4. Okt. 2008
Neue Zürcher Zeitung
Nachrichten International
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Strassburg laviert im georgischen Minenfeld -
Der Europarat fasst Russland mit Samthandschuhen an
Die Parlamentarische Versammlung des Europarats hat es in ihrer Debatte über die Lage im Kaukasus vermieden, Sanktionen gegen die russischen Abgeordneten zu ergreifen. Vielmehr wird die Schuld am Krieg in Georgien sorgfältig zwischen Moskau und Tbilissi verteilt.
kos. Strassburg, 3. Oktober
Die russischen Abgeordneten in der Parlamentarischen Versammlung des Europarats können recht zufrieden nach Hause reisen. Mehrere Tage hat die Versammlung in einem aufgeladenen Klima über den Georgien-Krieg debattiert, doch letztlich hat sie eine klare Schuldzuweisung an die Adresse Moskaus und Sanktionen gegen die 18-köpfige russische Delegation wie einen Entzug des Stimmrechts abgelehnt. Unklar bleibt nach der Marathondebatte vom Donnerstag, wie Strassburg reagieren wird, wenn Moskau zwei heikle Forderungen, wie zu vermuten ist, nicht erfüllen sollte, nämlich die Anerkennung Südossetiens und Abchasiens zur Wahrung der territorialen Integrität Georgiens zurückzunehmen und allen Vertriebenen die Rückkehr in ihre Heimat zu gestatten. Immerhin halten sich in Georgien über 60 000 Flüchtlinge aus Südossetien auf. Zwar sagt das Europarats-Parlament warnend, man könne im Bedarfsfall jederzeit erneut die Mandate einer Delegation überprüfen – doch das ist eine eher sanfte Drohung, die den Kreml nicht sonderlich beunruhigen dürfte.
«Wir dürfen nicht Partei ergreifen«
Auch das Verlangen nach einem Truppenrückzug auf die Linien vor Kriegsbeginn am 7. August, nach einer internationalen Untersuchung der immer noch umstrittenen Kriegsursachen sowie die Forderung nach voller Bewegungsfreiheit für internationale Beobachter auch in Abchasien und Südossetien zeichnen sich dadurch aus, dass damit alle Beteiligten leben können. Der belgische Christlichdemokrat Luc Van den Brande und der Schweizer Sozialdemokrat Andreas Gross gaben als Vorsitzende der beiden grossen Fraktionen die Richtung vor: «Beide Seiten sind für den Krieg verantwortlich» (Van den Brande) und «Wir dürfen nicht Partei ergreifen für eine Seite» (Gross). Nur so könne der Europarat den Dialog zwischen Georgien und Russland fördern.
Spiegel der Machtlosigkeit
Die gewaltige Aufregung im Vorfeld der Sitzungswoche – der russische Delegationsleiter Konstantin Kossatschow hatte im Falle von Sanktionen gegen seine Abgeordneten sogar mit dem Rückzug Moskaus aus dem Europarat gedroht – lässt die verabschiedete Resolution recht handzahm anmuten. Angesichts der tiefen Krise, in die der Krieg zwischen den beiden Mitgliedländern den Staatenbund gestürzt hat, ist indes nur eine zurückhaltende Linie mehrheitsfähig. Obendrein kann wohl nur so ein Eklat vermieden werden, da gegensätzliche Positionen unversöhnlich aufeinanderprallen und teilweise in wüste Beschimpfungen münden. Mehrfach bezichtigten sich Russen und Georgier gegenseitig der Lüge, des Betrugs, der Verbrechen, der Aggression. Kossatschow echauffierte sich bis zu dem gewagten Urteil, Moskau habe in Südossetien Minderheiten geschützt und insofern die Werte des Europarats verteidigt. Der Georgier Georg Targamadse hingegen warf Russland ethnische Säuberungen und die Besetzung eines Mitgliedlands des Europarats vor, und dieser müsse dies verdammen.
Der Beifall zeigte, dass die Sympathien überwiegend bei den Georgiern liegen, doch auch die Moskauer Vertreter bekamen nicht nur vereinzelt Applaus. Die Duma-Abgesandten scheinen sich im Übrigen von Beschlüssen des Europarats nicht beeindrucken zu lassen.
Die Forderung, die Anerkennung Südossetiens und Abchasiens zu annullieren, konterten die Russen Wiktor Pleskatschewski und Sergei Markow kühl damit, dass sie eine Präsenz auch von Vertretern dieser beiden Völker im Europarats-Parlament verlangten. Trocken proklamierte ihr Landsmann Waleri Fedorow, es gebe nun zwei neue Staaten in der Weltordnung. Das war starker Tabak für den Europarat, der die Grenzen Georgiens anerkannt hat. Doch in Strassburg liegt nicht viel Macht. «Wir brauchen mehr Sanktionsmöglichkeiten», klagte der Schwede Göran Lindblad, Vorsitzender des Politischen Ausschusses. Was denn passiere, wenn georgische Flüchtlinge nicht nach Südossetien zurückkehren dürften, wollte der Ukrainer Serhi Sobolew wissen – eine Antwort erhielt er nicht. Und leicht resigniert fragte der Italiener Andrea Rigoni: «Was kann Europa eigentlich tun, ausser noch eine Mission hinzuschicken?»
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