20. Aug. 2013
La Quotidiana
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Die gegenwärtige Armee trägt nichts zur Stabilität und Sicherheit bei
Die Fragen für La Quotidiana stellte Claudia Cadruvi.
Am 22. September stimmt die Schweiz darüber ab, ob die Wehrpflicht aufgehoben werden soll. Wie schätzen Sie die Chancen für ein «Ja» ein?
Die Idee hat noch nicht die Aufmerksamkeit bekommen, die sie verdient. Die öffentliche Diskussion ist bisher kaum in Gang gekommen, nur wenige haben sich mit der Frage bisher wirklich auseinandergesetzt. Jene, die für diese Aufmerksamkeit, Diskussion und für die Tiefe und Breite der Debatte zu sorgen hätten, scheinen dazu nicht in der Lage zu sein. Oder vielleicht wollen sie sich auch keine Finger verbrennen an dieser Frage. Nach den Sommerferien wird sich dies bis zum Abstimmungstermin nicht mehr wesentlich ändern lassen. Somit sehe ich eher schwarz für die Initiative. Sie wird kaum mehr ein ansprechendes Ergebnis schaffen können.
Eine Annahme der Initiative gefährdet die Sicherheit und Stabilität der Schweiz, heisst es aus armeefreundlichen Kreisen.
Diese These geht von der falschen Annahme aus, dass die gegenwärtige Armee irgendetwas zur Stabilität und zur Sicherheit beitrage. Diese Annahme ist in der Schweiz zwar alt und weit verbreitet, entpuppt sich bei genauerer Betrachtung aber als grosse Illusion. Mit der vorliegenden Initiative haben aber These, Annahme und Illusion nichts zu tun. Die Initiative will die Armee anders organisieren, sie von unnötig viel Personal entlasten und endlich der freiheitlich republikanischen Maxime folgen, wonach der Staat den Bürger nur dann zwangsverpflichten kann zu etwas, wenn er anders eine existenzielle Bedrohung nicht abwenden kann. Das ist längst nicht mehr der Fall, weshalb die Mehrheit
aller westeuropäischen Staaten die Wehrpflicht längst abgeschafft haben.
Betreibt die GSoA und das Initiativkomitee Salamitaktik? Will man erreichen, dass die Armee nicht mehr funktioniert, damit man sie leichter abschaffen kann?
Wenn die GSoA die Armee abschaffen will, dann macht sie eine entsprechende Initiative. Als sie dies vor bald 20 Jahren zum zweiten Mal tat, bin ich ja auch aus der GSoA ausgetreten, weil ich dies falsch fand. Heute geht es um etwas Anderes, das die Gegner dem Namen des Absenders wegen aber nicht als etwas Anderes darstellen möchten. Wenn eine Armee von Freiwilligen oder Profis nicht mehr funktionieren könnte, hätten wir in Europa ja mehr als ein Dutzend unfähiger Armeen. Davon haben wir bisher aber noch nie etwas gehört – ein Hinweis auf die Oberflächlichkeit und Leichtfertigkeit, mit der die alten Armeefans diese ernsthafte Frage glauben beantworten zu können.
Auf freiwilliger Basis könne man nicht genug Leute rekrutieren, kritisieren die Gegner. Selbst Länder wie Spanien oder Frankreich haben Mühe, genug Dienstleistende zu bekommen. Wie soll die Schweiz mit einer sehr niedrigen Arbeitslosenrate genügend Freiwillige für ihre Armee finden?
Niemand will eine Armee für Arbeitslose. Die Arbeitslosigkeit hat mit der Armee überhaupt nichts zu tun. Weil der Staat bisher die Männer in die Armee zwingen konnte, musste er sich um deren Attraktivität nicht kümmern. Fällt dieser Zwang weg, dann muss man in die Attraktivität investieren. Das beginnt bei einem respektvollen Umgang mit den Dienstleistenden und endet bei einem anständigen Lohn und humanen Arbeitsbedingungen. Wenn dies Frankreich oder Spanien nicht schaffen, bedeutet dies nicht, dass es in der Schweiz nicht gelingen kann. Wenn etwas nur existiert, weil man Zwang ausüben kann, dann stimmt einiges nicht und es wäre an der Zeit, grundsätzliche Fragen zu stellen.
Freiwillig melden sich nur Leute, die sonst keine beruflichen Perspektiven haben. Die Qualität der Armee würde bei einer Annahme der Initiative leiden, wird kritisiert.
Beide Thesen sind nicht nur falsch, sondern deuten auf ein bedenklich negatives Menschenbild und Selbstverständnis jener hin, die so glauben argumentieren zu müssen. Menschen tun etwas, wenn sie von der Sache überzeugt sind. Viele Armeen auf dieser Welt bieten enorme berufliche Perspektiven. Dies gehört eben zur Attraktivität, die heute nicht besteht und die man schaffen muss, wenn man Menschen nicht mehr zwingen, sondern zu und von etwas überzeugen muss. Es gibt Hundertausende, die in ihren Armeen etwas lernen, was sie später nach ihrem Ausscheiden aus der Armee bestens befähigt, einen zivilen Beruf auszuüben.
