20. Oktober 2014

«Scharf bepbachtet»
von Ludwig A. Minelli

Geistige Fundgrube


Scharf beobachtet - Ein Dritteljahrhundert EMRK-Praxis und die Schweiz von Ludwig A. Minelli mit einem Vorwort von Stefan Trechsel und einem Nachwort von Andreas Gross, Dike-Verlag, Zürich, 670 S., Dez.2014

Nachwort von Andreas Gross

Ludwig A. Minelli ist für mich der Schweizer, der sich seit 40 Jahren aus der Sicht des freien Bürgers am intensivsten mit der Europäischen Menschenrechts-Konvention (EMRK) auseinandergesetzt und sie popularisiert hat und ihr immer wieder – in Vertretung von Mitbürgern und Mitbürgerinnen oder seiner selbst – hierzulande, in Strassburg wie in Bern, in Zürich wie in Lausanne, Nachachtung zu verschaffen suchte. Wer eine Personifizierung einer die EMRK achtenden Schweiz sucht, der findet sie auf der Zürcher Forch in Ludwig A. Minelli. Der Beleg für diese These liegt in Ihrer Hand: Er ist auf den über 500 Seiten der 133 zwischen Mai/1981 und September/2014 erschienenen Ausgaben der Quartalsschrift „Mensch und Recht“ dieses einzigartigen Bandes zu finden. Was sich da an menschenrechtlicher Reflexion, an Engagement, Argumentation und Verteidigung der Würde des Menschen zeigt, ist von einzigartiger Breite, Tiefe und immer der Sache geschuldeter Schärfe.

Die Publikation dieser einzigartigen Sammlung all dieser Plädoyers für die Würde und Grundrechte der Soldaten, engagierten Bürger, ledigen Mütter, geschiedenen Väter, der Gefangenen, Steuerzahler und vieler anderer von der Obrigkeit Beschuldigten und von den Schattenseiten des Lebens bedrängten Menschen könnte zu keinem günstigeren Zeitpunkt erfolgen. Denn diesen Winter kulminieren Parlamentarische Initiativen und Ankündigungen von Volksinitiativen der grössten schweizerischen Partei, welche alle die EMRK in Frage stellen und mit deren Kündigung durch die Schweiz liebäugeln. Wer wie die SVP das Landesrecht absolut setzen will, der stellt die Mitgliedschaft der Schweiz im Europarat zur Disposition. Wer die Möglichkeit ablehnt, dass der Strassburger Menschenrechts-Gerichtshof (EGMR) einem von der Bundesversammlung verabschiedeten Gesetz im konkreten Anwendungsfall widerspricht, der verkennt die revolutionäre Errungenschaft und Wirkungsweise der EMRK, dem nach Meinung von Mark E. Villiger, dem Zürcher Rechtswissenschaftler und – als Schweizer – Richter für Liechtenstein am EGMR, «weltweit erfolgreichsten Menschenrechtsvertrag». Er schadet damit dem Schutz der Freiheit der in der Schweiz lebenden Menschen.

Diese Angriffe auf die EMRK und den EGMR sowie die Infragestellung der Mitgliedschaft der Schweiz im Europarat durch die grösste Partei der Schweiz illustriert, wie voreilig und beschönigend die These des St. Galler Rechtswissenschaftlers Ulrich Zelger zum 30. Jubiläum der Ratifizierung der EMRK durch die Schweiz vor zehn Jahren war. Zelger schrieb damals in einem Sammelband zu diesem Jubiläum: «Heute ist die Bedeutung der EMRK für die Schweiz allgemein anerkannt. Die Achtung der Menschenrechte (...) ist Teil des schweizerischen Selbstverständnisses geworden.» Dass dies leider nicht der Realität entspricht, illustrieren auch die über fünf seit etwas mehr als zehn Jahren von Volk und Ständen angenommenen Volksinitiativen, welche der EMRK ganz oder teilweise widersprechen.

Beides, die von der SVP angekündigte Volksinitiative zur absoluten Priorisierung des Landesrechtes sowie die Notwendigkeit, in der Bundesverfassung die Schnittstelle zwischen der gesellschaftlich tatsächlich verankerten Direkten Demokratie und den als Lehre aus den Katastrophen des 20. Jahrhunderts kodifizierten, viel jüngeren Menschenrechte so besser auszugestalten, dass keine Volksinitiativen mehr zur Volksabstimmung kommen können, welche der EMRK widersprechen, sind Hinweise auf uns in den kommenden Jahren bevorstehende Volksabstimmungen.

Die in den jetzt glücklicherweise vorliegenden gesammelten Werke von Ludwig A. Minelli enthaltenen Argumentationen und Erfahrungen werden uns helfen, diese Volksabstimmungen zu gewinnen. Sie werden sich als eine geistige Fundgrube für all jene erweisen, die ihre Mitbürgerinnen und Mitbürger davon überzeugen wollen, dass die Menschenrechte und die Demokratie nicht gegeneinander ausgespielt werden können, sondern aufeinander angewiesen und untrennbar miteinander verbunden sind. Dafür sind wir ihm dankbar.


Kontakt mit Andreas Gross



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