23. Sept. 2015

TagesWoche
Basel

Die Armee kann sich zu etwas Neuem entwickeln, aber am Schluss dieses Prozesses wird sie keine Armee mehr sein


Die Militärübung Conex 15 stösst auf grosse Ablehnung, vor allem in Basel. Können Sie sich vorstellen warum?

Basel, die Stadt von Erasmus, hat eine lange Geschichte des Leidens und der Skepsis gegenüber der Armee und allem militärischen. Es ist ja sogar auf Basler Arbeiter geschossen vor dem Krieg und während des Krieges hat die Armee den Baslern deutlich gemacht, dass sie nicht «verteidigt» werden können. Diese Skepsis äusserte sich auch vor 26 Jahren im Resultat zur Volksinitiative «Schweiz ohne Armee», zu der Basel das kritischste Resultat der ganzen Deutschschweiz lieferte - die beiden einzigen ganz ablehnenden Kantone waren Jura und Genf. Eine solche Übung in Basel anzusiedeln, ist etwa so, wie wenn die Metzger­meister bei den Veganern eine Party veranstalten würden.

Obwohl das Szenario verhältnismassig realitätsnah nah war (Ressour­cenknappheit, dynamische Flüchtlingsströme), hat es die Armeeführung (Divisionär Bölsterli) später heruntergespielt. War ein solches Szenario politisch nicht opportun?

Die Armee steht für eine ganz bestimmte Form der Konfliktbearbeitung und -lösung, die wenig empathisch und rücksichtsvoll ist. Sie steht für eine völlig archaische Form der Konfliktbearbeitung, die höchstens neue Probleme schafft und keine aktuellen Probleme wirklich zu lösen vermag. Deshalb ist es völlig schräg, sie heute mit Fragen wie der Ressourcenknappheit oder den Flüchtlingen zu konfrontieren. Diese bedürfen eine ganz andere Form der Arbeit, zu der die Armee unfähig ist. Das heisst, wer diese Probleme wirklich ernst nimmt, der weiss, dass die Armee bei deren Bewältigung mehr stört als hilft und deshalb ungeeignet ist dafür.

Solche Szenarien sind entweder lächerlich (Grauland vs. Rotland) oder zu realistisch. In letzterem Fall wird dann eine politische Agenda da­hin­ter vermutet. Zurecht?

Sie sind der verzweifelte Versuch, der Armee eine Existenzbe­rech­ti­gung zu verschaffen in einer Zeit, in der sie diese sonst offensichtlich nicht mehr zu finden vermag.

Dient der Fokus auf Katastrophenhilfe der immer umstritteneren Armee als Möglichkeit zur Legitimierung?

Sie versucht dies, vermag aber nicht zu überzeugen. Denn auch Ka­ta­strophenhilfe bedarf eines Knowhows, das in der Armee nicht prioritär gelernt wird. Auch dies wird sie also nicht retten.

Ist das wirklich eine Aufgabe der Armee oder könnte man dazu nicht den Zivilschutz ausbauen?

Es gibt Zivilschutzverbände, die dafür ausgebildet werden; die wären also gewiss geeigneter, wobei dies nicht für alle Zivilschützer gilt, denn dort gibt es je nach Landesgegend erstaunlich unterschiedliche Auf­ga­ben- und Ausbildungsschwerpunkte.

Die Weiterentwicklung der Armee (WEA) sieht eine stärkere Regio­na­li­sierung vor. Früher hingegen galt die Armee als Symbol des nationalen Zusammenhaltes. Woher kommt diese Neuausrichtung?

Es könnte sein, dass sich hier die Armee einen modischen Trend, die Dezentralisierung, zu Eigen machen will. Doch eine Armee muss zen­tralistisch organisiert sein, sie muss als Einheit funktionieren in ihrer Logik und so wird auch diese Mode ihr im Kern nicht weiterhelfen.

Worin liegt der grösste Unterschied der WEA zur heutigen Armee?

Seit 30 Jahren sucht die Armee nach einer neuen Identität. Doch nur mit angezogener Handbremse, denn sie hält im Wesentlichen immer noch an Kriegsbildern und Kampfvorstellungen fest, die anachronistisch geworden sind. Wenn sie sich davon nicht lösen kann, wird jede WEA ihr nicht weiterhelfen, sondern kommt einer Bewegung im Kreis gleich, immer ums gleiche falsche, nicht mehr notwendige und anachro­nis­ti­sche Zentrum. Erst wenn sie sich davon löst, kann sie sich zu etwas Neuem weiter entwickeln. Aber dies wäre dann keine Armee mehr.


Kontakt mit Andreas Gross



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