28. Juni 2010

Seminar Université de Genève – Département Science politique et Parlementaires fédéraux pour la réforme du gouvernement

Reform Bundesrat:
13 (diskussions-)anstössige Thesen



Von Andreas Gross

Thema II: Composition
Les trois questions princiales:
2.1. Comment faire évoluer la composition du Conseil Fédéral?
2.2. Faut-il renforcer le rôle du Président?
2.3. Quelle place pour la concordance?


5 Thesen als grundlegende Vorbemerkungen

1. Von der Notwendigkeit von institutionellen Reformen im schweizerischen Bundesstaat war in den vergangenen 20 Jahren zwar oft die Rede, doch im Bundeshaus hat sich kaum jemand ernsthaft darum gekümmert. Zwischen 1991 und 1999 war die Angst zu dominant, angesichts der angesagten „Nachführung der Bundesverfassung“ zu weit zu gehen. Seit 2000 wurde die Krise der schweizerischen Demokratie, des Bundesrates und des Parlamentes zwar immer deutlicher, doch sie richtig erschliessen und entsprechende Reformen angehen wollte niemand so richtig. Zu gross war der Fokus vieler Verantwortlicher auf das unmittelbar eigene Interesse: Vielen Parteien geht es nur um die Mehrung, beziehungsweise Sicherung der eigenen Macht; der amtierende Bundesrat will keine Schmälerung seines persönlichen spezifischen Gewichtes, deshalb sprach er sich bis vor kurzem gegen jegliche Reform seiner selbst aus und will immer noch nicht über die Erhöhung der Zahl der Mitglieder sprechen.

2. Beim Design der staatlichen Institutionen haben wir neben ihrer Geschichte und dem politischen Kontext vor allem darauf zu achten, dass die Form ihrer Ausgestaltung dem Gemeinsinn und dem Allgemeininteresse beförderlich sein sollte sowie alle beteiligten Akteure veranlassen, beziehungsweise ermutigen sollte, den Gemeinsinn mehr zu berücksichtigen als Egoismen und Sonderinteressen.

3. Die Reform des schweizerischen Regierungssystems ist kein Nullsummenspiel. Das heisst die Stärkung der einen Institution muss nicht notwendigerweise die Schwächung einer anderen mit sich bringen. Ich bin überzeugt davon, dass wir sowohl die Handlungskraft des Bundesrates, des Parlamentes wie auch die Mitbestimmung der Stimmberechtigten ebenso wie die Rolle des Bundesgerichtes stärken können im Interesse einer starken Demokratie, die auf Machtteilung beruht und in der die Macht jeder Institution an jener der anderen ihre Grenzen findet.

4. Das Regierungsversagen während der vergangenen zwei Jahre war und ist in verschiedener Hinsicht für viele augenfällig. Deshalb hat die Forderung nach Volkswahl der Regierung dermassen Rückenwind. Sie wäre jedoch eine Reform in die falsche Richtung: Aus der Regierung würde noch mehr als heute eine Vereinigung von Departementchefs, die täglich für das eigene Wohl und nicht für alle arbeiten; aus der Direkten Demokratie würde eine plebiszitäre mit autoritären, populistischen Ministern und einem schwachen Parlament. Deshalb müssen die Gegner dieser schlechten Reform eigene bessere Reformvorschläge entwickeln. Es reicht insbesondere nicht, auf die Verantwortung der zu schwachen Personen zu verweisen und mit ihnen alle Probleme erklären zu wollen. Dies ist intellektuell zu schwach. Zu lange kriselt es schon im Bundesrat und es ist genau dieses System, das Personen mit Charakteren bevorzugt, deren Eigenschaften in der Regierung sich als zu schwach erweisen.

5. Die Direkte Demokratie möchte ich nicht nur nicht in Frage stellen, sondern stärken. Deshalb wird die schweizerische Regierungsform der Zukunft nach wie vor Besonderheiten auszeichnen, die sie von Regierung rein repräsentativer Demokratie unterscheidet. Beispielsweise ist eine klassisches Mehrheits-/Oppositionsmodell mit der Direkten Demokratie nicht vereinbar, die auf gesellschaftliche Lernprozesse hinführt, die auch Bundesräte einschliessen, die deswegen nicht zurücktreten müssen, nur weil sie eine Volksabstimmung verloren haben. Hingegen bin ich überzeugt, dass gewisse Elemente klassischer Regierungsmodelle, wie das parlamentarische Misstrauensvotum oder die Vertrauensfrage der Regierung an das Parlament mit der Direkten Demokratie vereinbar sind und eingeführt werden sollten.

Drei Zwischenbemerkungen

6. Die grosse Stärke des gegenwärtigen schweizerischen Regierungsmodells ist seine absolute Inklusivität (alle sind eingeschlossen), seine Fairness allen beteiligten Parteien gegenüber (jede kann periodisch den Vorsitz stellen) und seine grosse Integrationskraft. Seine Eigenheiten (Kollegium statt Individuen), Gleichwertigkeit statt zentrale und hierarchische Autorität) widersprechen aber den strukturellen (Entmachtung der Politik, Internationalisierung der Politik, enormer Anpassungsbedarf des Nationalstaates an europäisches und globales Umfeld) und konjunkturellen Tendenzen der vergangenen 25 Jahre (Personalisierung, Skandalisierung und effekthaschende Öffentlichkeit sowie Beschleunigung der Krisen und deren Dynamik). Gerade weil wir vom Reformbedarf des schweizerischen Regierungssystems überzeugt sind, müssen wir von seinen Stärken ausgehen. Diese Blickwinkel erlaubt uns zu verstehen, weshalb jegliche Reformen so viele und so widersprüchliche Widerstände provozieren.

