15. Sept. 2011
Editions le Doubs
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Die Volkswahl-Initiative als Versuch, das autoritäre Politikverständnis der SVP zu verallgemeinern
Beitrag zu: Andreas Gross, Fredi Krebs, Dani Schönmann, Martin Stohler - Über den Herbst hinaus. Innenpolitische Alternativen mit europäischer Perspektive, Editions le Doubs, 256 Seiten (hier: S. 37 - 40), St-Ursanne 2011.
Das Buch wird am 30. September in Bern der Öffentlichkeit vorgestellt.
Von Andi Gross
Für einmal bringt ein Wahlslogan das Denken und das Politikverständnis einer Partei auf den Punkt. «Schweizer wählen SVP» plakatiert die grösste Partei der Schweiz und bürgert damit alle Andersdenkenden gleichsam aus. Die Schweiz ist die SVP, die SVP ist die Schweiz, es gibt jenseits der SVP keine Schweizer, wer nicht für die SVP ist, gehört ausgeschafft. Die SVP ist alles, Andersdenkende sind ebenso unnötig wie störend, fast schon kriminell, jedenfalls unwillkommen, «auszuschaffen» dorthin, wo die «Massen» herkommen, die «einwandern» wollen.1
Die Volkspartei ist also «das Volk», wer nicht die Volkspartei wählt, gehört nicht zu diesem Volk. Eine Partei - etymologisch ein Teil - ist gleich das Ganze: Zwar ein Widerspruch in sich selber, aber das kümmert nur jene, die selbständig denken können und wissen, dass das Volk aus vielen verschiedenen Einzelnen besteht, die niemals in einem einzigen Teil Platz haben.
Neu ist dieser totalitäre Duktus der Blocher-SVP nicht. Bereits vor vier Jahren eröffnete der damalige Bundesrat Blocher den Wahlkampf am 28. Dezember 2006 auf dem Zürcher Uetliberg mit der Botschaft: «Wählt uns oder ihr geht unter!» Die Schweiz hätte die Wahl zwischen Erfolg oder Fall, dem Ende oder der Wende, die SVP verkörpere den Erfolg, alle anderen den Zerfall.2
Die SVP strebt zurück zur plebiszitären Demokratie ...
Mit diesem totalitären Diskurs in Wort und Bild widerspricht die SVP nicht nur der auf Verständigung und reflexiver Auseinandersetzung basierenden Kultur der Direkten Demokratie. Sie positioniert sich auch jenseits der sonst so gepriesenen Kultur der Konkordanz und des Verfassungsauftrags der Kollegialität, zu der sich ein Bundesrat verpflichtet.3 Noch schlimmer: Die SVP verkörpert, verbreitet und rechtfertigt bewusst oder unbewusst das autoritäre Politikverständnis des deutschen Juristen, NSDAP-Ideologen und preussischen Staatsrates Carl Schmitt (1888 bis 1985), der Politik auf eine dichotome Freund-Feind-Beziehung reduziert hat und der Regierung unter Umständen jegliche, auch absolute Macht zugestand.4
Die heutige SVP lässt es nun aber nicht bei solchen diskursiven Affinitäten bewenden. Sie schlägt auch Verfassungsrevisionen vor, die genau dieser Stärkung exekutiver Autorität dienen - ohne dass dies aber in der breiten schweizerischen Öffentlichkeit so begriffen worden ist. Denn nichts anderes birgt die Volksinitiative für eine Wahl des Bundesrates durch «das Volk». Sie mag wie ihre sozialdemokratischen Vorgängerinnen im 19. und 20. Jahrhundert durch die Unzufriedenheit mit der mangelhaften Vertretung der eigenen Partei im Bundesrat begründbar sein und somit verständlich erscheinen. Doch die totalitären Diskurse der gleichen SVP-Leader deuten darauf hin, dass ihnen der mit dieser Reform verbundene Systemwechsel von der direkten zur plebiszitären Demokratie durchaus bewusst ist und dass er von ihnen gewollt wird.5
... und zu einer autoritären Regierungs- und Herrschaftsstruktur
Mit der Direkten Demokratie hat die Volkswahl der Regierung gar nichts zu tun. Sie würde vielmehr die ganze schweizerische Demokratie, deren indirekten wie direkten Teil, schwächen zugunsten einer autoritären Regierungs- und Herrschaftsstruktur. Alle Erfahrungen im In- (Kantone!) wie im Ausland (idealtypisch die seit seiner Direktwahl 1962 gleichsam monarchische Macht des französischen Präsidenten und die Schwäche der gleich legitimierten Assemblée Nationale) zeigen, dass jede demokratische Gegenmacht geschwächt wird, wenn die Exekutive beziehungsweise deren Spitze die gleiche Legitimität hat. Die Bundesversammlung würde in ihrer Stellung gegenüber dem Bundesrat ebenso weiter geschwächt wie die Stimmberechtigten, für die die Qualität ihrer direktdemokratischen Rechte auch von der Qualität und der Stellung des Parlamentes abhängig ist.
Das in der Schweiz eh schon zu grosse Ungleichgewicht zwischen Stimmberechtigten, Parlament, Regierung und Bundesgericht würde zugunsten der Regierung weiter vergrössert, was zu einem autoritäreren Charakter des schweizerischen Systems führen würde, welches wiederum von der SVP entsprechend ihrem traditionell totalitär gewordenen Diskurs weiter missbraucht würde.
