10. Aug. 2017
Weltwoche
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Gerechtigkeit ist in der UNO
immer noch eine Utopie
«Als UNO-Chefanklägerin habe ich immer gespürt, dass die Politik wichtiger ist als die Justiz», sagte Carla Del Ponte im Dezember 2011 in einem Interview der Hamburger Wochenzeitung Die Zeit. Sie bezog sich dabei auf ihre Erfahrungen als UNO-Chefermittlerin der Kriegsverbrechen in Ruanda und während der Balkan-Kriege der 1990er Jahre.
2003 war sie vor allem auf Druck der US-Regierung Bush ihres Mandats enthoben worden, weil sie Konsequenzen verlangte aus ihren Beweisen wonach sich auch Tutsi, die unter der Obhut der USA stehenden neuen Machthaber, schuldig gemacht haben, Kriegsverbrechen begangen zu haben. Während ihrer acht Jahre als Chefanklägerin beim UNO-Kriegsverbrecher-Tribunal zu den Kriegen im ehemaligen Jugoslawien (1999-2007) durfte sie trotz eindeutiger Beweise die Kriegsverbrecher Karadzic und Mladic nicht einmal verhaften; zu sehr fürchteten die ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates aber auch Deutschland, Frankreich und die Niederlande, die Gerichtsverhandlungen würden eigene Fehlleistungen und Mitverantwortlichkeiten an den Kriegsverbrechen in der ostbosnischen UNO-Schutzzone Srebrenica deutlich machen.
Für eine Staatsanwältin wie sie Carla Del Ponte erst im Tessin und später als Bundesanwältin auch in Bern eine war, ist dies schwer zu ertragen. Denn hat ein Staatsanwalt genügend Beweise, dann wird der Verbrecher nicht nur verhaftet, sondern vom zuständigen Gericht auch verurteilt. Da muss die Anwältin nicht einmal eine von der Gerechtigkeit Besessene sein, wie Del Ponte sich versteht.
Doch die Welt ist noch immer kein Rechtstaat. Transnationale Rechtsstaatlichkeit eine konkrete Utopie. Selbst der Internationale Strafgerichtshof (ICC) in Den Haag - gleichsam der Nachfolger der UNO-Sondergerichte zu Ruanda und Ex-Jugoslawien - ist von drei der fünf ständigen Mitglieder des UNO-Sicherheitsrates noch immer nicht anerkannt. Für China, Russland und die USA gilt die eigene Macht mehr als jegliche Gerechtigkeit. Alle drei decken auch Kriegsverbrecher, beziehungsweise verantworten Kriegsverbrechen noch immer - die USA manchmal mit anschliessender Bitte um Verzeihung.
Das alles wusste Carla de Ponte im Herbst 2012. Trotzdem liess sie sich damals wieder in ein UNO-Gremium zur Aufklärung von Unrecht wählen. Diesmal ging es um die Untersuchung von Kriegsverbrechen in Syrien. Tausende von Interviews hat die dreiköpfige Untersuchungskommission seither geführt, Dutzende von Berichten verfasst, unzählige Menschenrechtsverletzungen festgestellt, schwerste Verbrechen wider die Menschlichkeit auf allen Seiten sind nachgewiesen worden. «So schlimme Verbrechen wie in Syrien begangen wurden, habe ich weder in Ruanda noch auf dem Balkan gesehen», sagt Del Ponte. 300'000 Menschen sind in Syrien in den vergangenen sechs Jahren umgekommen, elf Millionen in die Flucht gejagt worden. Doch der dafür allein zuständige UN-Sicherheitsrat will der Aufklärung keine Anklagen, Verurteilungen, nicht einmal Gerichtsverfahren folgen lassen. Del Ponte: «Der UN-Sicherheitsrat will Syrien keine Gerechtigkeit zukommen lassen.» Mit ihrem Rücktritt zog sie letzten Sonntag die Konsequenzen aus einem Skandal, der ihr eigentlich schon vor fünf Jahren hätte bewusst sein müssen.
Kontakt mit Andreas Gross
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