13. Jan. 2016

Weltwoche

Ein Strahlemann ohne Selbstzweifel


Acht Jahre sind genug, meinte SVP-Toni Brunner vergangenen Samstagmittag zum Schluss einer Parteikonferenz und kündigte auf das kommende Frühjahr seinen Rücktritt als Parteipräsident an. Im Nationalrat will er bleiben, aber mehr Zeit für seinen Hof und seine Partnerin haben.

Vor 20 Jahren kam Toni Brunner ins Bundeshaus. Als damals jüngster Nationalrat aller Zeiten. 1995 war er 21 Jahre alt geworden. Ein blonder fröhlicher Bauernbub vom Bendel, einem auf 1050 Meter Höhe gele­ge­nen Weiler auf der Sonnenseite des Toggenburgs, der gemäss seiner Mutter lange lieber mit dem Hofhund spielte als mit Kindern und lieber mit dem Vieh flüsterte als mit den Menschen. «Das ist ein Unfall» kom­mentierte Toni Brunner gegenüber dem Radio seine alle, auch ihn, völ­lig überraschende Wahl, nachdem man ihn damals am Wahlsonntags­nachmittag an der Olma in St. Gallen aufgestöbert hatte. Am Mikrophon solle es gekracht haben, so schallend lachend und kichernd habe es ge­tönt und geknackt – wie immer wenn sich Toni spitzbübisch freut und über alle vier Backen strahlt, sich krümmt und den Bauch hält und dies ist sehr oft der Fall. Kommentar des Beobachters aus dem Sommer 2009: «Toni Brunners Vorrat an Heiterkeit würde für zwei Leben reichen; (...) es gurgelt und gigelet immerzu!»

Politisch packen liess sich Toni Brunner 1991 als 17jähriger in Frauen­feld durch eine Rede des – nein, nicht des damals omnipräsenten In­du­striellen und Ex-Bauernlehrling Blocher vom Zürichsee – sondern des Thurgauer Bauern, Ständerats und sehr besonnenen SVP-Schweiz-Prä­sidenten Hans Uhlmann; Uhlmann war und ist übrigens so beson­nen, dass er heute auf der SVP-Webseite und deren Ausführungen zur eigenen Geschichte nicht mehr zu finden ist. Brunner war jedenfalls ob Uhlmanns Rede so begeistert, dass er 1992, als der Beitritt zum Euro­pä­ischen Wirtschaftsraum (EWR) die Schweiz umtrieb, dem SVP-Sek­retariat in Bern einen Brief schrieb und fragte, ob er in St. Gallen, wo weit und breit von der SVP nichts zu sehen war, eine SVP-Sektion gründen könnte. Natürlich durfte er und tat es auch. Dabei half ihm dann Christoph Blocher, der 1992 keine Gelegenheit verpasste, um Turnhallen zu füllen und gegen den EWR im Allgemeinen und Europa im Besonderen zu polemisieren. Blocher überzeugte den jungen Brun­ner nicht nur ein für alle Mal von der absoluten Macht der «nationalen Souveränität und Unabhängigkeit», sondern Blocher lernte damals auch ein politisches Kommunikations- und Verkaufstalent kennen, das er nicht mehr aus den Augen liess. Toni Brunner wurde 1993 Präsident der ersten SVP-Bezirkspartei Obertoggenburgs, 1998 Präsident der St. Galler Kantonalpartei und damit Bauführer und Bauleiter der heute mit 35,6 % WählerInnen-Anteil grössten aller St. Galler Parteien – ein für viele unglaublicher Erfolg in einem jahrhundertealten, katholisch-kon­ser­va­tiven Kernland. Etwas getrübt wird dieser Erfolg nur dadurch, dass dieser parteipolitische Auf- und Umschwung Brunner selber zweimal nicht in den Ständerat und einmal auch nicht in den Regierungsrat zu tragen vermochte. Zum «Sturm aufs Stöckli» und die kantonalen Re­gie­rungspalais war der Rückenwind für die SVP-Haudegen und Gründer­vä­ter bis heute zu schwach.

Im Nationalrat hörte man Toni Brunners dröhnend-schallendes Lachen in der Wandelhalle häufiger als ein zündendes Votum, eine originelle Frage oder einen überraschenden Vorstoss. In 20 Jahren brachte er es auf bloss 57 persönliche Anstösse. In seinen ersten drei Jahren be­schränk­te er sich auf drei Anfragen, vom Tiermehlimport bis zur Sen­kung der Verwaltungskosten im Bauernbetrieb. Sowohl im Plenum als auch in den Kommissionen reichte Brunner jeweils die Darlegung sei­ner Beweggründe, von der Auseinandersetzung mit kritischen Einwän­den oder gar selbstkritischen Eingeständnissen hielt er nichts. Gegen­ar­gu­mente pflegt er lieber zu ignorieren als sich mit ihnen auseinander­zu­setzen; es könnte ja rutschig werden und neue Einsichten könnten alte Vorurteile in Frage stellen.

Doch Christoph Blocher sind Gefolgschaft und loyales Schaffen wich­ti­ger als eigenständige Kreativität. Im Jahre 2000 wurde Brunner Vize­prä­sident der SVP Schweiz, 2008 als Nachfolger des mit einer Stimme Mehrheit in den Bundesrat gewählten Ueli Maurer schliesslich Partei­präsident. Brunner war und blieb ein Kind Blochers. Jede noch so harte Linie gegen «Ausländer, Asylanten, Europa» wurde gefahren; seine Eloquenz steigerte sich mit der Erfahrung, seine Einweg-Kommuni­ka­tions­weise auch. Es war zwar immer lustig mit ihm zu streiten, er blieb auch im grössten Zwist eine Frohnatur, doch auf ein Gegenargument einzugehen vermochte er nie; und für auch nur leisen Zweifel an der Angemessenheit seines Diskurses oder an den von ihm postulierten Brutalitäten war nie auch nur ein Türspalt offen. Von Bundesrat Maurer weiss man, dass er immer mal wieder unter der auch gegenüber eige­nen Parteigenossen rücksichtslosen Dominanz und Härte litt; von Toni Brunner ist solches nicht bekannt. Er liess niemals etwas gegen seinen Meister zu. Mit einer Ausnahme: Als ihn dieser auch noch zum Bundes­rat machen wollte letzten Herbst, da widersprach er in dieser eigenen Sache.

Als Parteipräsident tritt Toni Brunner auf der Höhe des mitgebauten SVP-Erfolgs zurück. Ein Rücktritt, der für ihn zur grossen Chance wer­den kann. Brunner hat nun die Möglichkeit, endlich auch national zum eigenständigen Politiker zu werden, der mehr ist als der Strah­le­mann für die Sache der Anderen. Nun kann er zeigen, dass er zuhören und auch aufnehmen kann, was andere sagen, und so eine umsich­ti­ge­re und nachsichtigere Politik entwickeln, die einen grösseren Nutzen hat als bloss den für die eigene Partei. Und dann wird er in drei oder acht Jahren doch noch ins Bundeshauszimmer einziehen können. End­lich aus eigenem Willen und dank eigenen Tun, emanzipiert vom Ziehvater vom See. Das Lachen wird ihm dabei nicht vergehen.


Kontakt mit Andreas Gross



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