28. Mai 2015
St. Galler Tagblatt
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Vielleicht sollte Blatter mehr auch über die inneren Widerstände sprechen
Die Fragen stellte Jürg Ackermann.
Herr Gross, am Freitag wird Sepp Blatter wohl für eine fünfte Amtszeit als Fifa-Präsident bestätigt. Ist das eine gute Nachricht für die Schweiz?
Seine Abwahl wäre jedenfalls eine schlechte Nachricht in der und für die Schweiz.
Warum?
Weil er neben Roger Federer und Jean Ziegler wohl zu den weltweit bekanntesten Schweizern zählt; weil viele Schweizer Freude haben an ihm und weil er in Afrika bei vielen sogar als derjenige Europäer gilt, der den Afrikanern in den letzten 20 Jahren am meisten geholfen hat.
Die WM-Vergaben an Katar und auch Russland stehen unter Korruptionsverdacht. Die Polizeiaktion gestern in Zürich zeigt, dass Korruption offenbar zum System Fifa gehört. Blatter als langjähriger Fifa-Präsident und ehemaliger Generalsekretär trägt Verantwortung dafür. Bräuchte es nicht einen Wechsel an der Spitze?
Ich gehöre zu jenen, welche den Menschen Lernfähigkeit zusprechen und auch zugestehen. Das heisst, wenn jemand klüger wird, bessere Einsichten gewinnt und diese auch umsetzen will, dann soll er in wichtigen Ämtern bleiben dürfen und dort seine Erfahrungen zur Erneuerung nutzen. Bezüglich des ISL-Skandals konnte man Blatter meines Wissens nie etwas Illegales nachweisen, und was Katar betrifft ist bekannt, dass er gegen Katar als WM-Austragungsort gestimmt hat. Die Polizeiaktion gestern in Zürich zeigt, dass es in der Fifa Korruption zu geben scheint; inwiefern Sepp Blatter aber dafür verantwortlich gemacht werden kann, muss erst die Untersuchung zeigen. -- Wenn seine Gegenkandidaten weniger überzeugend für die Reformen einstehen, dann ist Blatter immer noch eine gute Wahl. Dies sage ich als einer, der ihm aber vor zwei Jahren den Rat gab, nicht wieder zu kandidieren.
Wie kam es dazu, dass Sie dem Fifa-Präsidenten Ratschläge erteilen?
In einer Subkommission des europarätlichen Kulturausschusses haben wir uns 2013 und 2014 monatelang sehr intensiv mit der Struktur der Fifa, ihrer Verwaltung, ihren Reformvorhaben und auch mit der sehr weit gehenden Kritik an ihr auseinandergesetzt. Dabei habe ich mich einige Male auch mit Sepp Blatter getroffen und viel diskutiert. In diesem Zusammenhang riet ich ihm vor zwei Jahren ganz persönlich, nicht wieder zu kandidieren. Damals teilte er diese Meinung, kam dann aber wieder darauf zurück, als er sah, dass niemand kandidierte, der den Reformprozess und sein Konzept des Teilens des Reichtums, welchen die Fifa geriert, fortsetzen wollte.
Der Reformprozess der Fifa ist eine Alibiübung. Keine Offenlegung der Gehälter, keine Amtszeitbeschränkung, kein wirklicher Wille zur Transparenz. Wie können Sie sich als Politiker der SP, der sich für Good Governance etc. einsetzt, für die Fifa begeistern?
Ich interessiere mich für die Fifa, von Begeisterung habe ich noch nie gesprochen. Meine Begeisterung gilt dem Fussballspiel an sich. - Ich würde im Zusammenhang mit dem FIFA-Reformprozess aber nicht von einer Alibiübung sprechen. Nur weil nicht alles so weit verbessert wird, wie wir uns dies wünschen, bedeutet dies nicht, dass nichts gemacht wird. Das deutsche Mitglied des Fifa-Exekutivkomitees, Theo Zwanziger, hat eben wieder unterstrichen, dass mit Blatter allein die Reformen schon viel weiter gediehen wären, die Bremser aber vor allem die anderen Europäer waren. Einiges ist bereits getan worden; noch mehr wäre richtig. Vielleicht sollte Blatter mehr auch über die inneren Widerstände sprechen und sich weniger schützend vor die Leitungsgremien stellen, aus deren Innerem die Widerstände von Beteiligten kommen, die in der grossen Öffentlichkeit dann zu wenig Verantwortung übernehmen müssen.