Würde ein Schweizer KMU seinen Mitarbeiter überhaupt noch Dienst leisten lassen?
Das hängt doch nicht von der obligatorischen Wehrpflicht ab, sondern von der Qualität, den Kenntnissen und der Persönlichkeit eines Mitarbeiters und ob das KMU einen solchen braucht oder nicht. Wenn die neue Armee wirklich überzeugt, dann wird sie ehemalige Armeeangehörige hervorbringen, um die sich KMUs reissen müssten.
Bei einem Ja zur Initiative: Wäre eine Berufsarmee – es würde dazu eine weitere Verfassungsänderung brauchen – Ihrer Ansicht nach eine Option?
Selbstverständlich wäre dies eine Option. Wenn die Schweiz eine Armee will, die nicht auf der obligatorischen Wehrpflicht und der Zwangsrekrutierung aller Männer beruht, dann muss sie sich der Professionalisierung der Armeeangehörigen widmen. Männer und Frauen würden sich für einige Jahren zu einer professionellen Dienstleistung verpflichten. Wie genau, da ist noch alles offen und dies wird durch die Abschaffung des staatlichen Zwanges nicht präjudiziert. – Und was die Änderung der Verfassung betrifft: Wenn eine Mehrheit von Volk und Ständen jetzt die Verfassung entsprechend ändert, ist es sehr plausibel, dass es auch für weitere notwendige Verfassungsänderungen entsprechende Mehrheiten geben kann.
Bei einem Ja zur Initiative: Wie gross soll die Schweizer Armee dann sein?
Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Dies Frage wird nachher entschieden und alle Optionen zwischen 15'000 und 55'000 sind offen. Es sind sich heute alle einig, dass die Schweizer Armee zwar nur noch halb so gross ist wie vor 20 Jahren, aber immer noch viel zu gross. Nur Finnland und die Türkei leisten sich heute in Europa noch Ähnliches wie wir. Kleiner wird sie also auf jeden Fall weiter werden. Was ein weiteres Argument für die Abschaffung der Wehrpflicht hervorbringt: Denn es braucht heute längst nicht mehr alle, die zwangsweise zur Verfügung stehen. Und wenn das VBS dann viele eh springen lässt, die wissen, was man dafür tun und sagen muss, dann kann von der berühmten Wehrgerechtigkeit, der Gleichheit aller angesichts ihrer Rechte und Pflichten, auch nicht mehr die Rede sein.
Welche Funktion soll die Armee Ihrer Ansicht nach erfüllen?
Jene, welche die Mehrheit der Schweizer Bürgerinnen und Bürger sowie der Kantone in der Verfassung von ihr verlangen. Meine persönliche Meinung ist da irrelevant. Ich persönlich bin längst davon überzeugt, dass die Armee im Frieden eher bedroht, was sie auch in bei uns nicht mehr realistischen kriegerischen Auseinandersetzungen nicht mehr bewahren könnte. Was die Armee wirklich tut, können viele andere besser.
Wie soll man Dienstleistungen des Militärs, wie die Katastrophenhilfe oder die Mithilfe beim WEF in Davos mit einer Freiwilligenarmee gewährleisten?
Wenn man will, könnte man dies ganz bestimmt. Denn auch hier ist professionelle Arbeit gefragt und keine Basteleien von Hobby-Militärs. Doch die Frage ist, ob es dazu die zwangsweise Rekrutierung aller Schweizer Männer ab ihrem 20. Altersjahr wirklich braucht. Wenn nicht, dann stellt sich weiter die Frage, ob es dazu eine Armee braucht.
Möchten Sie noch etwas anfügen, das Ihnen wichtig erscheint?
Vielleicht zweierlei noch, etwas Grundsätzliches und etwas Persönliches. Grundsätzlich stellt sich doch die Frage, unter welchen Umständen ein Staat, der freiheitlich und liberal organisiert sein will, seine Bürger zwingen darf, ihm Lebenszeit zur Verfügung zu stellen. Dies darf er nur unter ganz ausserordentlichen Umständen. In solchen befindet sich die Schweiz längst nicht mehr und solche stehen ihr auch auf Jahrzehnte nicht bevor. - Zweitens ist mir wichtig zu betonen, dass ich vor etwas mehr als 30 Jahren die GSoA mitbegründet habe und die erste Armeeabschaffungsinitiative von 1989 ganz wesentlich mitgetragen habe, dass ich aber vor bald 20 Jahren aus der GSoA ausgetreten bin, weil ich mit vielem von dem, was und wie sie es tat, nicht einverstanden war. Dies bedeutet, dass ich mich sehr unabhängig zu dieser Volksinitiative äussern kann und die GSoA für nichts belangt werden kann, was ich eben dazu gesagt habe.
Kontakt mit Andreas Gross
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