25. Juni 2012
La Regione Ticino
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Asylrecht:
In der diesjährigen Sommersession kamen erschreckende Fremdenfeindlichkeit, Ignoranz und Egozentrismus zum Ausdruck
Von Silvano Depietro
Wie beurteilen Sie die letzte Asylgesetzrevision im Nationalrat?
AG: Was der Nationalrat beschlossen hat, ist nichts Anderes als eine Schande. Ethisch inakzeptabel und mit unseren Ansprüchen, so etwas wie einer humanitären Tradition nachzuleben, nicht zu vereinbaren. Es ist mit nichts zu vertreten, dass eines der reichsten Länder der Welt sich anschickt, gegenüber Asylbewerbern die härteste, rücksichtsloseste Politik entfalten zu wollen.
Wer sich den Beschlüssen aber auch im Detail annimmt, der stellt fest, dass viele Revisionen nur Scheinrevisionen sind in dem Sinne, dass zwar der Gesetzestext verschärft wird, real aber diese Schärfe wegen menschen- und grundrechtlichen Normen in der Wirklichkeit nicht umgesetzt werden kann. Damit will man also einen Eindruck erwecken, den man real gar nicht verwirklichen kann, was im Alltag als scheinheilig oder zumindest unaufrichtig bezeichnet wird.
Teilweise sind die Änderungen auch kontraproduktiv, indem beispielsweise die Einschränkung des Familienasyls oder die Abschaffung der Botschaftsgesuche zur Folge haben wird, dass mehr Familienangehörige Einzelgesuche stellen werden, beziehungsweise mehr über Schlepper und einzeln versuchen werden, in die Schweiz zu kommen, was dem von uns unterstützten Ziel, die Asylverfahren effizienter und schneller und dennoch menschenrechtlich korrekt auszugestalten, widerspricht.
In der letzten Woche der diesjährigen Sommersession kamen eine Fremdenfeindlichkeit und eine Ignoranz der Nöte und den Bedürfnissen der näheren Umwelt sowie ein Egozentrismus zum Ausdruck, die erschreckend ist und die viele Schweizerinnen und Schweizer verständlicherweise erschreckt hat.
Wenn der Ständerat die Revision im Herbst nicht entschärft, müsste die Linke das Referendum ergreifen?
Die Linke ist ein eher unscharfer Begriff. Sie setzt sich aus vielen Komponenten, Organisationen, Vereinigungen zusammen, von denen nur eine Minderheit im Parlament vertreten sind. Ich bin fast sicher, dass das Referendum von den meisten, die nicht im Parlament vertreten sind, ergriffen werden wird und die SP wird sich dem kaum widersetzen können. Wir stehen zu unseren humanitären Werten und unseren menschenrechtlichen Überzeugungen auch dann, beziehungsweise erst recht dann, wenn uns der Wind ins Gesicht bläst und wir noch keine Mehrheiten finden in allen Teilen des Volkes.
Glauben Sie dass ein Referendum würde gute Erfolgsaussichten haben?
Es gibt Grundsatzfragen und Momente, da man antreten und Flagge zeigen muss, auch wenn man noch keine Mehrheiten hinter sich weiss. Beziehungsweise kann ein Referendum auch eine Gelegenheit sein, Menschen im Gespräch von der Notwendigkeit der Überwindung von möglichen Vorurteilen zu überzeugen und ihnen auseinanderzusetzen, dass sie einen Fehler machen würden, Menschen, denen es schlechter geht als ihnen, unanständig zu behandeln.
Ein Demokrat folgt nicht einfach vermeintlichen Mehrheiten, die oft nicht einmal so sind wie sie scheinen, sondern versucht, die Bürger zu überzeugen und so neue, auch überraschende Mehrheiten zu schaffen. Heute sind wir dies der Welt, Europa und den Menschen, die dort in Not und Gefahr sind, schuldig. Letztlich aber auch uns selber. Denn wir können nicht glücklich und zufrieden sein mit uns, wenn wir nicht überzeugt sind, alles getan zu haben gegen herrschendes Unrecht!
Kontakt mit Andreas Gross
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