5. Mai 2011

Badische Zeitung

Trotz allen Unterschieden:
Beim Ausstieg sind wir aufeinander angewiesen



Von Andreas Gross

Die Sonne prägt die deutsche wie die schweizerische Politik seit langem, jedenfalls schon vor Fukushima, ja sogar vor Tschernobyl. Im eigentlichen Sinn ist die deutsche Energiepolitik seit etwa zehn Jahren freilich weiter: Es gibt pro Kopf und Dach nördlich des Rheins ungleich mehr Kollektoren, welche die Sonnenergie im Wärme oder Strom umwandeln, als auf der schweizerischen Seite «unseres» Flusses.

Doch im übertragenen Sinn, politästhetisch sozusagen, stehen beide seit langem im Zeichen der Sonne. Allerdings mit ganz unterschiedlicher Perspektive. In der schweizerischen Parteien-Landschaft – viele lieben hierzulande zwecks besserer Veranschaulichung aber zulasten der analytischen Schärfe die Naturalisierung ganz unnatürlicher Konstellationen und Objekte – scheint die Sonne seit Jahrzehnten im Partei Logo der SVP, der nationalkonservativen Schweizerischen Volkspartei. Sie firmiert auf der Europakarte der Neuen Rechten und Rechtspopulisten als starker eidgenössischer Spross mit direkter Regierungs-beteiligung, was so nur noch in Italien, indirekt aber auch in Dänemark und Holland der Fall ist.

In Deutschland prägt die Sonne bekanntlich in Form der Sonnenblume das Parteilogo der Grünen, der neuen baden-württembergischen Regierungspartei und dem politischen Antipoden der SVP. Was beiden Parteien aber allen Unterschieden zum Trotz gemeinsam ist: Die letzten 20 Jahre waren für beide zwei Jahrzehnte des fast stetigen Wachstums. Dass dieses mit Fukushima im Falle der deutschen Grünen noch einen kräftigen Schub erfuhr, überrascht weniger als die Tatsache, dass Fukushima das Wachstum der SVP, der schweizerischen Atompartei par excellence, nicht aufhalten konnte. Im Kanton Baselland, der etwa 20 km des Rheins, unmittelbar an die Stadt Basel angrenzend, mit Baden-Württemberg teilt, wurde die SVP anlässlich der gleichzeitig mit der Stuttgarter Wende stattfindenden kantonalen Wahlen erstmals die stärkste aller Parteien, in Zürich gewann sie zwei Wochen später auf der Landschaft auch noch dazu und für den Herbst, wenn die schweizerische Bundesversammlung (National- und Ständerat) erneuert werden, werden ihr neuerdings ein Anteil von 29,9 Prozent der Wählenden vorausgesagt – 12 % mehr als der weiter schrumpfenden, zweitgrössten SPS und mehr als doppelt so viel als den beiden historischen Parteien des schweizerischen Bürgertums, der stark erodierenden FDP und der CVP.

Trotz der unterschiedlichen Positionen der beiden grössten Parteien dies- und jenseits des Rheines ist die Grundstimmung der Bevölkerung Deutschlands und der Schweiz gegenüber der Atomkraft sehr ähnlich. An den Bau eines neuen AKWs glauben beide nicht mehr. Aus der Nuklearenergie aussteigen will sowohl in Deutschland als in der Schweiz eine Mehrheit der Bevölkerung.

Doch zum Ausdruck kommt diese ähnliche Stimmung in beiden Ländern noch unterschiedlich: Der schweizerische Bundesrat ist noch nicht so weit wie die Bundesregierung. Mit einer offiziellen Manifestation des Ausstiegswillens wird in Bern erst gerechnet; passieren soll dies in wenigen Wochen. Wie dies dann geschehen soll, da wird beidseits des Rheins in der jeweils dominierenden politischen Währung gestritten: In der Schweiz haben Grüne und SPS entsprechende parlamentarische Ausstiegsgesetze und zu deren Untermauerung auch entsprechende Volksinitiativen angekündigt, beziehungsweise bereits lanciert.

Solche Volksinitiativen («Strom ohne Atom») hat bereits vor 25 Jahren Tschernobyl ausgelöst, was immerhin dazu führte, dass in der Schweizer Bundesverfassung für die 1990er Jahre ein Bauverbot für neue Atomkraftwerke verankert wurde, welches freilich nach 2000 ebenfalls per Volksabstimmung nicht verlängert worden war. In Deutschland verhalf Tschernobyl den Grünen bekanntlich zum Durchbruch zur dritten Partei im Land, was sie vor 12 Jahren in die Bundesregierung führte und so zum gesetzlich festgehaltenen Atomausstieg – ein epochaler ökologischer Fortschritt, den die Rotgrünen in der Schweiz weder indirekt- noch direktdemokratisch zustande brachten. Immerhin steht das Ende des ältesten der fünf schweizerischen AKWs, desjenigen bei Mühleberg vor den Toren Berns, unmittelbar bevor, wohingegen für diejenigen an Rhein und Aare erst für die 2020er Jahre zu rechnen ist.

Wie auch immer. So wie in den 1970er Jahren fast gleichzeitig am Rhein, in Whyl D und Kaiseraugst CH, mit ersten grossen direkten Bürger-Mobilisationen ein badisches und ein aargauisches AKW verhindert werden konnten, wird uns auch der wirkliche Ausstieg aus dieser unmenschlichen, weil mit dem menschlichen Irrtum nicht vereinbaren, Technologie nur gemeinsam gelingen. Denn Katastrophen würden keine Landesgrenzen kennen. Und dies gilt auch für französische AKW, jene unmittelbar bei Fessenheim, uns und Euch gegenüber. So wie die Sonne für uns alle die gleiche ist.

*Andreas Gross ist im Dreieckland aufgewachsen, Politikwissenschaftler, seit 20 Jahren Nationalrat in Bern, Fraktionschef der SP im Europarat und leitet im jurassischen St-Ursanne eine Werkstatt für Direkte Demokratie.


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