7. Dez. 2013
swissinfo
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Ausdruck der sehr flachen Macht-Hierarchie in der Schweiz
Die Fragen stellte Veronica DeVore
Könnten Sie den normalen Ablauf vom Tag der Präsidentenwahlen beschreiben?
Das ist ein ganz normaler Parlamentstag wie irgendein anderer. Besonders ist bloss, dass im Nationalrat auch die Ständeräte sitzen und so die Bundesversammlung zusammenkommt – so heissen in der Schweiz die beiden Kammern, nicht wie in den USA Kongress, obwohl wir doch sonst 1848 das föderalistische Parlamentswesen den USA abgeguckt haben.
Die Tagesordnung beginnt mit einer Wahl. Doch auch dies ist nichts besonders, denn immer wieder wählt die Bundesversammlung auch die verschiedenen Richter an die vier Bundesgerichte. Es wird dann auch noch der Vizepräsident gewählt und nach einer ganz kleinen Pause trennen sich die beiden Kammern wieder und jeder Rat arbeitet anschliessend seine weitere eigene Tagesordnung ab.
Die sehr prosaische Schweiz hat alle Jahre einen neuen ganz normalen Präsidenten, der keine politisch besonderen Befugnisse hat. Er sitzt als einer unter Gleichen der Regierung vor, leitet die Sitzungen und sollte etwas mehr als die anderen den Blick fürs Ganze nicht verlieren. Ebenso vertritt er die Schweiz als Staatschef nach aussen und wendet sich in Krisenmomenten an die Nation, in der Schweiz eher Volk genannt. Die Normalität seiner bloss ein ganz klein wenig abgehobenen Position äussert sich an der Normalität des Wahltages. Der gewählte Präsident vergisst ihn ganz sicher nie mehr; seinen Wählern bleibt er kaum in Erinnerung.
Sind Ihre Aufgaben irgendwie anders, als an einem anderen Tag während der Session?
Nein, die Aufgaben sind genau die gleichen. Besonders ist höchstens, dass in der kommenden Woche ein halber Tag im Bundeshaus ausfällt und stattdessen einige Bundeshäusler den eben gewählten Präsidenten auf der Reise in seinen Heimatkanton begleiten und ihm beim Feiern mit seinen Freunden und Bekannten Gesellschaft leisten. Aber selbst dies gehört zur Wintersession wie der Schmutzli zum Samichlaus.
Normalerweise ist es ja klar, wer zuletzt als Präsident gewählt wird, aber erinnert Ihr Euch an eine Wahl, wo es weniger klar war oder wo es einige Überraschungen gab?
Ein Vizepräsident, der zuvor nicht aus dem Bundesrat abgewählt worden war, ist immer zum Präsidenten gewählt worden in den vergangenen 50 Jahren. Spannung kommt jeweils nur bei der Frage auf, wie viele Stimmen er oder sie bekommt. Der ehemalige SVP-Präsident Maurer musste letztes Jahr ebenso tauchen wie die von den Nationalkonservativen sehr ungeliebte frühere Aussenministerin Calmy-Rey. Doch auch diese unterschiedlichen Zahlen sind drei Wochen später wieder fast vergessen und ändern nichts daran, dass dem Bundespräsidenten alle Bürgerinnen und Bürger ein klein wenig Respekt entgegenbringen. Wenn sie ihm dann überhaupt einmal begegnen oder merken, dass er für ein kurzes Jahr ein klein wenig mehr ist als seine Regierungskollegen.
Was ist Ihnen besonders wichtig, einem internationalen Publikum über die Präsidenten-Wahl in der Schweiz zu erklären?
Die Gleichrangigkeit unseres Bundespräsidenten, die Normalität seiner Wahl und seine sehr prosaische Existenz ist Ausdruck der sehr flachen Macht-Hierarchie in der Schweiz. Die politische Macht ist sehr fein verteilt, jeder Bürger und jede Bürgerin hat ein Stück davon, die Parlamentarier ein klein wenig mehr und die Bundesräte noch ein bisschen mehr. Doch keiner hat so viel, als dass er nicht immer wieder dazulernen müsste. Das ist eine der ganz grossen Stärken des schweizerischen politischen Systems und heute für viele andere Demokratien besonders interessant, weil sich dort die Hierarchien derzeit eher vergrössern, Bürger fast nichts und die Parlamente eher wenig zu sagen haben. Diese Folge der Direkten Demokratie ist eine der Inspirationsquellen der schweizerischen Politik für viele Demokraten in der Welt, die sich der gegenwärtigen Entmachtung der Demokratie widersetzen.
Was ist daran besonders oder vielleicht nicht so übersichtlich?
Besonders ist, dass nichts besonders ist. Alles ist einfach und klar. Bloss die Frage, weshalb einer dem Vize seine Stimme nicht gibt, kann noch zum Werweisen führen. Doch relevant ist dies nicht. Es gab gute Präsidenten, die wurden schlecht gewählt, und noch mehr Präsidenten, die sehr gute Wahlergebnisse hatten, die Qualität während ihrer Präsidialzeit aber vermissen liessen. Deshalb gibt es in der Schweiz eigentlich nur einer, der nicht froh ist, dass wir in einem Jahr wieder einen neuen Bundespräsidenten wählen können: Der alte Bundespräsident, der seine kleine Herausgehobenheit, so minim sie ist, doch meist etwas vermisst. Doch dies ist vielleicht das einzige, was man dem scheidenden Bundespräsidenten Maurer nicht vorwerfen kann: Er wird gerne wieder in die bundesrätliche Anonymität zurückfinden und seine minimalen präsidialen Privilegien nicht weiter missen!
Kontakt mit Andreas Gross
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