23. Nov. 2010
Weltwoche
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Thomas Minders direktdemokratische Irrwege
Von Andreas Gross
SP-Nationalrat (Zürich), Politikwissenschaftler, Lehrbeauftragter für Direkte Demokratie und Leiter des Ateliers pour la Démocratie Directe in St-Ursanne (JU)
Thomas Minder, Schaffhauser Unternehmer (Trybol-Mundwasser) und Urheber der Volksinitiative gegen die Abzockerei, lancierte Ende Oktober mit einem ganzseitigen Inserat in der Sonntagszeitung Vorschläge zu einem anderen bundesrätlichen und parlamentarischen Umgang mit den Volksinitiativen, die sich bei genauem Hinsehen als Irrwege und Verschlimmbesserungen erweisen. Minders Vorschläge sind jedoch in dreierlei Hinsicht ziemlich überraschend:
Erstens sind sie alles andere als neu. Schon vor zehn Jahren verlangten erst der Gründer von Denner, Karl Schweri, später auch der ehemalige Tessiner Lega-Nationalrat Flavio Maspoli sowie SVP-Nationalrat Hans Fehr in parlamentarischen Vorstössen eine sogenannte «Beschleunigung der Volksrechte». Ihnen war die erstmalige Befristung der Behandlung von Volksinitiativen auf maximal 4 Jahre, wie sie die nachgeführte Bundesverfassung von 1999 festlegte, nicht genug. Schweris Volksinitiative wurde in der Volksabstimmung sehr deutlich abgelehnt. Er musste erkennen, dass Tempo in der Direkten Demokratie nur eine Sekundärtugend ist. Denn je umsichtiger und sorgfältiger eine Volksinitiative auf allen Ebenen beraten und je breiter sie durch möglichst viele verschiedene Menschen diskutiert werden soll, um so mehr Zeit wird dafür benötigt. Je schneller etwas zur Abstimmung kommt, umso oberflächlicher ist der Meinungsbildungsprozess und exklusiver der Kreis der daran beteiligten Menschen und desto geringer sind die Chancen auf ein qualitativ gutes Abstimmungsergebnis.
Zweitens lässt sich Thomas Minder bei seinen Vorschlägen ganz offensichtlich vor allem von seinen Erfahrungen mit seiner Volksinitiative gegen die Abzockerei leiten. Er bezeichnet den Umgang mit dieser Volksinitiative im Bundeshaus als «konzeptlos», einem «Slalomkurs» vergleichbar, unterstellt dem Parlament Lethargie und meint, dieses verzögere bewusst die Behandlung seiner Volksinitiative. Mit diesen Beurteilungen illustriert freilich Unternehmer Minder paradoxerweise, dass er den politischen Durchbruch und somit Erfolg seiner eigenen Initiative verkennt. Gerade weil er inhaltlich (unzulängliche Aktionärsmitbestimmung) und zeitgeistig (Finanzkrise in der Folge der Gier verschiedener Bankmanager) so ins Schwarze traf, kümmerten sich verschiedene Interessengruppen so intensiv um das Anliegen, stritten sich Befürworter, Gegner und solche, die Minders Weg nur zur Hälfte gehen wollten, um die Frage, ob es einen Gegenvorschlag geben sollte, wie dieser aussehen könnte und ob er direkt, also mittels einer Volksabstimmung, oder indirekt auf Gesetzeswegen, ohne grosse öffentliche Debatte und damit ohne Ermutigung der Bankenkritiker vor den Parlamentswahlen erfolgen sollte. Diese langwierigen und unübersichtlichen Auseinandersetzungen brachten nicht etwa eine bundeshäusliche Lethargie Minders Initiative gegenüber zum Ausdruck, sondern illustrieren das Schwanken der Mitterechts-Parteien und das Hinundher Blochers und seiner SVP in einer Sache, die ihnen taktisch wie strategisch nicht passt.
