1. Sept. 2012

Landbote

Der Teufel steckt auch in der Politik meist im Detail. Das konstruktive Referendum gibt den Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit, diesen Teufel zu finden und auszutreiben!


Das Streitgespräch zwischen Andi Gross und Claudio Zanetti für den Winterthurer Landboten, geführt am 30.8. in Illnau.

Weshalb halten Sie das konstruktive Referendum für unverzichtbar, Herr Gross?

Gross: Direkte Demokratie ist mehr als ja oder nein sagen. Schon seit 100 Jahren kennen wir die Volksinitiative und den Gegenvorschlag. Das konstruktive Referendum ist dazu die Zwillingsschwester. Sie gibt Bürgerinnen und Bürgern aus dem Volk die Möglichkeit, zu einer Vorlage des Parlamentes einen Gegenvorschlag zu machen. Damit haben die Stimmenden nicht nur die Möglichkeit, Nein zu sagen, wie beim normalen Referendum. Wenn ihnen ein Detail in der Vorlage nicht passt, kann eine Variante eingebracht werden.

Zanetti: In der Theorie mag das Sinn machen, in der Praxis aber nicht. Das Parlament ist meistens besser mit der Materie vertraut als das Volk. Man kann also davon ausgehen, dass die Vorlagen etwas taugen, die das Parlament bringt. Zudem zeigt die Erfahrung, dass es nicht das Volk ist, das das konstruktive Referendum nutzt. Es sind Funktionäre von Verbänden und Lobbyorganisationen oder Politiker. Solche, die Vorschläge, die im Parlament scheiterten, einfach nochmals auf den Tisch bringen wollen.

Gross: Es gibt viele Bürgerinnen und Bürger, die sich mit der Materie genau so vertraut machen wie Politiker. Das Argument, das Volk verstehe weniger von der Materie, verwenden Leute, welche die parlamentarische Demokratie der direkten vorziehen. Dass Politiker dieses Volksrecht auch benutzen, ist normal. Parteien brauchen es, wenn sie das Gefühl haben, zu wenig Einfluss gehabt zu haben. In den acht Fällen, in den denen es benutzt wurde, waren es zwei Mal Gewerkschaften, sechs mal Parteien von links bis rechts und einmal Oberärzte. Es zeigte sich, dass sich gute Kompromisse nicht so einfach knacken lassen.

Zanetti: Es geht den Befürwortern gar nicht um die Verfeinerung oder Erweiterung der Volksrechte. Wäre es so, hätten sie vielen anderen Vorschlägen von uns zugestimmt. Dazu gehört die Volkswahl des Bundesrates oder die Demokratie bei Einbürgerungen. Gegen all das wehrten sich die Befürworter.

Gross: Es geht hier um die Demokratisierung der Demokratie. Die meisten ihrer anderen Vorschläge bedeuten aber das Gegenteil.

Ist es nicht missbräuchlich, wenn unterlegene Gruppen Kompromisse und Packetlösungen, die in Kommissionen gefunden wurden, mit dem konstruktiven Referendum ergreifen?

Gross: Überhaupt nicht. Mit Päcklilösungen, die ich grundsätzlich ablehne, versucht man immer wieder, den Leuten Dinge unterzujubeln, die sie nicht wollen. Mit dem konstruktiven Referendum lässt sich dies verhindern. Es gehört zur Grundidee der direkten Demokratie, dass niemand in der Gesellschaft überhört werden soll. Das konstruktive Referendum gibt nun jenen, die das Gefühl haben, überhört worden zu sein, das Recht, sich zu wehren. Das Wissen um diese Möglichkeit führt dazu, dass die Parlamentarier sich um solide Verständigungslösungen bemühen müssen. Es stärkt die Kompromissbereitschaft und Kompromissfähigkeit.

Zanetti: Ach was. Das konstruktive Referendum bietet eine Plattform, die es ermöglicht, Kompromisse anzugreifen. Es hilft denen, die ihre Anliegen retten wollen. Heute droht man ja bereits in den Kommissionen mit dem konstruktiven Referendum.

Gross: Dass viele zu oft drohen, ist ganz normal. Die Erfahrung im Kanton Zürich hat aber gezeigt, dass in sechs von acht Fällen die Kompromisse, die im Parlament geschnürt wurden, gehalten haben.

Zanetti: Ein komisches Argument: Sie loben ein Instrument deshalb, weil es nicht zum Ziel geführt hat.

Gross: Das erfolgreichste Referendum ist jenes, das gar nie zustande kommt. Darin steckt eine tiefe Wahrheit.

Zanetti: Für mich zeigt sich damit nur, dass es überflüssig ist.

