6. Juni 2008
Deutscher Bundestag
Verwaltung
Sprachendienst (WI1)
Bearbeitung: ORRn Meier
Dok. 11623
11. Juni 2008
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Besondere Herausforderungen für die europäischen Demokratien: Vielfalt und Migration
Europarat - Parlamentarische Versammlung
Politischer Ausschuss
Entwurf einer Entschließung und einer Empfehlung betr. den Stand der Demokratie in Europa. Besondere Herausforderungen für die europäischen Demokratien: Vielfalt und Migration
Berichterstatter: Andreas Gross, Schweiz
A. Entwurf einer Entschließung
1. Die Parlamentarische Versammlung verweist auf ihre Entschließung 1547 (2007) und ihre Empfehlung 1791 (2007) betr. die Lage der Menschenrechte und den Stand der Demokratie in Europa sowie ihre Empfehlung 1500 (2001) betr. die Teilnahme von Migranten und im Ausland ansässigen Personen am politischen Leben in den Mitgliedstaaten des Europarats und bekräftigt diese erneut.
2. Die Versammlung ist der Ansicht, dass Vielfalt ein ständiges Merkmal zeitgenössischer demokratischer Gesellschaften und die unvermeidliche Konsequenz der Modernisierung, Globalisierung und Liberalisierung der Wirtschaften und einer sich wandelnden Demographie ist.
3. Natur und Tempo des Wandels der kulturellen Vielfalt und die daraus resultierenden Folgen verändern sich ständig.
4. Migration ist eine wichtige Ursache dieser kulturellen Diversifizierung in den europäischen Nationalstaaten. Verlässlichen Schätzungen zufolge gibt es 64,1 Millionen Einwanderer in Europa, was 8,8% der Gesamtbevölkerung entspricht, und diese Zahl wächst ständig. Dies betrifft alle Mitgliedstaaten des Europarates.
5. Die Vielfalt stellt eine Herausforderung für unsere Demokratien dar. Die meisten von ihnen waren ursprünglich für homogenere Gesellschaften konzipiert. Heute sind sie nicht immer in der Lage, die aus Gesellschaften von größerer kultureller Vielfalt resultierenden Chancen zu berücksichtigen und zu nutzen. Diese Unzulänglichkeiten von Demokratien, die in extremen Fällen zu Gewalt führen können, sollten unverzüglich angegangen und behoben werden.
6. Die Versammlung ist sich der wichtigen Herausforderung bewusst, vor der die europäischen Demokratien stehen, wenn es darum geht, die Achtung der Vielfalt in der Gesellschaft und die Einbeziehung des demokratischen Staatswesens und des demokratischen Prozesses zu vereinbaren und gleichzeitig die volle Achtung der Rechte aller Menschen in einem Land sicherzustellen.
7. Sie begrüßt die beträchtlichen Fortschritte, die diesbezüglich erzielt wurden, sowie die Tatsache, dass sich die Lage von Migranten, was die Ausübung ihrer politischen Rechte anbelangt, in den letzten Jahren im Allgemeinen generell verbessert hat. Die Versammlung hofft, dass sich die Einbeziehung der Demokratien weiter verbessern wird.
8. Gleichzeitig erinnert die Versammlung daran, dass das Wesen der Demokratie darin besteht, dass alle, die von einer Entscheidung betroffen sind, mittelbar oder unmittelbar Teil des Entscheidungsprozesses sind. Andernfalls wird die Würde einer Person nicht respektiert. Daher ist ihre Repräsentativität von entscheidender Bedeutung, und es kann nicht hingenommen werden, dass große Bevölkerungsgruppen vom demokratischen Prozess ausgeschlossen sind. Diese Situation muss behoben werden, indem der Erwerb der Staatsbürgerschaft erleichtert wird oder die politischen Rechte, auch das Wahlrecht, auf Nichtstaatsbürger ausgeweitet werden.
9. Des Weiteren kann die Versammlung keine Rechtfertigung für die unterschiedliche Behandlung von Langzeitmigranten, die rechtmäßig in einem Land ansässig sind, allein aufgrund ihres Herkunftslands sehen. Es sollte zumindest keine Unterschiede zwischen Migranten geben, die Staatsbürger von Mitgliedstaaten des Europarates sind, gleich, ob ihr Herkunftsland Mitglied der Europäischen Union ist oder nicht.
10. Eines der wichtigsten Ziele eines jeden demokratischen Systems sollten gleiche Möglichkeiten zur Ausübung der politischen Rechte sein.
11. Weitere Besorgnisse betreffen die tatsächliche Ausübung von Rechten, wo diese gewährt wurden. Die geringe Beteiligung und Vertretung von Migranten und Menschen mit Migrationshintergrund im politischen Leben muss Fragen in Bezug auf die Hindernisse für ihre aktivere Beteiligung am demokratischen Prozess aufwerfen.
12. Das richtige Gleichgewicht zwischen der Achtung der Vielfalt und der Notwendigkeit der Integration ist für das richtige Funktionieren der Demokratie von wesentlicher Bedeutung. Integration, die grundsätzlich auf die Beseitigung von Ausschluss und Segregation in der Gesellschaft abzielt, muss mit der Achtung der Vielfalt, der unterschiedlichen Kulturen, Sprachen und Religionen einhergehen und die Menschenrechte in vollem Umfang achten. Assimilierung darf nicht mit Integration verwechselt werden und würde diese unterlaufen.