7. Die schweizerische Konkordanz kann nicht auf eine mathematische Formel reduziert werden (Beispielsweise Parteienproporz). Seit 1848, aber ganz besonders seit 1959 bis etwa 1995 zeichnete sich immer auch durch eine relativ umfangreiche programmatische Gemeinsamkeit aus.

8. Unter den gegenwärtigen Bundesratsparteien hat sich der Vorrat an solchen programmatischen Gemeinsamkeiten praktisch vollständig erschöpft. Deshalb die These von der Notwendigkeit von der grossen, umfassenden Konkordanz zu einer reduzierten, politischeren Konkordanz zu kommen. Obwohl in einer Direkten Demokratie jede Vorlage ihre eigene Mehrheit finden muss, bedeutet dies nicht notwendigerweise, dass eine konkordante Regierung von vornherein alle politischen Kräfte umfassen muss. Auch eine kleinere Konkordanz kann überleben, solange sie immer wieder in Parlament und Volk überzeugende Mehrheiten findet – was derzeit auch der Regierung der grossen Konkordanz immer weniger möglich zu sein scheint (Siehe Volksentscheide im November 2009 und Februar 2010). Dies führt dann aber dazu, dass jene Partei(en), denen momentan der Wind der öffentlichen Gunst ins Gesicht bläst aus Verlustängsten sich jeglichen Reformen entgegensetzen.

Die vier Antworten auf die drei Fragen dieses Kapitels

9. So wie man die Friedenspolitik um des Friedens willens nicht den Militärs überlassen durfte, darf man das Regierungssystem und somit auch die Organisation der Demokratie nicht den Regierenden, Bundesrat und Bundesversammlung, überlassen. Wir können die Reform des Bundesrates im besonderen und des Regierungssystems nur dann wirklich im Sinne des Gemeinsinns und des Allgemeininteresses reformieren, wenn wir sie zum Gegenstand der öffentlichen Diskussion machen, an der jede Bürgerin und jeder Bürger mitzuwirken in der Lage ist. Nur mit einer grossen öffentlichen Debatte können wir die Sonderinteressen der einzelnen Bundesräte und ihrer Parteispitzen überwinden.

10. Die Grösse der Regierung hängt von den Aufgaben ab, deren Erfüllung man von einer Regierung erwartet. Ich gehöre zu denen, die überzeugt davon sind, dass in einer Direkten Demokratie ein Bundesrat über strategische Fähigkeiten wie auch über Kenntnisse im Kleinen und im Detail einzelner Bereiche verfügen muss, wenn er überzeugen will. Deshalb halte ich nichts von der aus der Privatwirtschaft übernommenen Idee der Trennung zwischen strategisch arbeitenden Bundesräten und operationell tätigen Ministern (Modell Auer). Zudem bin ich überzeugt davon, dass heute ein Bundesrat auch europäisch und global vernetzt und verankert sein muss, wenn er seine Arbeit zu Hause gut machen will. Dies alles führt mich zur These, dass wir mindestens 11 wenn nicht 13 Bundesräte benötigen in Zukunft.

11. Je mehr Bundesräte wir wollen und haben, umso mehr muss einer oder zwei unter ihnen eine etwas herausragende Stellung innehaben, von der aus er/sie koordinierend und zugreifend aus einem Kollektiv Einzelner ein Ganzes Vieler machen kann. Dazu bedarf er/sie besonderer Kompetenzen, die aber nicht so weit gehen können wie die Richtlinien- und Entlassungskompetenzen eines üblichen Regierungschefs. Einige der jetzigen Bundesratsparteien haben bereits gegenüber solchen kleinen Reformen aber Verlustängste, weil sie davon aus-gehen, so auf ewig vom Bundespräsidium ausgeschlossen zu werden.

12. Diese herausgehobene Stellung könnte durch die Wahl durch die Bundesversammlung auf zwei Jahre und in der Kompetenz liegen, als einziger Bundesrat für alle der Bundesversammlung gegenüber die Vertrauensfrage stellen zu dürfen, wenn er/sie den Eindruck hat, die Regierung als Ganzes könne die in sie gesetzten Erwartungen im Interesse des Landes nicht mehr erfüllen. Stellt der/die Bundespräsident/in die Vertrauensfrage und beantworten diese 2/3 der Bundesversammlung negativ, dann kommt es zu Neuwahlen des Bundesrates, die folgt man dem Beispiel Kanadas auch mit Neuwahlen des Parlamentes verknüpft sind. Wichtig ist im Interesse der kollegialen Zusammenarbeit, dass die Regierung nur als Ganzes in Frage gestellt werden kann und nicht ein einziges Regierungsmitglied.

13. Die Stellung der/des Bundespräsidenten könnte noch weiter dadurch gestärkt werden, dass die Bundesversammlung nur ihn/sie wählt im Wissen, welche Equipe er/sie als Bundesräte um sich scharen möchte. Diese Macht könnte dadurch gebrochen werden, in dem die Amtszeit des Bundespräsidenten nur zwei Jahre beträgt und diese/r nur einmal für weitere zwei Jahre wiedergewählt werden dürfte, bevor sie/er aus dem Bundesrat ausscheiden müsste.


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