Publikationsdatum noch unbekannt (Sept. 2016)

Le Quotidien Jurassien

Das Mosaik der Demokratie

Stein 1

Die Demokratie steckt in einer Krise


Von Andreas Gross

Der Demokratie geht es schlecht. Überall auf der Welt. Auch in der Schweiz. So haben auch bei uns viele den Eindruck, Volksab­stim­mun­gen würden eher durch das Geld entschieden als durch das bessere Ar­gument.

So unbestritten die Krisen-Diagnose ist, so besonders ist ihr Charakter. Im Unterschied aber zu vor etwa 50 Jahren stellt heute niemand mehr die Demokratie als beste Regierungsform in Frage. Keiner bezweifelt ihren grundlegenden Wert für eine vernünftige politische Ordnung. Sie ist zur einzig legitimen Quelle politischer Macht geworden. Selbst Despoten be­nützen heute die Demokratie als Mäntelchen und geben vor, Demokra­ten zu sein.

Doch gerade in dem Moment, wo es so viele Demokratien wie noch nie gibt auf der Welt und wo niemand mehr ihre Bedeutung für eine legitime politische Herrschaft bestreitet, sind ebenfalls so viele Menschen wie noch nie auf der ganzen Welt enttäuscht über die Qualität der Demo­kra­tie, in der sie leben.

Zwei der wichtigsten Ansprüche an eine Demokratie sind beispielsweise, dass sie erstens den Bürgerinnen und Bürgern erlaubt, frei zu sein und gemeinsam mit anderen Freien die Grundlagen ihres Lebens mitgestalten zu können. Zweitens sollten in einer Demokratie alle von einer Ent­schei­dung Betroffenen indirekt oder direkt Teil des Entscheidungsprozesses sein.

In einer Demokratie ist das Leben nicht einfach Schicksal. Doch wer hat heute wirklich das Gefühl, die Grundlagen seiner Existenz entscheidend beeinflussen zu können? Ist es nicht viel mehr die Wirtschaft, die im We­sentlichen unser Dasein bestimmt, so wie viele dies vor 500 Jahren vom lieben Gott geglaubt haben?

Die Krise der Demokratie zeigt sich auch daran, dass es uns an einem gemeinsamen Begriff von ihr mangelt. Viele verstehen ganz unter­schied­li­ches unter ihr. Deshalb ist es auch so schwer, Wege zur Überwindung der Krise der Demokratie aufzuzeigen. Denn dies schaffen nur die De­mo­kratinnen und Demokraten selber. Doch wenn diese kein gemein­sa­mes Verständnis der Demokratie haben, nicht wissen, worauf es wirklich an­kommt in einer Demokratie, können sie diese auch nicht verteidigen, geschweige denn weiterentwickeln, restaurieren und immer wieder neu stärken.

Genau darum geht es mir in den kommenden Monaten in diesen Ko­lum­nen. Die verschiedenen Elemente, welche die Demokratie ausmachen, sollen deutlich gemacht werden. Die Demokratie ist für mich ein Gesamt­kunstwerk im Sinne eines Mosaiks aus mindestens 250 Steinchen, die unterschiedlich gross sind und unterschiedliche Formen haben. Wobei nicht nur die Stärke der einzelnen Mosaiksteine die Qualität der Demo­kra­tie ausmacht, sondern ihre Beziehung und ihr Verhältnis zueinander. Wenn wir uns darüber einig werden können, werden wir auch merken, was wir zusammen tun können, um die Krise der Demokratie zu über­winden. Bei uns und auch anderswo.

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Abraham Lincoln (1809-1865):

«C’est à nous les vivants de nous vouer à l’œuvre inachevée que d’aut­res ont si noblement entreprise. C’est à nous de nous consacrer plus enco­re à la cause pour laquelle ils ont offert le suprême sacrifice (...) à nous de vouloir que (...) notre pays renaisse dans la liberté; à nous de décider que le gouvernement du peuple, par le peuple et pour le peuple, ne disparaîtra jamais de la surface de la terre.»

La fin de l’adresse du Président Abraham Lincoln le 19 novembre 1863, quand il a inauguré le Cimetière Militaire de Gettysburg en Pennsylvanie pour les 51'000 victimes d’une des plus grandes batailles de la guerre civile américaine, décrit par Lincoln dans le même discours, comme «une guerre pour la liberté, l'égalité et contre l'esclavage». (Traduction de l’historien André Kaspi pour France Inter)


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