Die dramatischen Folgen fehlender politischer Bildung
Die bis heute fehlende Verfassungsgerichtsbarkeit gegenüber Bundesgesetzen und Volksinitiativen, die fehlenden Gesetze zu Transparenz und Fairness bezüglich der Ressourcen bei Wahlen und Abstimmungen sowie die mangelnden Investitionen in die Demokratie, Bildung und politischen Parteien würden dieser Tendenz weiter Vorschub leisten. Ganz abgesehen davon, dass die Kollegialität, immerhin eine Verfassungsnorm, in einem direkt gewählten Bundesrat ebenso zerstört würde wie die Konkordanz. Dass dies von namhaften Redaktoren, Publizisten und selbst Sozialdemokraten weder erkannt noch kritisch reflektiert wird, zeigt nur, wie schlecht viele schweizerische Akteure die Direkte Demokratie kennen und wie dramatisch die Folgen fehlender politischer Bildung auch innerhalb der SP sind.6
Oder ist die demokratische Kultur der Schweiz einfach viel schwächer verankert, als viele von uns denken? Schrecken also viel mehr Schweizerinnen und Schweizer nicht davor zurück, autoritären, ja totalitären Versuchungen zu erliegen, als uns bewusst ist?
Der Erfolg wie die Diskurshoheit der SVP mag diese Befürchtungen nahelegen. Umso mehr müssen wir uns anstrengen und uns ihr auf allen Ebenen mit aller Kraft widersetzen. Einen solchen Totalschaden an der schweizerischen Demokratie gilt es abzuwenden: «Volkswohl statt Volkswahl» wäre ein, wenn auch zu völkisch formuliertes, Motiv!
Anmerkungen:
1 «Wer von aussen kommt, bedroht uns, wer innen anders denkt, gehört raus»: So könnte man die Botschaft der beiden SVP-Plakate vom Sommer 2011 zusammenfassen; dass das erste zur Lancierung der neuesten Volksinitiative mit mehreren Millionen Franken den öffentlichen Raum ebenso besetzte wie viele entsetzte, entspricht einerseits der Mobilisierungsstrategie, die zum Auftakt des Wahlkampfes prioritär ist, und andererseits der Einschüchterung vieler unsicherer BürgerInnen, die so gefügig gemacht werden für weitere SVP-Simplifikationen.
2 Vergleiche Andreas Gross, Vom traurigen Anfang eines langen Jahres und eines totalitären Diskurses, in: Fahrplanwechsel, für mehr Demokratie und Solidarität und weniger Blocher, herausgegeben von Gross/Krebs/Lautenschlager/Stohler, Editions le Doubs, 2007, S. 225-227.
3 Siehe dazu auch den neuesten Beitrag von Jean-Daniel Delley im Domaine Public vom 7. September 2011. Delley schreibt unter dem Titel Die SVP hat keinen Platz im Bundesrat: «Die Konkordanz beschränkt sich nicht auf die Anwendung der Dreisatzregel. Diese Art, die Zusammensetzung des Bundesrates von einem Wahlergebnis abzuleiten, widerspricht dem Wesen des schweizerischen politischen Systems und entspricht den Regeln parlamentarischer Systeme, deren Regierungen auf einer parlamentarischen Mehrheit beruhen müssen. (...) Unser System beruht nicht auf einer Bipolarität. Jede Vorlage muss ihre eigene spezifische Mehrheit finden. Das geht nicht ohne Verständigung und Kompromiss. (...) Doch die SVP widersetzt sich den Regeln der Konkordanz. (...) Sie hat für Andersdenkende und die anderen Parteien nur Verachtung übrig. Eine solche Partei hat keinen Platz im Bundesrat.» (www.domainepublic.ch/articles/18478).
4 Carl Schmitt lieferte den Nazis Ideologie und Theorie zur Rechtfertigung ihrer Herrschaft und Diktatur. Er legitimierte die Verbrennung «undeutscher» Bücher, den «Führerstaat» («Der Führer schützt das Recht»), die Ermordung andersdenkender Nazis als «höchste Form administrativer Justiz» und wollte das deutsche Recht vom «jüdischen Geist befreien».
5 Vergleiche alle Artikel von Martin Stohler zur Geschichte der Volkswahl-Initiativprojekte in Eine andere Schweiz ist möglich (2003), ebenso die dortigen Gespräche dazu mit Andi Gross, Fahrplanwechsel (2007) und Bundesratswahlen sind keine Castingshow (2009) sowie meine Acht Thesen gegen die Volkswahl des Bundesrates in Eine andere Schweiz ist möglich
6 Zu nennen sind der Inlandchef des Zürcher Tages-Anzeigers, Iwan Städler, der dort immer wieder zu Wort kommende Politgeograf Michael Herrman oder der Waadtländer SP-Regierungsrat und Bundesratskandidat Yves Maillard. Letzterer verteidigte noch im Frühsommer 2011 gegenüber dem Fraktionschef der Grünen, Antonio Hodgers, in einem Streitgespräch des welschen Radios, RSR, vehement die Volkswahl des Bundesrates. Vor etwa zehn Jahren hatte sich Maillard im Westschweizer Magazin Hebdo auch dahingehend geäussert, dass er «der Blocher der Linken» werden möchte - ein Wunsch, der im besten Fall deutlich macht, wie wenig er das Wesen Blochers und die Identität der Linken kennt.
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