mit deren Ausgestaltung und Praxis in der Schweiz und Kalifornien zu tun haben.
In beiden Fällen sind es unzureichend ausgestaltete Schnittstellen, welche die Güte der Direkten Demokratie schmälern. In Kalifornien das viel zu antagonistische Verhältnis zwischen direkter und indirekter Demokratie; und in der Schweiz, historisch erklärbar, die unzureichende Abstimmung zwischen den Grund- und Menschenrechten und den Volksrechten.
In Kalifornien können Volksbegehren innert weniger Monate am Parlament vorbei zur Abstimmung gebracht werden. Beherrscht wird dort die öffentliche Meinungsbildung durch bezahlte 30 Sekunden kurze Fernsehspotts, was das System ungeheuer kostspielig machen. Und der Volksentscheid konzentriert sich auf ordentliche Wahltage, meist einmal pro 12 oder 18 Monaten, was eine grosse Massierung von Volksentscheiden an einem Wahltag und entsprechend dürftige öffentliche Diskussion der einzelnen Vorlagen zur Folge hat. Konsequenz: In Kalifornien haben sich mächtige, finanzkräftige Interessensgruppen auch der Direkten Demokratie bemächtigt, sie kolonialisiert und mit ihrer Hilfe das Parlament geschwächt, teilweise sogar blockiert.
In der Schweiz ist diese Schnittstelle gut ausgestaltet: Volksbegehren sind dort viel mehr auf institutionelle Kooperation, Dauer und Diskussion angelegt – bereits die Unterschriftensammlung darf 18 Monate dauern -, Verwaltung, Regierung und Parlament nehmen sich Zeit für mehrere, sorgfältige und eingehende Debatten und versuchen mit indirekten oder direkten Gegenvorschlägen den Reformern entgegenzukommen. Diese Aushandlungsprozesse überzeugen sogar die Initianten oft derart, dass sie ihr Volksbegehren beinahe in einem von drei Fällen gar nicht mehr zur Volksabstimmung kommen lassen.
Die Schwäche des helvetischen Designs der Direkten Demokratie liegt in zwei Bereichen. Einerseits erlaubt die Bundesverfassung dem Parlament nur die Ungültigkeitserklärung von Volksinitiativen, welche dem zwingenden Völkerrecht widersprechen. Dazu wird im schweizerischen Rechtsverständnis sogar der Kerngehalt der Europäischen Menschenrechts-Konvention (EMRK) nicht gezählt. Das führte nun in den vergangenen zehn Jahren zur Volksabstimmung über sechs grundrechtswidrige Volksbegehren, deren vier sogar von einer Mehrheit von Volk und Kantonen angenommen wurden. Dies bedeutet beispielsweise nun aber im Falle der unmittelbar rechtsgültigen Verfassungsbestimmung gegen den Bau von Minaretten, dass ein Mensch, der deswegen in der Schweiz daran gehindert wird, ein bauordnungs- und zonenplanmässig korrektes Minarett zu bauen und seine Klage bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg zieht, dort höchst wahrscheinlich recht bekommt. Denn der Verfassungsartikel gegen den Bau der Minarette verletzt in verschiedener Hinsicht die EMRK. Dies wiederum hätte aber zur Folge, dass der Wille einer Mehrheit der Stimmberechtigten nicht umgesetzt werden könnte, was wiederum die Glaubwürdigkeit der Direkten Demokratie untergraben würde, woran niemand ein Interesse haben kann. Ebenso reformbedürftig ist die in der Schweiz fehlende öffentliche Parteienfinanzierung, die fehlende Transparenz der Quellen der in Abstimmungskampagnen investierten Geldmittel – ein Aspekt, der wiederum in Kalifornien gut geregelt ist - sowie fehlende Fairness- und Ausgleichsmechanismen, die für einen fairen argumentativen Wettbewerb sorgen, was die Voraussetzung für einen Volksentscheid ist, den die Verliererseite akzeptieren kann.
Die Schweiz ist also punkto Direkte Demokratie kein Vorbild, wie Schlichter Heiner Geissler am Dienstag in Stuttgart meinte, sondern ebenso wie Kalifornien eine Inspirationsquelle, wie Deutschland die Direkte Demokratie auf der Höhe der Zeit und entsprechend den Ansprüchen einer modernen Bürgergesellschaft einrichten kann. Das würde dem um direktdemokratische Elemente erweiterten System der neuen deutschen Demokratie erlauben, das gesellschaftliche, zivilistische Knowhow, das heute brach liegt – die eigentliche Quelle der Frustrationen so vieler Bürgerinnen und Bürger – für das Wohl und das Gedeihen der Gesellschaft nutzbar zu machen.
