5. Nov. 2014
SP-Fraktion/
Entwurf
|
Menschenrechte und Direkte Demokratie
11 Thesen zum Verhältnis Menschenrechte und Direkte Demokratie im Hinblick auf die Verständigung über die Eckpunkte der anstehenden notwendigen Reformen.
1.
Gemäss Bundesverfassung bilden die Rechte der Bürgerinnen und Bürger, die direkte und die indirekte Demokratie sowie die Rechtstaatlichkeit die Grundlagen des schweizerischen Staates. Sie ermöglichen die Freiheit der Bürgerinnen und Bürger und schützen diese gleichzeitig.
2.
Teil der Bundesverfassung ist seit 1974 gleichsam auch die Europäische Menschenrechts-Konvention (EMRK). Deren Grundrechte und Prinzipien zum Schutz der Würde des Menschen sind weitgehend in die Bundesverfassung eingegangen. Andererseits entsprechen die Prinzipien der schweizerischen Verfassung auch denjenigen der EMRK und werden von ihr geschützt.
3.
Der Wille, Macht ans Recht zu binden, kommt auch im Völkerrecht zum Ausdruck. Nicht nur die Beziehungen zwischen Staat und Bürger sondern auch die Beziehungen der Staaten untereinander sollen vom gemeinsam vereinbarten Recht geprägt werden. Das ist der Konsens, auf dem das Völkerrecht beruht.
4.
Als Kleinstaat, der seine Existenz nicht durch die eigene Macht schützen könnte, ist die Schweiz ganz besonders an der Entwicklung und der Beachtung des Völkerrechtes interessiert. Es garantiert seine Unabhängigkeit und deren Achtung durch die anderen Staaten. Es ist international unbestritten, dass kein Staat unter Berufung auf internes Recht Verletzungen des Völkerrechtes rechtfertigen kann.
5.
Bundesverfassung, EMRK und das Völkerrecht bilden ein Ensemble, eine zivilisatorische Errungenschaft, die Antwort Europas auf die Gewalt, die im ersten Teil des 20.Jahrhunderts den Menschen hier angetan worden ist. Dieses Ensemble garantiert die Freiheit der Bürgerinnen und Bürger und die Würde aller Menschen. Es aufzubrechen hiesse, die Verletzung der Würde bestimmter Menschen in Kauf zu nehmen – ein für die SP unerträglicher Gedanke.
6.
Die Angriffe der SVP auf das Völkerrecht und der Versuch, Landesrecht gegenüber internationalem Recht zu priorisieren, zielt auf die EMRK, deren Garantie durch den Europäischen Menschenrechts-Gerichtshof (EMGR) und deren Beachtung durch das Bundesgericht. Noch genauer: Die SVP möchte mit ihrem Versuch, die EMRK zu domestizieren, schweizerische Grundrechte und menschenrechtliche Prinzipien, wie sie in der Bundesverfassung für alle garantiert werden, relativieren und für bestimmte Menschengruppen ausser Kraft setzen.
7.
Ohne die EMRK, auf deren Basis der EMGR dies im Einzelfall verhindern kann, könnte die Mehrheit der Bundesversammlung oder die Mehrheit der Stimmenden und der Stände Artikel 5, Abs. 1 der Bundesverfassung missachten, wonach das Recht die Grundlage und die Schranke staatlichen Handeln ist. Denn das Bundesgericht hat diese Kompetenz (noch?) nicht, Gesetze, welche den in der Verfassung geltenden Grundrechten widersprechen, nicht zu beachten. Nur der EMGR kann und tut dies.
8.
In dieser Beziehung sieht die SP höchstens in der Aufwertung des Bundesgerichtes einen Handlungsbedarf aber keineswegs in der Zurücksetzung der EMRK, beziehungsweise der Ignorierung der Urteile des EMGR, um deren Stärkung sich der Bundesrat im Rahmen des Europarates mit Recht bemüht.
9.
Reformbedarf sieht die SP aber in den Schnittstellen der verschiedenen Segmente des oben genannten Ensembles, das die Freiheit der Schweizerinnen und Schweizer ebenso ermöglicht wie schützt. So darf nicht länger suggeriert werden, dass über Volksinitiativen Grundrechte zur Disposition der Mehrheit stehen, die durch deren Schutz durch den EMGR schlussendlich auch gar nicht missachtet werden können.
10.
Das heisst, die SP befürwortet unter Hinweis auf Artikel 139/Abs. 3 der BV, wonach eine undurchführbare Volksinitiative auch ungültig erklärt werden könne, und mit Bezug auf Art. 34 der BV, wonach der freie Wille der Bürger unverfälscht zum Ausdruck gebracht werden müssen die Erweiterung, beziehungsweise erweiterte Auslegung der in Art 139.3 genannten zwingenden Bestimmungen des Völkerrechtes als Begründung zur teilweisen oder gänzlichen Ungültigkeit von Volksinitiativen. So sollen schweizerische Verfassungsprinzipien wie die Verhältnismässigkeit oder die Einzelfallprüfung oder das Diskriminierungsverbot, die auch in und durch die EMRK geschützt sind, ins schweizerische Verständnis des zwingenden Völkerrechtes aufgenommen werden.
11.
Denn eine Volksinitiative, die deren Verletzung verlangt, könnte gar nicht realisiert werden, weil der EGMR dies im Einzelfall verhindern würde. Wer aber über Volksinitiativen abstimmen lässt, die gar nicht realisiert werden können, der verletzt und missachtet die Menschenrechte ebenso wie er letztlich die Direkte Demokratie untergräbt. Beide gehören aber zum Rechtsgut, das die SP integral bewahren, schützen und durch gezielte Reformen stärken möchte.
Kontakt mit Andreas Gross
Nach oben
|