Gross: Eben nicht. Denn die Existenz dieses Rechtes führte zu diesem Ergebnis – nämlich zum soliden Kompromiss.

Zanetti: Wer das normale Referendum ergreift, riskiert auf die Nase zu fallen. Beim konstruktiven Referendum aber riskiert man gar nichts. Wir von der SVP fanden zum Beispiel das Sozialhilfegesetz an sich gut, verlangten aber eine Verschärfung und ergriffen das konstruktive Referendum. Wir setzten uns nicht der Gefahr aus, dass das ganze Gesetz scheitert. Das ist – ich gebe es zu – schädliche Rosinenpickerei. Aber wir nutzen das konstruktive Referendum natürlich auch in unserem Sinn.

Gross: Das konstruktive Referendum lädt ein, nicht einfach nein zu sagen, sondern sich zu überlegen, wie man es besser machen könnte. Die SVP wollte beim Sozialhilfegesetz einfach einen drauf geben. Aber das Volk stoppte sie und sagte: genug. Der im Parlament gefundene Kompromiss erwies sich also solide genug.

Warum wollen sie dem Instrument nicht mehr Zeit geben und es schon nach sechs Jahren wieder abschaffen, Herr Zanetti?

Zanetti: Weil es ein strukturelles Problem gibt. Es bringt nichts, noch 50 Jahre zu warten bis zur Abschaffung. Irgend einmal kommt der Fall, an dem vier oder fünf konstruktive Referenden zu einer Vorlage eingereicht werden. Dann wird es undurchführbar. Schon beim Steuergesetz gab es theoretisch ja 729 Kombinationsmöglichkeiten, wenn auch viele unlogische darunter.

Gross: Aber das Resultat der Abstimmung war in sich völlig logisch. Man muss dem konstruktiven Referendum mehr Zeit geben. In einigen Jahren wird es sich eingespielt haben. Es wird sich dann herausgestellt haben, dass es sich dessen Ergreifung nicht immer lohnt. Das ist bei jedem Volksrecht so, es muss sich einpendeln. Natürlich hat es beim konstruktiven Referendum Anfangsschwierigkeiten gegeben. Als man es einführte, begrenzte man zum Beispiel die Zahl der Gegenvorschläge nicht. Ich könnte mir vorstellen, dies in einem Ausführungsgesetz noch zu tun, eine Begrenzung zum Beispiel auf zwei Gegenvorschläge pro Abstimmungstermin.

Zanetti: Das wäre zwar ein Schritt in die richtige Richtung, löst aber das strukturelle Problem nicht. Das fand auch die kantonsrätliche Kommission, die sich nicht auf vermeintliche Verbesserungsvorschläge einliess.

Gross: Die Kommission hätte vor ihrem Entscheid wenigsten die Mitglieder des Verfassungsrates, die es eingeführt haben, konsultieren sollen. Denn meine Kollegen und ich arbeiteten sehr lange daran. Es war respektlos, es ohne Konsultation einfach wieder zu kippen. Ich bin auch enttäuscht von der Regierung, die ihre Meinung geändert hat und jetzt für die Abschaffung ist. Sie zeigt damit, dass sie nicht viel von direkter Demokratie versteht.

Bestreiten Sie, Herr Gross, dass konstruktive Referendum vom Volk mehr verlangt?

Gross: Nein, aber die Schweizer Bürgerinnen und Bürger sind sich dies gewohnt . Sie haben ein viel höheres politisches Bewusstsein als manche Bürger in Frankreich und Deutschland, weil sie vier Mal im Jahr abstimmen. Der Hauptgrund für den grösseren Aufwand sind aber die schwierigen Inhalte wie etwa Strebehilfe oder Steuerfragen. Vom Inhalt auf die Verfahren zu schliessen ist falsch. Lottospielen mit Zusatzzahl und Extranummer und Mittwochspiel ist auch kompliziert. Ebenso das Kumulieren und Panaschieren beim Wählen. Wenn man sich ein bisschen damit befasst hat, ist es einfach handzuhaben.

Zanetti: Natürlich ist das Volk komplizierte Abstimmungen gewöhnt. Aber: Es hat das Recht, bei Abstimmungen nicht in die Details steigen zu müssen. Dafür gibt es den Kantonsrat, den Handlanger des Volkes. Die Bürger haben genügend andere Instrumente, ihre Anliegen einzubringen: Die Initiative, das Referendum oder die Einzelinitiative.

Gross: Der Teufel steckt auch in der Politik meist im Detail. Den zu finden und auszutreiben freut viele Bürgerinnen und Bürger immer wieder!


Kontakt mit Andreas Gross



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