Noch nie war das Image der Fifa so schlecht. Das färbt auch auf die Schweiz als Standort des Weltfussballverbandes ab.
Das stimmt. Deshalb hat sich ja auch eine Kommission des Europarates intensiv mit der Fifa auseinandergesetzt. Da habe ich viel gelernt, aber gemerkt, dass Sepp Blatter vor etwa sechs Jahren selber gemerkt hat, dass die Fifa einiges ändern muss. Blatter gehört seither zu jenen, welche sich für die Reformen in der Gouvernance der Fifa einsetzen und die auch schon einige Reformen in Gang gebracht haben. Was die Schweiz als Standort vieler Weltsportverbände betrifft, so hätte, wie ich gehört habe, Sepp Blatter auch nichts gegen ein Gesetz, das die ganz grossen Verbände (Fifa, Olympisches Komitee, UEFA und ähnliche mit einem Umsatz von mehr als einer Milliarde Franken) anders behandelt als irgend einen Kegelclub und bezüglich Transparenz, innerer Demokratie, Gewaltenteilung und Steuern besondere Ansprüche formuliert.
Ist es noch zeitgemäss, dass der Milliardenkonzern Fifa in der Schweiz wie ein Verein behandelt wird?
Nein, wie gesagt, ich würde die drei ganz grossen Weltsportverbände anders behandeln. SP-Kollegen haben im Nationalrat schon entsprechende Vorschläge gemacht, doch sind wir bisher mit solchen Vorschlägen unterlegen. Zu viele befürchten, so manch andere Hauptstadt dieser Welt würde noch so gerne diese Verbände noch viel billiger einquartieren.
Der politische Druck in der Schweiz hat immerhin bewirkt, dass die Fifa mittlerweile über 30 Millionen Franken pro Jahr an Steuern zahlt.
Das stimmt, doch das ist vergleichsweise immer noch zu bescheiden.
Sie sind Sepp Blatter schon ein paar Mal begegnet: Was beeindruckt Sie an ihm?
Er ist ein sehr charmanter Mensch, der von seiner Sache überzeugt ist und sich nicht so schnell von seinem Weg abbringen lässt. Weshalb er vor allem in Grossbritannien und Deutschland eine derart schlechte Presse hat und seine Arbeit so undifferenziert schlecht gemacht wird, das frage ich mich freilich auch.
Wären Sie nicht auch gerne bis in Blatters Alter Nationalrat geblieben?
Nein, das wäre dumm. Es wird zwar in der Politik auch gespielt und in einem Sportverband wird gewiss politisiert, doch gibt es fundamentale Unterschiede zwischen einem Staat und einem Sportverband sowie zwischen dem Fussball und einer Demokratie.
Es gibt aber auch Gemeinsamkeiten. Immerhin wird Sepp Blatter nachgesagt, er würde sich nichts sehnlicher wünschen als den Friedens-Nobelpreis - für die völkerverbindende Kraft des Fussballs. Hätte er diesen Ihrer Meinung nach verdient?
Trotz aller Liebe zur Dialektik des Streits, der auch zusammenführen kann, bin ich mir da nicht so sicher, ob der Fussball dieses Potenzial wirklich in sich birgt. Wir dürfen nicht vergessen, dass er immer wieder auch zu grösseren und kleineren gewaltsamen Auseinandersetzungen verleitet. Doch die Fifa könnte hier noch viel mehr versuchen und wenn sie dies denn einmal schafft, die völkerverbindende Leistung auch deutlich und für die Menschen weltweit einsichtig machen kann, dann würde wohl sie als weltumspannende Organisation den Nobelpreis verdienen und nicht einfach deren Präsident.
(Nicht ganz ernst gemeint …) Schielen Sie nach dem Rückzug aus der Politik im kommenden Herbst auf ein Amt bei der Fifa?
Für ein Amt in der Fifa müsste ich wohl Erfahrungen in der nationalen und internationalen Verbandspolitik mitbringen, die mir fehlen.
Wären Sie selber gerne Fussballer geworden?
Ich habe immer ausgesprochen gerne und viel Fussball gespielt; zuerst in der Primarschule, im Progymi, während der Mittelschule dank Helmut Benthaus auch beim FCB jeweils am Mittwochabend im Match der Reserven gegen die 1. Mannschaft. Später an der Uni, im FC Gemeinderat und im FC Nationalrat - das heisst also immer auf dem angemessenen Niveau und im Wissen um die eigenen begrenzten Möglichkeiten.
Kontakt mit Andreas Gross
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