Das wiederum hätte nicht nur bessere und von den meisten akzeptierte Beschlüsse zur Folge sondern auch ein neues Vertrauen in die Problemlösungsfähigkeiten der Demokratie, welche die deutschen Bürgerinnen und Bürger veranlassen könnte, mit anderen Europäern auch die andere Seite der doppelten Krise der europäischen Demokratie anzugehen: Die mangelnde transnationale Verankerung der Demokratie. Denn nicht nur die EU hat mehr Demokratie nötig, sondern die Demokratie ist auch auf Europa angewiesen. Nur so vermag sie die substanzielle Seite ihres Versprechens einzulösen. Doch ohne engagierte, bewegte Bürgerinnen und Bürger, die auch etwas dazu tun, werden diejenigen, die heute in der EU zu viel Macht auf sich konzentriert haben, nicht bereit sein, sie mit dem Parlament und den Bürgern zu teilen. Dazu braucht es das bewegte Engagement der Letzteren.
Wie alle europäischen Gesellschaften braucht heute auch Deutschland die Produkte einer fein und umsichtig ausgestalteten Direkten Demokratie mehr denn je: Bürgerinnen und Bürger, die ihre zivilen und sozialen Kompetenzen einbringen und sich so mit der Politik neu anfreunden; eine Gesellschaft, die viel mehr nachdenkt, diskutiert, aufeinander eingeht und somit mehr lernt und sich kommunikativ besser integriert sowie schliesslich Politiker, die weniger vereinsamen und sich weniger entfremden, sondern merken, dass es mit den Bürgerinnen und Bürger sogar einfacher und vor allem dankbarer ist, Werke und Beschlüsse zu fassen, die diesen auch wirklich dienen.
Um den vielen in Deutschland kursierenden Missverständnissen rund um die Direkte Demokratie zu begegnen, mögen zusammenfassend die folgenden 13 Thesen zu ihrem theoretischen Charakter und zu praktischen Konsequenzen hilfreich sein. Ihre geschichtliche Fundierung liegt beim Marburger Philosophen Friedrich Albert Lange (1828 - 1875), der in den 1860er Jahren beim Winterthurer Landboten, der Tageszeitung der Demokratischen Bewegung des Kantons Zürich, Hunderte Kommentare zur Theorie und praktischen Bedeutung der Direkten Demokratie schrieb, die bis heute einen ungehobenen Schatz der Philosophie der Direkten Demokratie darstellen.1
1.
In einer Direkten Demokratie wird politische Macht besser und feiner verteilt. Es bleibt mehr Macht bei den BürgerInnen. Diese beschränkt sich nicht ausschliesslich auf den Wahlakt. Auch zwischen den Wahlen soll eine kleine Minderheit (beispielsweise 2 % aller Wahlberechtigten) das Recht und die Möglichkeit haben, die Souveränitäts-Delegation aufzukündigen und bezüglich eines konkreten Beschlusses des Parlamentes eine Volksabstimmung (Referendum) zu verlangen. Ebenso haben in einer Direkten Demokratie wenige Bürger das Recht, jederzeit allen Bürgern konkrete Verfassungs- und Gesetzesänderungen vorzuschlagen (Volksinitiativen), über die wiederum in einer Volksabstimmung entschieden wird.
2.
Die Direkte Demokratie stärkt also nicht die Macht eines Einzelnen und es geht auch nicht darum, dass Herrschende sich durch irgendwelche Suggestivfragen eine Legitimität verschaffen können, die ihnen nicht zukommt. Hier liegt genau der Unterschied zwischen einer die Demokratie demokratisierenden Direkten Demokratie und einem autoritären undemokratischen Plebiszit, mit welchem Diktatoren von Napoleon dem Dritten über Hitler und Pinochet immer geliebäugelt haben.
3.
Auch in einer Direkten Demokratie (DD) ist die parlamentarische Demokratie folglich eine unverzichtbare, wesentliche Institution, kein Gegensatz. Eines der Qualitätsmerkmale einer sorgfältig designten DD ist gerade die Frage, wie die indirekte und direkte Demokratie zusammenspielen. So kann in einer gut ausgestalteten DD das Parlament jeder Volksinitiative einen Gegenvorschlag gegenüberstellen, ebenso wie die Bürger in einem konstruktiven Referendum einem bestimmten parlamentarisch beschlossenen Gesetzesartikel eine Alternative gegenüberstellen können sollten, so dass in der Volksabstimmung nicht nur einfach Ja/Nein-Positionen einander gegenüberstehen, sondern Varianten, die auch eine differenzierte Diskussion und Beschlussfassung ermöglichen.
4.
