5. Sept. 2017
La Regione
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Laura Sadis erfüllt die vier wichtigsten Ansprüche
Wahrung der Konkordanz, Vertretung aus dem Tessin, bessere Repräsentation der Frauen, Brückenbauerin
Das Dreierticket wurde als defensive Strategie der FDP bezeichnet. Ist dem so?
Das Wort Strategie unterstellt eine kluge und umsichtige Weitsicht, die ich bei der FDP im Hinblick auf die Bundesratsersatzwahl nicht erkennen kann. Das Dreierticket dient primär dem inneren Frieden der FDP und sekundär dem Parteiimage. Intern stösst man so niemanden vor den Kopf und nach aussen wird eine breite Palette suggeriert. Vor allem wird aber der Bundesversammlung die Möglichkeit einer Auswahl suggeriert, die faktisch keine ist. Denn ein dritter Romand im Bundesrat ist für die allermeisten deutschschweizer Parlamentarier keine ernsthafte Option. Ebensowenig ein zweiter Bundesrat aus der Waadt, weil sich dadurch eine absolute Mehrheit für Bern und die Waadt ergeben würde. Und wer Isabelle Moret kennt, weiss, dass ihr das politische Format und die Substanz einer Bundesrätin abgeht.
Das Dreierticket verdeckt das eindimensionale Vorgehen der FDP-Spitze. Es geht ihr darum, den zentristischen Bundesrat Burkhalter durch einen harten Rechtsaussen zu ersetzen und so erstmals seit 1959, dem Geburtsjahr der Zauberformel, im Bundesrat eine absolute Mehrheit für die harte Rechte (2 rechte SVPler und 2 rechte FDPler) zu schaffen. Dass nun dieser harte rechte Kandidat Cassis ein Tessiner ist, erlaubte diesen Herrschaften ihr eigentliches Interesse hinter dem berechtigten Anspruch der italienischen Schweiz zu verstecken. Die unsägliche Kampagne der NZZ-Chefredaktoren und der Diskurs des Arbeitergeberverbandes und von Economiesuisse sofort nach der Rücktrittserklärung von Didier Burkhalter war eindeutig und richtig krass: Sie wollen nun keine Brückenbauer mehr. Sie wollen keinen zweiten CVPler oder keine Bürgerlichen der Mitte wie Pascal Couchepin, Samuel Schmid, Evelyne Widmer-Schlumpf oder eben Didier Burkhalter. Sie wollen endliche eine eindeutige starre bürgerliche Bundesratsmehrheit, welche den drei von der SP und der CVP keine Chancen gibt. Doch dies widerspricht eindeutig der Idee der schweizerischen Konkordanzregierung. Deswegen suche ich nach Alternativen.
Viele sagen, dass es endlich der Zeit ist für einen Tessiner im Bundesrat. Welche ist Ihre Meinung dazu?
Diese Leute haben recht. Die italienische Schweiz müsste seit langem endlich wieder im Bundesrat vertreten sein. Auch deshalb habe ich vor acht Jahren schon Dick Marty unterstützt. Wir machten für ihn sogar ein kleines Büchlein in den Tessiner Farben. Doch schon damals tat Fluvio Pelli alles, um ihn zu verhindern. Der Anspruch der Tessiner war für diesen Tessiner Nationalrat also nicht wichtig. Später gehörte ich zu jenen, welche die Zahl der Bundesräte auf neun erweitern wollten; auch dies hätte dem Tessin endlich zu seinem Bundesrat verholfen. Doch auch diese Reform scheiterte an der mangelnden Unterstützung durch die Tessiner FDP. Wäre für die Tessiner FDP der Tessiner Anspruch tatsächlich prioritär, dann hätte sie der Fraktion zwei Tessiner vorgeschlagen, beispielsweise Ignazio Cassis und Laura Sadis. So hätte sie auch dem zweiten grossen derzeit überaus berechtigten Anspruch Rechnung getragen, nämlich demjenigen der Frauen in der Schweiz. Sie befürchten bald nur noch mit einer Frau im Bundesrat vertreten zu sein, was absolut archaisch und inakzeptabel ist. Sogar die letzte FDP-Bundesrätin, Elisabeth Koch, hat sich kürzlich am Deutschschweizer Radio gefreut, dass der Kanton Tessin mit Laura Sadis eine vorzügliche Frau als Bundesratskandidatin zu bieten hat.
