10. Mai 2011

Vor dem Klassiker
FCZ-FCB
vom 11.5.11


Tages-Anzeiger

Ein politischer Zürcher und FCB-Fan über den besonderen Charakter der Rivalität zwischen
FCZ und FCB



Wer was werden will und immer die gleichen Konkurrenten hat, der kann gar nicht anders: Er empfindet sie als Rivalen. In der Wirtschaft und der Politik nicht anders als im Sport.

Von Andreas Gross
Andreas Gross wuchs in Basel auf, war zwischen 1963 und 1972 jedes andere Wochenende im Joggeli zu finden, wurde aber mit seinem Ge­schichtsstudium zu einem politischen Zürcher, der er als Nationalrat und Europarat immer noch ist.


Begegnen sich diese Teams während Jahren und Jahrzehnten immer wieder und stehen einander im Wettbewerb um den Meistertitel stets im Weg, dann bekommt die Rivalität ein besonderes Verhältnis: Sie löst sich von den einzelnen Teams und ihren Spielern, sie überdauert Generationen und Epochen, sie wirkt identitätsstiftend. Ein Basler kann kein FCZ-Fan sein, eine Zürcherin würde als FCB-Fan für viele ihrer Kolleginnen zur Verräterin; und ein Zürcher Nationalrat, der schon als 12-jähriger FCB-Fan wurde, hat in Zürich die Zwei am Rücken – obwohl politisch ein Kind Zürichs.

Fünfzehn prägende Jahre

Zwar müssen wir bei der historischen Wahrheit bleiben: Die Schweizer Meisterschaft wird im Fussball seit der Saison 1897 ausgetragen, und seither sind die Grasshoppers und die Young Boys viel häufiger Meister geworden als der FCZ und der FCB. Konzentrieren wir uns auf die letzten 45 Jahre, sieht die Wirklichkeit anders aus: Zwischen 1966 und 1981 gewannen der FCB und der FCZ je sechs Titel. Prägende Grössen und gute Freunde waren: Köbi Kuhn und Fritz Künzli einerseits, Karli Odermatt und Ottmar Hitzfeld andererseits. Dann mussten beide Klubs untendurch. Bis sie wieder dominierten: In den vergangenen zehn Jahren ging der Meistertitel fünfmal an den FCB und dreimal an den FCZ.

Diese Rivalität ist einzigartig in der Schweiz. Zu vergleichen etwa mit jener in der Bundesliga der 1980er-Jahre, als Werder Bremen dreimal hinter Bayern Vizemeister und Bayern München bei drei der vier Bremer Meisterschaften Zweiter wurde. Ähnliches ist auch in England zu beobachten: Liverpool dominierte mit zehn Meisterschaften zwischen 1970 und 1990, während seither Manchester United nicht weniger als 12 der 20 möglichen Meistertitel holte.

Mehr als nur Sport

Damit haben wir erst die sportliche Seite der Rivalität des FCB und FCZ erklärt. Sie wird zusätzlich aufgeladen und verstärkt durch eine ähnliche Rivalität der beiden Städte in wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Dimensionen: Seit Jahrzehnten sind Zürich und Basel die beiden wichtigsten Städte der deutschen Schweiz. Basel war im 19. Jahrhundert die reichste Schweizer Stadt, Zürich wurde dies im 20. Jahrhundert.

Heute ist die Stadt Zürich doppelt so gross wie Basel. Zwar ist Basel wirtschaftlich das Tor zur Welt, Zürich generiert aber jeden zehnten Arbeitsplatz im Land. Basel ist vor allem ein Ort der Industrie, Zürich der Platz der Banken und Versicherungen, was ganz unterschiedliche Mentalitäten hervorbringt. Basel, so meinte einmal ein immer noch amtierender liberaler Regierungsrat, sei «glücklicherweise eine SVP-freie Zone». Zürich wurde zum Zentrum und – kantonal – zur Machtbastion genau dieser in Basel wenig geliebten SVP.

Basler Randständigkeit

Kulturell erfährt die Rivalität eine weitere Aufladung: Basel fühlt sich jenseits des Juras randständig und eingeengt zwischen den einst aufmüpfigen und separatistischen Baselbietern, den grossen Deutschen und dem Elsass: eine Stadt ohne ihr Land, ohne das Zürich nicht Zürich sein könnte und um das es Basel neidet.

Seinen Minderwertigkeitskomplex versucht Basel fussballerisch zu kompensieren. Eine Möglichkeit, die es aber während drei Jahrzehnten ausgerechnet den Fähigkeiten eines Deutschen aus dem Rheinland, Helmut Benthaus, und des Zürchers Christian Gross verdankt. Wobei der Kölner Englisch- und Sportlehrer Benthaus als Meistermacher zwischen 1965 und 1986 die Basler Fussballkultur in einem im schweizerischen Vergleich einzigartigen Sinn verändert hat: Fussball ist in Basel zu einer Sache aller geworden – aller Klassen, Stadtteile und Vororte, von Mann und Frau, Alt und Jung, Arm und Reich, links und rechts.

Zürichs mangelnde Mobilisation

Das neidet der FCZ seinem Rivalen: Ihm fehlt diese Verankerung in der ganzen Stadt, nicht nur diesseits «der Geleise». Zürich hat viel mehr Geld, doch das ist für den Sport schwieriger zu mobilisieren, und was da ist, muss geteilt werden – nicht nur, aber auch mit GC. Zürich pflegt viel mehr Identifikationspunkte als den Fussball.

Wir reden von einer mehrfach aufgeladenen, sich vielfach verstärkenden, ständigen, alten Rivalität also. Doch beide Städte und Klubs zehren davon, auch im positiven Sinn: Was wäre der eine ohne den anderen? Der FCZ und der FCB brauchen einander, um sie selbst bleiben zu können.

Ganz abgesehen davon, dass viele Basler den spielerischeren Fussball des FCZ unter Lucien Favre ebenso schätzten und insgeheim bewunderten wie die FCZler die erfolgreichen FCB-Gastspiele in Liverpool, Barcelona oder Bremen. Diese gemeinsame Leidenschaft ist die Basis dieser besonderen Rivalität und ihre Grenze zugleich.


Kontakt mit Andreas Gross



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