25. Juni 2008
Tages-Anzeiger,
Zürich
Ausland
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Migranten haben ein Recht auf Demokratie
In einer immer vielfältigeren, mobileren Welt dürfen Nationalstaaten ihre Einwanderer nicht länger von der demokratischen Mitsprache ausschliessen, sagt der Europarat.
Von Felix Maise
Rund 64 Millionen Migrantinnen und Migranten gibt es in Europa, was einem Bevölkerungsanteil von 8,8 Prozent entspricht – Tendenz steigend. In einer globalisierten Welt wird die Mobilität und die Vielfalt der Bevölkerung immer mehr eine Herausforderung für die europäischen Demokratien. Denn wer in einem anderen als seinem Heimatland lebt, hat Pech gehabt: Die demokratische Mitsprache in der neuen Heimat ist auch nach Jahren der Anwesenheit stark eingeschränkt, wenn nicht ganz unmöglich. Trotz Fortschritten bleiben Millionen von legal in einem anderen Land sesshaft gewordenen Menschen einzig auf Grund ihres Passes von der politischen Partizipation ausgeschlossen.
Für den Zürcher Europarats-Vizepräsident und SP-Nationalrat Andreas Gross ist das inakzeptabel und ein zunehmendes Problem für die europäischen Demokratien. In seinem Bericht zum Stand der Demokratie in Europa, den er heute im Strassburger Plenum vorstellt, erinnert er daran, dass es Kern der Demokratie sei, all jene, die von einer politischen Entscheidung betroffen sind, direkt oder indirekt an deren Zustandekommen zu beteiligen. «Es gehört zur Würde des Menschen, dass er nicht nur Objekt, sondern auch Subjekt der Gesellschaft ist, in der er lebt», sagt Gross. «Demokratie darf kein Privileg der Bürgerinnen und Bürger eines Landes sein, wie man das heute in vielen Ländern, speziell auch der Schweiz, meint. Politische Partizipation ist ein Menschenrecht».
Sein Bericht fordert deshalb, die aktuelle, unbefriedigende Situation einerseits durch eine Erleichterung der Einbürgerung zu verbessern und dabei insbesondere bestehende nationale Verbote der Doppelbürgerschaft aufzuheben. Andererseits will der Europarat die Ausgrenzung der Nichtbürger durch eine Ausdehnung der politischen Rechte, speziell des Stimm- und Wahlrechts für Nichtbürger bekämpfen. Kein Verständnis zeigt der Europarat dafür, dass dabei EU-Bürgerinnen und –Bürger gegenüber solchen aus Europaratsländern und erst recht gegenüber Aussereuropäern bevorzugt werden. Das letzte Ziel jeder Demokratie müsse sein, allen in ihr legal lebenden Menschen Chancengleichheit zu bieten und ihnen möglichst gleiche politische Rechte zu geben.
Eine Demokratie funktioniere nur dann gut, wenn sie die richtige Balance zwischen dem Respekt der Vielfalt von Menschen und Kulturen und der Notwendigkeit der Integration von Zuwanderern finde, sagt der Europarat. Zur Integration gehöre dabei natürlich mehr als die politische Partizipation. Migrantinnen und Migranten müssten umfassend am gesellschaftlichen Leben in ihren neuen Ländern teilnehmen können. Dazu müssten sie vor allem die Sprache vor Ort beherrschen und die Verfassungsgrundsätze respektieren, speziell die Menschenrechte und den Rechtsstaat. Als Beispiel für eine erfolgreiche Integrationspolitik, welche die Balance zwischen Vielfalt und Integration gefunden habe, nennt der Zürcher SP-Nationalrat das multikulturelle Modell des traditionellen Einwanderungslandes Kanada.
Gross’ Bericht zur Demokratie und Migration ist eine Ergänzung zur umfassenderen Analyse zum Stand der Demokratie in Europa, die er im März 2007 dem Europarat vorgelegt hatte. Bei all den unbestrittenen Fortschritten, die der Europarat bei der Verbreitung der Demokratie in den letzten Jahrzehnten erzielt habe, befinde sich diese heute in einer Krise, diagnostizierte er damals. Gefühle der Enttäuschung und ein Desinteresse an Politik insgesamt seien bei den Bürgerinnen und Bürgern Europas verbreitet. Den nationalen, politischen Institutionen, insbesondere auch den Parteien würden in einer globalisierten, zunehmend von Marktkräften bestimmten Welt immer weniger Menschen die Lösung der dringendsten, sozialen Probleme zutrauen.
«Demokratie ist deshalb aber noch lange kein Auslaufmodell, wie neuerdings konservative Denker behaupten», sagt Gross dazu. Es gelte vielmehr, die Demokratie transnational einzurichten und Bürgerinnen und Bürger vermehrt direkt einzubeziehen. Die nur repräsentative Demokratie der Parlamente in den meisten Ländern genüge dazu immer weniger. «Und wenn die Leute von ihrer Demokratie zuhause frustriert sind, können sie sich natürlich auch nicht für eine europäische Demokratie begeistern», schlägt Gross den Bogen zum irischen EU-Verfassungs-Nein.
Für ihn ist die direkte Demokratie der Schweiz deshalb durchaus ein Exportprodukt. «In Sachen Partizipation ihrer eigenen Bürgerinnen und Bürger sind wir Spitze. Bei der demokratischen Mitsprache von Zugewanderten und bei Einbürgerungen hingegen stehen die meisten Schweizer Kantone schlecht da», so der Zürcher Europaratsabgeordnete.
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