Gestern auf RTS wurde gesagt: Géraldine Savary sieht keine grosse Überraschungen am 20. September. Es herrsche die Angst, dass es dann bei einer anderen Bundesratsersatzwahl einen Bumerang-Effekt geben könnte, wenn man eine Sprengkandidatur unterstützen würde. Ist eine solche Konstellation plausibel?
Vor zehn Jahren haben noch wenige Minuten vor der Abwahl von Herrn Blocher ganz erfahrene Ständeräte am Radio gesagt, sie sähen keine Überraschungen kommen. Frau Savary habe ich nicht als die mutigste und originellste Genossin im Bundeshaus in Erinnerung. Es geht doch bei einer Bundesratswahl nicht darum, sich einer Erpressung und einem so schlimmen Vorschlag - immerhin ginge es um eine historische Zäsur wie sie seit 1959 noch nie existiert hat im Bundesrat - zu unterwerfen in der Hoffnung, ein nächstes Mal selber die anderen erpressen zu können. Wir Sozialdemokraten haben in den letzten 60 Jahren schon öfters erlebt, dass sich die bürgerliche Mehrheit über den Vorschlag der SP hinweggesetzt hat und einen besseren Sozialdemokraten zum Bundesrat wählte. Und ich muss rückblickend zugeben, sie haben dies sogar ganz gut gemacht; unsere auf diese Art gewählten Bundesräte Tschudi (1959), Ritschard (1973) und Stich (1983) gehören zu den besten Bundesräten seit dem Zweiten Weltkrieg. Frau Sadis würde ausgezeichnet in diese Ahnengalerie passen. Ich bin überzeugt, in zehn Jahren wäre die ganze Schweiz stolz auf sie!
Die politische Komponente: Wie werden sich die Mitte-Links-Parlamentarier bei der Bundesratswahl verhalten?
Das kann heute noch niemand sagen. Darüber wird jetzt noch zwei Wochen lang jeden Tag diskutiert. Wichtig ist, dass sie den Mut und das Selbstvertrauen finden, sich von niemandem einen Kandidaten aufdrängen zu lassen, welche die schweizerische Konkordanzkultur in Frage stellt, sondern eine starke Tessiner Freisinnige finden, welche die drei derzeit wichtigsten Ansprüche mehr als gut erfüllt.
Wie gross sind die Chancen von Laura Sadis? Warum sollte sie unterstützt werden und nicht die offiziellen Kandidaten?
Die Mehrheit der Bundesversammlung besteht nicht aus harten Rechten. Deshalb ist vor zehn Jahren auch Herr Blocher wieder abgewählt worden. Die Mehrheit von National- und Ständerat will auch die Konkordanz bewahren und im Bundesrat nicht durch eine absolute Mehrheit der Rechtsaussen ersetzen. Und die Mehrheit der Bundesversammlung weiss, dass im Bundesrat die Frauen untervertreten und die italienische Schweiz schon zu lange gar nicht mehr vertreten ist. Wenn diese Mehrheit nun auch noch merkt, dass es mit Laura Sadis im Tessin eine Persönlichkeit gibt, die all diese Ansprüche erfüllen kann, dann hat Frau Sadis ausgesprochen gute Wahlchancen.
Im 2009 erhielt Dick Marty nur symbolisch in der ersten Runde Stimmen. Was wird am 20. September anders sein?
Damals führte Fulvio Pelli in der FDP und im Tessin Regie und hat leider mit allen Mitteln verhindert, dass der Kanton Tessin und die FDP Dick Marty unterstützten. So wurde einem der fähigsten und kompetentesten Politiker seiner Generation der Einzug in den Bundesrat verwehrt. Das hat all jene enttäuscht, die immer noch denken, in den Bundesrat gehörten doch die Besten, die wir haben.
Kontakt mit Andreas Gross
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