27. Mai 2009

Vortrag AG vor der Neuen Helvetischen Gesellschaft NHG

Wir haben einen riesigen
Diskussions- und (Um-)Denkbedarf



Einige Thesen zum politischen Auftrag der Armee und für ein neues Verständnis einer neuen Sicherheitspolitik von National- und Europarat Andreas Gross (SP/ZH)

1.
Ich stehe zum Auftrag, den die Bundesverfassung an die Armee formuliert:
Art.57 «Bund und Kantone sorgen im Rahmen ihrer Zuständigkeiten für die Sicherheit des Landes und den Schutz der Bevölkerung.»
Art.58/2 «Die Armee dient der Kriegsverhinderung und trägt bei zur Erhaltung des Friedens; sie verteidigt das Land und seine Bevölkerung.»
Dass ich für die Abschaffung des allgemeinen Dienstobligatoriums bin, ändert daran nichts; über den politischen Auftrag an die Armee wäre gleichermassen nachzudenken und zu diskutieren.

2.
Entscheidend ist jetzt aber die Frage, wie kann ich am meisten für den Frieden und damit zur Sicherheit und zum Schutz der Schweizerinnen und Schweizer beitragen. Die Beantwortung dieser Frage führt uns zu dem, was heute Verteidigung heisst.

3.
Diese Frage können wir nur im Zusammenhang mit den Verfassungs­artikeln zur Aussenpolitik verstehen, in denen es auch um die Schaffung von Frieden geht. Dazu heisst es im Art.54/2: «Der Bund setzt sich ein für die Wahrung der Unabhängigkeit der Schweiz und für ihre Wohlfahrt; er trägt namentlich bei zur Linderung von Not und Armut in der Welt, zur Achtung der Menschenrechte und zur Förderung der Demokratie, zu einem friedlichen Zusammenleben der Völker sowie zur Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen.»

4.
Zur Konkretisierung des politischen Auftrages auf der Basis dieser Verfassungsartikel ist zur gegenwärtigen und für die absehbare Zukunft nicht in Frage gestellter sicherheitspolitischen Lage der Schweiz folgendes zu bedenken: Die Schweiz wird militärisch von keinem Staat bedroht. Sicherheit lässt sich in Europa nur zusammen mit anderen Staaten schaffen, deren sicherheitspolitische Lage im wesentlichen der schweizerischen ähnlich ist. Ganz im Sinne des Schlussberichtes der Kommission Brunner zur Zukunft der schweizerischen Sicherheitspolitik von vor zehn Jahren, «Sicherheit durch Kooperation.»
Dies heisst jedoch nicht, dass wir einen eigenständigen Beitrag zur Sicherheit in Europa leisten können, bzw. sollten – so wie wir dies auf Grund unserer eigenen Geschichte und spezifischen Erfahrungen für richtig halten.

5.
Die Bedeutung der Armee für die Sicherheit der Schweiz hat ganz wesentlich abgenommen ebenso wie der Raum, der für die Sicherheit der Schweiz relevant ist, sich massiv vergrössert und erweitert hat und heute sogar über den Kontinent hinaus geht.

6.
Unsere politische Aufmerksamkeit , ebenso wie die finanz- und bestandespolitischen Priorisierungen widersprechen diesen Erkenntnissen aber völlig: Sie sind immer noch viel zu armeelastig – und innerhalb der Armeedebatte werden Waffensysteme immer noch im Hinblick auf anachronistisch gewordene Schlachtpläne beschafft -, zu national und zu waffenstarrend. Daraus folgt beispielsweise als innen- und aussenpolitischer Auftrag: Wir haben einen enormen Ab- und Umrüstungsbedarf!

7.
Staaten, welche wirtschaftlich eng miteinander verflochten und voneinander abhängig sind, bedrohen sich militärisch nicht mehr. West- und Zentraleuropa beziehen 40% ihres Gases aus Russland, die 50 europäischen Staaten sind Russlands grösste Zulieferer, Abnehmer, Kunden und Finanzdienstleister.

8.
Je mehr die Menschen überall ihre Lebenschancen entfalten können und dabei erkennen, dass wir ihnen dabei behilflich, beziehungsweise dafür nützlich sind, desto sicherer können sich die Europäer und somit auch die Schweizer fühlen.

9.
Unsichere Räume befinden sich heute im europäischen Umfeld immer noch – wenn auch in unterschiedlichem Mass - auf dem Balkan, dem Kaukasus, Nordafrika, im Nahen Osten und Zentralasien. Dies hat jedoch weniger militärische Gründe und daraus erwachsen auch keine militärische Gefahren, sondern in diesen Räumen sind Demokratie, Menschenrechte, der Rechtsstaat und die soziale Marktwirtschaft noch zu wenig und unzureichend verankert. Mehr Sicherheit schaffen, heisst also diese Entwicklungen und die damit verbundenen Lernprozesse voranzubringen, was keine militärische, sondern eine aussen-, beziehungsweise weltinnenpolitische Aufgabe ist.

10.
Wo immer diese Aufgabe scheitert und/oder unzureichend angegangen wird, kann es zu Gewalt und gewaltsamen Übergriffen kommen und dies zu gewaltsam agierenden Gruppen führen. Daraus kann die Gefahr von Gewaltaktionen auf der ganzen Welt, vor allem in den Zentren der gut entwickelten Länder – also auch bei uns – erwachsen. Auch deswegen haben wir alles Interesse daran dies zu verhindern.

11.
Dies ist jedoch primär eine im oben genannten Sinne eine wirtschaftliche und weltinnenpolitische gemeinsame Aufgabe aller Europäer. Sekundär ist sie eine weltpolizeichliche Aufgabe unter der Hoheit der (reformierten) UNO. Eine solche Weltpolizei muss mit leichten Waffen, gepanzerten Fahrzeugen und anderen militärischen Mitteln ausgerüstet werden. Daran sollte sich auch schweizerisches Militär beteiligen, wobei deren Einsatz solange die entsprechenden Führungsorgane der Uno noch nicht reformiert sind, immer noch von den schweizerischen Bundesbehörden in Absprache mit europäischen und UN-Partner erfolgen sollte.

PS. Ich habe ganz bewusst in all diesen 11 Thesen auf das Wort Neutralität verzichtet. Keine der Thesen widerspricht aber dem Neutralitätsrecht oder der Neutralitätspolitik. Doch auch darüber wird wohl zu diskutieren sein.


Kontakt mit Andreas Gross



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