In einer DD machen einige BürgerInnen allen BürgerInnen Vorschläge für Gesetzes- oder Verfassungsrevisionen. Darüber wird an der Urne geheim abgestimmt. Es geht also weder um Plebiszite, noch um Personen – Sachabstimmungen haben eine ganz andere diskursive Logik als Personenwahlen – und auch nicht um Basis- oder um Versammlungsdemokratie, welche zu leicht manipulierbar sind.
5.
Eine Volksabstimmung (VA) oder ein Volksentscheid in einer DD ist auch keine Befragung, keine Instant-Entscheidung, kein sogenanntes Meinungsbild. Einer VA geht vielmehr ein langer, vielfältiger, reflexiver und kommunikativer Meinungsbildungsprozess voraus. Tempo und Schnelligkeit sind dabei Sekundärtugenden; die Qualität der Kommunikations- und Meinungsbildungsprozesse ist wichtiger.
6.
Die Seele der DD sind die Kommunikation, die tausendfachen Gespräche, das gemeinsame Nachdenken verschiedener Menschen, wo immer sie einander begegnen mögen. Immer wieder von neuem verständigt sich die Gesellschaft in offenen kontroversen Fragen. Die Menschen werden nicht nur gefragt, sie finden auch Gehör; sie können nicht nur sagen, was sie denken, es muss ihnen auch zugehört werden – genau das, was heute die meisten in der Demokratie vermissen.
7.
Die DD ermöglicht somit auch mehr als singuläre Ja/Nein-Entscheide. Sie entwickelt fast permanente Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozesse, die in ihren Ergebnissen und Adjustierungen Differenzierungen zulassen, die sich mit den parlamentarisch gefundenen Kompromissen durchaus vergleichen lassen.
8.
Die Qualität der DD hängt wesentlich von der Ausgestaltung der Verfahren der Direkten Demokratie, der Art ihrer Wahrnehmung und ihres Umfeldes und den Schnittstellen der DD mit dem Parlament, mit den Grund- und Menschenrechten ab. Die Verhinderung einer Tyrannei der Mehrheit wird durch die Respektierung der Grund- und Menschenrechte gewährleistet mittels der in der Schweiz auf Bundesebene noch fehlenden Verfassungsgerichtsbarkeit.
9.
Eine DD ermöglicht allen, die für den Wandel notwendige Aufmerksamkeit zu erzeugen und verhindert, dass Markt- und Herrschaftsinteressen alleine die Tagesordnung der öffentlichen Diskussion und der Öffentlichkeit bestimmen.
10.
Die Macht, welche BürgerInnen sich durch die DD aneignen, ist die Möglichkeit, Öffentlichkeit herzustellen auch dann und dort, wo politisch Regierende und/oder wirtschaftlich Herrschende dies nicht wollen oder mögen.
11.
Finanzielle Ressourcen müssen in der direkten wie der indirekten Demokratie transparent gemacht und ausgeglichen werden, soll die Demokratie nicht zu einem Privileg der Privilegierten verkommen – ein anderes Defizit, das die Schweiz heute noch sehr belastet, in Deutschland aber bereits überwunden ist.
12.
Eine fein ausgestaltete Direkte Demokratie trägt zu Qualitäten bei, welche moderne Gesellschaften am nötigsten haben: Kollektive Lernprozesse, gesellschaftliche Integration von Vielfalt ohne Zwang, echte und freiheitliche Identifikationsmöglichkeiten und Identitätsbeschaffung ohne ethnizistische Verirrungen.
13.
Vor allem aber ermöglichen sie mehr Freiheit, im ursprünglich republikanischen Sinne: Jene, die betroffen sind von Entscheidungen, sind Teil des Entscheidungsprozesses und alle haben die Möglichkeit, miteinander jene Lebensumstände zu gestalten, die alle betreffen.
Heute sind viele Menschen zu mehr Freiheit und echter Demokratie fähig als vor 200 Jahren, als diese Ansprüche formuliert worden sind. Dass viele heute ihre entsprechenden politischen Fähigkeiten nicht einbringen können, ist ein Teil der Gründe, weshalb heute so viele frustriert sind angesichts der herrschenden Demokratie. Sie nicht ernst zu nehmen und die Demokratie entsprechend zu demokratisieren wäre auch ein ungeheurer Verlust an gesellschaftlicher Energie und gesellschaftlichen Ressourcen. Die Demokratisierung der demokratischen Institutionen muss der Gesellschaft die Nutzung dieser Energien und Ressourcen ermöglichen. So vermöchte sie die doppelte Krise der Demokratie zu überwinden.
Kontakt mit
Andreas Gross
Nach oben
|