Drittens überrascht, dass sich Thomas Minder nicht bewusst zu sein scheint, dass in Kalifornien heute genau so mit Volksinitiativen umgegangen wird, wie er dies nun auch für die Schweiz vorschlägt – die meisten Kalifornier ihre Direkte Demokratie aber genau deswegen in einer Krise sehen und deshalb einen eher schweizerischen Umgang mit den Volksinitiativen befürworten und entsprechende Reformen debattieren. In Kalifornien haben sich kapitalkräftige Interessengruppen – es sind dies vor allem die Oel-, Banken- und Versicherungsindustrie – der Direkten Demokratie bemächtigt. Auf genau den Wegen, die Minder auch mit der Schweiz gehen will: In Kalifornien kann eine Volksinitiative schon zehn Monate nach ihrer Einreichung zur Volksabstimmung kommen, sie wird im Parlament nicht behandelt, das Parlament kann ihr keinen direkten oder indirekten Gegenentwurf gegenüberstellen und die öffentliche Diskussion der Initiativen beschränkt sich fast ausschliesslich auf sehr teure, sehr kurze, sehr einseitige und völlig undialogische Fernsehspotts. Je schneller eine Volksinitiative behandelt wird, so meinen Analytiker der kalifornischen Direkten Demokratie, umso mehr dominieren wenige reiche und mächtige Interessengruppen den Prozess. Um diese Tendenz zu stoppen, schlagen sie an der Westküste der USA den Einbau von «schweizerischen Elementen» in die Direkte Demokratie vor: Sorgfältigere Analyse der Initiative durch die Verwaltung, deren umsichtigere Erörterung im Parlament, dessen Möglichkeit, dem Volksbegehren einen Gegenvorschlag gegenüberstellen zu können, mehr Zeit zur öffentlichen Debatte vor der Abstimmung, mehr Dialog in der öffentlichen Auseinandersetzung und weniger Einwegkommunikation.
Alle Erfahrungen in den USA, ebenso der europäische Umgang mit der Direkten Demokratie, deren Design etwa dem Mittelweg zwischen den USA und der Schweiz entspricht, sowie eine genaue Analyse der Behandlung der Direkten Demokratie in den schweizerischen Institutionen der indirekten Demokratie zeigen, dass das jetzige System mit direkten/indirektem Gegenentwurf sowie Abstimmungsempfehlungen des Parlamentes und Bundesrates nicht etwa überholt sind, wie Thomas Minder in der Sonntagszeitung schreibt, sondern richtig und wegweisend. Dies zeigt sich nicht zuletzt auch am Erfolg vieler schweizerischer Volksinitiativen. Misst sich doch dieser nicht nur am vollen Erfolg von relativ wenigen Volksinitiativen bei Volk und Ständen, sondern auch am Erfolg von über einem Dutzend Gegenvorschlägen oder angesichts des Rückzugs von fast einem Drittel der eingereichten Volksbegehren angesichts der Gesetzesreformen, die sie auslösen konnten – alles Erfolge, die nach Thomas Minders Volksrechtsreform gar nicht mehr möglich wären: Dies entsprechenden Instrumente (indirekter oder direkter Gegenvorschlag) würden wegfallen, und Minder würde dem direktdemokratischen Prozess die Zeit nehmen, welche die Voraussetzung dafür ist, dass Initianten, ihre politischen Vertreter und die übrigen Mitglieder der Bundesversammlung solche Nebenprodukte aushandeln können.
Ein Unternehmen ist halt etwas anderes wie eine Demokratie. Und ein Parlament ist kein Akteur wie der Aktionär, sondern eine Institution, in der verschiedene Interessen aufeinanderprallem und miteinander Kompromisse aushandeln mit dem Hintergedanken, mit diesen auch eine Mehrheit der Stimmberechtigten überzeugen zu können. Dafür braucht es Zeit, Geduld, Dialog und Empathie für Andere – alles Dinge, die dem Unternehmer Minder zu fremd zu sein scheinen und ihn so wenig qualifizieren als Urheber für eine echte Reform der Direkten Demokratie in der Schweiz, die durchaus dringend nötig wäre.
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