12. Mai 2015
Tagesanzeiger
Berner Zeitung etc.
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Frau Markwalder hat mich nur mitleidig belächelt
Nachstehend dokumentieren wir das vollständige Gespräch; mit der veröffentlichten Versionen kann mit dem nebenstehenden Link verglichen werden. (fk)
Ist es üblich, dass Informationen, die dem Kommissiongeheimnis unterstehen, an Lobbyisten (auch Interessenverbände und Gewerkschaften) weitergereicht werden?
Meines Wissens ist dies nicht üblich und es sollte auch nicht üblich sein. Ich habe dies noch nie gemacht. Doch es gibt ParlamentarierInnen - und dies ist das eigentliche Problem in der Schweiz -, die mit Verbänden oder Interessensorganisationen als Sekretär, Generalsekretär, Präsident oder Vorstandsmitglied finanziell verbandelt sind, also von einer Organisation, die direkt betroffen ist von der Gesetzgebung und entsprechende Interessen vertritt, einen Lohn beziehen. Bei denen kann ich mir gut vorstellen, dass sie auch Unterlagen weitergeben, die sie vom Bund bekommen und anfordern. Vielleicht ist dies in Kommissionen, die sich mit dem Verkehr, dem Gesundheitswesen, dem Bau oder der Finanzpolitik beschäftigen eher der Fall als in der Staats-, Europa- oder Aussenpolitik, in deren Kommissionen ich mich engagiere.
Kommt das häufig vor? Ist das quantifizierbar (die Hälfte? Ein Drittel?)?
Das kann ich nicht beurteilen. Da habe ich bloss Vermutungen, die ich jedoch nicht beweisen kann und wozu ich deswegen nichts sagen möchte.
Unterscheidet sich das je nach Kommission?
Wie gesagt, sehr wahrscheinlich schon.
Christa Markwalder macht geltend, sie habe einer Lobbyistin zu viel Vertrauen geschenkt? Ist Naivität in diesem Fall nachvollziehbar?
Der Begriff «naiv» scheint mir eine grosse Beschönigung zu sein. Es fehlte Ihr die nötige Distanz zur Lobbyistin, was mit ihrer eigenen Art des Parlamentarierseins zusammenhängen könnte.
Einzelne Parlamentarier wie notabene auch Christa Markwalder (Public Affairs, Zürich Versicherung) sind von Beruf Lobbyisten. Was halten Sie davon?
Genau dies meine ich. Sie hat auch schon öffentlich geschrieben, jedes Mitglied des Parlamentes sei doch ein Lobbyist. Damit verwechselt sie den Einsatz für eigene Überzeugungen mit dem Einsatz für die Sache einer Organisation, von der man - auch dafür - finanziell entschädigt wird. Das sollte meiner Meinung nach nicht gestattet werden. Dies kann der Bund aber nur verbieten, wenn er den Parlamentariern wie in den meisten europäischen Ländern einen anständigen Lohn bezahlt, so dass diese dann auch nicht mehr auf Nebeneinkünfte angewiesen sind. Ich habe ihr schon vor Jahren gesagt, dass ich ihre 50-%-Anstellung bei der Zürich Versicherung für eine Entschädigung von (damals) 100'000 Franken als völlig falsch erachte. Sie hat mich dafür aber nur mitleidig belächelt.
Viele sagen, Lobbyisten seien unerlässlich, da Parlamentarier auf ihr Fachwissen angewiesen sind. Teilen Sie diese Meinung?
Das kann man so sehen. Doch müssen sie deswegen nicht tagelang in der Wandelhalle herumstehen und diese so füllen, dass man keinen Raum mehr hat für die Gespräche mit Kolleginnen und Kollegen. Ich diskutiere auch gerne mit Menschen, die von einer Sache wirklich etwas verstehen. Dies müssen aber keine Lobbyisten sein. Und ich kann mich mit ihnen auch ausserhalb des Bundeshauses treffen, so wie sie, wenn sie denn wirklich ein Anliegen an mich haben, mich ausserhalb der Wandelhallen treffen können. Das Grundsatzproblem ist doch, dass von uns Parlamentariern erwartet wird, uns für das einzusetzen, was wir im Allgemeininteresse der Schweizerinnen und Schweizer für richtig erachten. Wer nun aber einen Teil seines Lohnes von einer Interessenorganisation bekommt, der denkt nicht mehr primär ans Allgemeininteresse sondern vor allem an die (Sonder-)Interessen jener, die ihn entlohnen. Und machen Sie nicht den Fehler, die Summe aller Sonderinteressen mit dem Allgemeininteresse gleichzusetzen.
Welches sind die Risiken oder Probleme des Lobbyismus?
Eben, der Parlamentarier ist nicht mehr unabhängig; nicht mehr die Interessen und Lebensbedürfnisse seiner Wähler und der Gesellschaft im Allgemeinen stehen im Vordergrund und in seinem persönlichen Focus, sondern die Spezialinteressen derjenigen, für die er lobbyiert wird und von denen er bezahlt wird. Anderswo bezeichnet man dies als Korruption: Wer viel Geld hat und viele Parlamentarier in seinem Sinne mit Geld beeinflussen kann, bekommt die Gesetzesformulierung, die ihm passt und die seinen Geschäften entgegenkommt.
