27. Aug. 2008

Russische Schweiz

Es war ein grosser Irrtum, nach dem Ende
des Kalten Krieges und der Auflösung der Sowjetunion nicht auch die Nato aufzulösen


Die Fragen stellte Herr Peske, Russische Schweiz

Russland (auch unter Putin im Jahre 2000) hat sich mindestens drei Mal geäussert, dass es sich in der Rolle des NATO-Mitglieds vorstellen kann. Wäre die NATO-Mitgliedschaft Russlands nicht die Lösung für viele Probleme und Spannungen auf dem Eurasischen Kontinent?

Einer der ganz grossen Irrtümer des Westens und der USA war es meiner Meinung nach, dass man nach dem Ende des Kalten Krieges und der Auflösung der Sowjetunion nicht auch die Nato aufgelöst hat. Ihr Zweck war ja primär die Verteidigung angesichts der UdSSR und des Warschauer Paktes. Wir hätten uns einiges ersparen können, wenn die westlichen Staatschefs 1991/92 diese Einsicht und Weisheit hätten aufbringen können und eine ganz neue kontinentale Friedens- und Sicherheitsstruktur aufgebaut hätten.

Die Integration Russlands in die Nato und deren entsprechende Weiterentwicklung könnte gleichsam eine zweitbeste Lösung sein. Wie viele Probleme und Spannungen wir damit hätten vermeiden können, müssen wir aber sehr sorgfältig prüfen. Generell habe ich den Eindruck, dass das Erbe des totalitären Denkens und der entsprechenden Strukturen in vielen Staaten und Gesellschaften viel grösser und intakter sind, als viele im Westen sich bewusst sind. So sind die demokratischen und rechtstaatlichen Einrichtungen auch in Russland noch schwach – dies sind auch Hindernisse in der Vertrauensbildung. Das fehlende Vertrauen ist wohl wiederum einer der Gründe, weshalb es bisher nicht zu den genannten beiden besseren Lösungen gekommen ist.

Warum hat sich Frau Merkel Ihrer Meinung nach so stark für Saakashvili gemacht?

Immerhin hat sie erst in Sotchi gegenüber dem russischen Präsidenten deutlich gemacht, was sie weshalb am Vormarsch der russischen Truppen über die Grenzen Südossetiens mit Recht kritisiert. Und in Tiblissi wird sie gegenüber Sakaschwili ganz gewiss deutlich gemacht haben, dass sie es unverständlich und falsch findet, dass Sakaschwili die russischen Soldaten in dem von diesen kontrollierten Teil Südossetiens angegriffen hat. Was sie öffentlich bezüglich der Offenheit der Nato für Georgien gesagt hat, war nichts anderes als die Beschlusslage nach dem Nato-Gipfel in Bukarest. Oft ist der öffentliche Eindruck ein anderer als die Realität; ich habe den Eindruck, Frau Merkel hat mehr geleistet und war ausgeglichener als Sarkozy, wurde von eher einseitigen Medien aber einseitiger vermittelt als sie war.

Sollte die Schweiz die Unabhängigkeit von Südossetien und Abchasien anerkennen?

Dazu ist es noch viel zu früh. Ich habe auch nicht den Eindruck, dass die Bevölkerungen der beiden Gebiete die gleichen Perspektiven haben. Richtig ist, dass sie beide noch nie ihr Schicksal entscheiden durften und von Stalin zu Georgien geschlagen wurden und Sakaschwili hat wenig gemacht, um sie von sich und der georgischen Staatszugehörigkeit wirklich zu überzeugen. Doch ich habe jetzt eher den Eindruck, dass Südossetien wohl wieder zu Nordossetien und Russland kommen möchte, während Abchasien eher mit der Selbständigkeit und Unabhängigkeit liebäugelt.

Wie sehen Sie die Lösungen für weitere ähnliche Konflikte in Transistrien und Nagorno-Karabach?

Wer diese Lösungen so einfach liefern könnte, bekäme bestimmt den Nobelpreis. Sicher ist, und das muss auch angesichts der Verletzungen der entsprechenden Verpflichtungen durch Georgien und Russland in unseren Reaktionen deutlich werden, dass es nicht akzeptabel ist, wenn irgendein beteiligter Staat glaubt, diese Konflikte militärisch lösen zu können. Diese Gefahr besteht durchaus, denn Aserbeidschan ist auch ausserordentlich reich geworden und rüstet seine Armee massiv auf und wird autoritär wie nationalistisch regiert. Wir können diese Konflikte nur partnerschaftlich und mit schwierigen Kompromissen lösen, wenn wir mit Russland zusammenarbeiten und dessen Regierung den Westen nicht als Bedrohung oder gar als Feind empfindet. Das ist wohl ganz grundsätzlich die ganz grosse Herausforderung der kommenden Jahre – ohne dass dies bedeutet, dass wir vor neoimperialen Absichten kapitulieren oder autokratische, menschenrechtsfeindliche Strukturen und Politiken nicht laut und deutlich kritisieren.

Gibt es für Sie in der russischen Regierung kompetente und verlässliche Partner, mit denen Sie (Europarat) die Kaukasus-Problematik thematisieren können.

Ganz gewiss. Mein Kollege aus der Duma, der Vorsitzende der dortigen aussenpolitischen Kommission, Konstantin Kosachew, ist beispielsweise so einer. Doch ist es schwierig einzuschätzen, wie viel wer in Moskau zu sagen hat, wie stark die restaurativen und neoimperialen Kräfte sind und wer sich ihnen wo und wie widersetzen kann.

Wann waren Sie zum letzten Mal in Tschetschenien. Und wann ist die nächste Visite geplant?

Ich war das letzte Mal im November 2006 dort und es war vor dem georgisch-russischen Krieg ein nächster Besuch im kommenden Herbst vorgesehen. Jetzt müssen wir wohl erst eine Faktfindingmission in Südossetien machen und können erst später in den Nordkaukasus. Obwohl auch dort die Probleme alles andere als ausgestanden sind und schon längst auch die Nachbargebiete, vor allem Inguschetien und Dagestan, erfasst haben. Und es geht auch dort um autokratische Herrscher, die ihre Macht nicht teilen, vielfältige Gesellschaften folglich desintegrieren und keine demokratischen Konfliktlösungsformen und echte Versöhnungsprozesse ermöglichen.


Kontakt mit Andreas Gross



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