Können Sie mir konkrete Beispiele erzählen (allenfalls ohne Namen)?
Wenn in der Gesundheitskommission des Ständerates die Mehrheit der Mitglieder Verwaltungsräte oder Angestellte von Krankenkassen oder Spitälern, beziehungsweise von deren Verbänden sind, dann habe ich schon den Eindruck, das Interesse des Patienten sei nicht mehr primär sondern werde sekundär. Oder in der staatspolitischen Kommission des Ständerates sassen vor zehn Jahren ein Drittel Verwaltungsräte von Zeitungen, welche kein Engagement des Bundes für mehr Konkurrenz und mehr Qualität in und unter den Zeitungen wollten. Sie killten also den im Nationalrat beschlossenen Verfassungsartikel zur direkten Medienförderung, obwohl dies im Interesse der grossen Mehrheit der Schweizer und der schweizerischen Demokratie gewesen wäre, beziehungsweise immer noch wäre.
Hat sich die Einflussnahme von Lobbyisten in den vergangenen Jahren verstärkt?br>
Quantitativ ganz bestimmt. «Qualitativ» war wohl der Gipfel schon vor fünf Jahren erreicht, als, wenn ich mich richtig erinnere, in einer Frage der Steuerrechtes eine Vertreterin der Economiesuisse um sieben Uhr morgens vor dem Ständeratssaal Flugblätter verteilte, mit genauen Anweisungen, wie man bei welchen Anträgen zu stimmen hätte. Es war übrigens eine ehemalige Nationalrätin, welche von Economiesuisse engagiert wurde; eine Tendenz, die wie man in Deutschland und den USA sieht, wohl auch bald in der Schweiz noch zunehmen wird: Ehemalige Parlamentarier eigenen sich besonders gut als Lobbyisten, denn sie kennen Haus, Leute und die entsprechenden Gepflogenheiten.
Woran erkennen Sie das?
Bezüglich der Qualität muss man genau beobachten, die Geschichte von Anträgen eruieren und Korrelationen hinterfragen. Quantitativ ist es einfach: Sie können sich in der Wandelhalle zu Stosszeiten kaum mehr frei bewegen.
Bis zu einem gewissen Grad halten auch Sie es für sinnvoll, dass Interessenvertreter Zugang erhalten: Soeben habe ich festgestellt, dass auch Sie einem Interessenvertreter des Schweizerischen Heimatschutzes Zugang zum Bundeshaus gewähren.
Das stimmt, es handelt sich um den Geschäftsführer des Schweizerischen Heimatschutzes, ein Mensch, mit dem ich seit 30 Jahren in verschiedenen Zusammenhängen zusammengearbeitet habe. Er vertritt als Heimatschützer meines Erachtens Interessen der grossen Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer und deshalb verhalf ich ihm zum Zutritt ins Bundeshaus. Allerdings interessieren ihn viele Geschäfte, nur nicht jene, die mich am meisten beschäftigen. Deshalb kann er mir nicht weiter helfen und ich ihm auch nicht.
Das Milizparlament ist kein Grund, den Lobbyismus zu rechtfertigen. Zum Beispiel im Profiparlament Deutschlands hat es auch sehr viele Lobbyisten.
Das Milizsystem ist eine Goldgrube und der beste Boden für Lobbyisten. Selbstverständlich kümmern sich diese auch um ein Profiparlament: Doch dort ist es schwieriger, Parlamentarier voll von sich einzunehmen. Und zweitens ist das Lobbysystem in Washington, Brüssel oder Berlin viel transparenter. Jeder weiss, für wen jemand tätig ist und jeder weiss auch, von wem ein Parlamentarier wieviel Geld bekommt, wenn er denn überhaupt das Recht hat, etwas zu bekommen.
Was ist zu tun? Ist der Vorstoss für mehr Transparenz von Lukas Reimann zu begrüssen? Braucht es mehr? Was?
Ich möchte in Bern (und auch in den kantonalen Parlamenten) genau so viel Durchblick und Transparenz wie in den genannten Hauptstädten. Zudem möchte ich für alle Parlamentarier einen anständigen Lohn und eine entsprechende Pension - vergleichbar mit jenen eines Zürcher Gymnasiallehrers. Dann kann man ihnen auch Nebeneinkünfte von und für Interessenorganisationen verbieten. Und den Zugang zur Wandelhalle sollte man um die Hälfte beschneiden, so dass die 246 gewählten Bundeshausinsassen wieder Luft haben, sich frei bewegen können und in der Wandelhalle ihre Gespräche führen können, die heute oft in den Saal verlagert werden müssen und dort den Lärmpegel ins Unerträgliche steigern. Ich glaube aber nicht, dass SVP-Kollege Reimann so weit gehen würde. Denn der Bauernstand mit all seinen Gemüse-, Milch-, Fleisch-, Getreide-, Zuckerrüben- und anderen Branchenlobbies sowie mit den entsprechenden Regional- und Landesverbänden gehört zu den wichtigsten Quellen des Loobyismus. Mit bedeutenden Folgen, wie der kürzlich verstorbene BGB-Kollege Walter Hofer schon vor 30 Jahren aufzeigte: Wegen der Bauernlobby interessieren sich im Bundeshaus mehr Parlamentarier für den Milchpreis als für Europa.
Kontakt mit Andreas Gross
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