13. Gleichzeitig impliziert Integration jedoch ein gewisses Maß an Beteiligung an der Gesellschaft als Ganzes, einschließlich der Kenntnis der Sprache(n) des Aufenthaltslandes sowie die Achtung der verfassungsmäßigen Werte des Landes, vor allem die Achtung der Grundsätze der Menschenrechte und von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.
14. Integration ist sowohl eine notwendige Voraussetzung als auch ein Kriterium zur Bewertung der Qualität einer Demokratie.
15. Außerdem stellt die Versammlung fest, dass Demokratie auch eine wichtige Möglichkeit zur Erzielung einer gerechten Verteilung der Lebenschancen und für alle ist. Die Art und Weise, wie Demokratie jedoch derzeit praktiziert wird, bedeutet, dass sie ihre Versprechen nicht völlig einlösen kann. Der Weg zur Überwindung der Defizite des heutigen demokratischen Gemeinwesens besteht darin, es auf die länderübergreifende Ebene auszuweiten.
16. Die Versammlung erkennt an, dass unterschiedliche historische, geographische, gesellschaftliche und kulturelle Umstände die Form der Demokratie in verschiedenen Ländern und deshalb wohl auch ihr heutiges Bild beeinflusst haben dürften. Dies ist bei der Beurteilung der Qualität einer Demokratie zu berücksichtigen.
17. Zur Verbesserung der Einbeziehung aller in den demokratischen Prozess und der Qualität der Demokratie ruft die Versammlung die Mitgliedstaaten des Europarates auf,
im Hinblick auf die Erlangung der Staatsbürgerschaft
- den Erwerb der Staatsbürgerschaft durch eine Lockerung der Einbürgerungsanforderungen zu erleichtern, falls diese zu restriktiv sind;
- die Abschaffung der Einschränkungen im Hinblick auf die duale Staatsbürgerschaft in Erwägung zu ziehen, wenn sie in der nationalen Gesetzgebung existieren;
- in den Fällen, in denen eine duale Staatsbürgerschaft nicht möglich ist, zu erwägen, die Einschränkungen für Bürger, die auf ihre Staatsbürgerschaft verzichten, abzuschaffen, wenn sie in der nationalen Gesetzgebung existieren;
- das Europäische Übereinkommen über die Staatsangehörigkeit (SEV Nr. 166) zu unterzeichnen bzw. zu ratifizieren, sofern sie es noch nicht getan haben.
im Hinblick auf das Wahlrecht
- zumindest Staatsbürgern aus den Mitgliedstaaten des Europarates, die einen rechtmäßigen Wohnsitz in dem Land haben, bei kommunalen und regionalen Wahlen das aktive und passive Wahlrecht zu gewähren als ein erster Schritt, bevor allen rechtmäßig niedergelassenen Ausländern ungeachtet ihres Herkunftslandes diese Rechte eingeräumt werden;
im Hinblick auf andere politische Rechte
- Einschränkungen der Ausübung der individuellen Freiheiten von rechtmäßig in dem Land niedergelassenen Migranten, insbesondere die Vereinigungsfreiheit, sowie andere Einschränkungen zu beseitigen, selbst wenn diese im Einklang mit Artikel 16 der Europäischen Menschenrechtskonvention stehen, sofern sie in der nationalen Gesetzgebung existieren;
- die Streichung von Artikel 16 aus der Europäischen Menschenrechtskonvention zu unterstützen, der Einschränkungen der politischen Aktivität von Ausländern erlaubt;
- das Übereinkommen des Europarates über die Beteiligung von Ausländern am kommunalen öffentlichen Leben (SEV-Nr. 144) zu unterzeichnen bzw. zu ratifizieren, sofern sie es noch nicht getan haben.
im Hinblick auf die Registrierung von Migranten
- sicherzustellen, dass keine Behinderungen für die Registrierung von Migranten sowie ggf. für die Gewährung einer langfristigen Aufenthaltserlaubnis bestehen;
- auf europäischer Ebene zur Schaffung eines harmonisierten Systems zur Sammlung statistischer Daten über Migranten beizutragen.
18. Die Versammlung ruft die Mitgliedstaaten der Europäischen Union auf, die unterschiedliche Behandlung von Einwanderern aus Drittländern im Vergleich zu Einwanderern aus anderen Ländern der Europäischen Union in Bezug auf die Ausübung ihrer politischen Rechte erneut zu überdenken und zu beheben.
19. Die Versammlung ermutigt den Kongress der Gemeinden und Regionen Europas des Europarates, seine Aktivitäten auf dem Gebiet der Beteiligung von Ausländern an der kommunalen und regionalen Demokratie fortzusetzen und die Frage ihrer tatsächlichen politischen Beteiligung, einschließlich ihrer Vertretung auf der Ebene der kommunalen und regionalen Gewalt, zu untersuchen.
20. Die Versammlung ruft die zuständigen Ausschüsse der nationalen Parlamente auf, den Bericht 2008 betr. den Stand der Demokratie in Europa im Hinblick auf die Gewährleistung einer sachdienlichen Weiterverfolgung im Rahmen der nationalen Gesetze und Politiken zu prüfen.
B. Entwurf einer Empfehlung
1. Die Parlamentarische Versammlung verweist auf ihre Entschließung … (2008). Sie erinnert auch an ihre früheren Entschließungen und Empfehlungen, die die Frage von Demokratie, Migration sowie der politischen Beteiligung von Migranten behandelten.
2. Die Versammlung empfiehlt dem Ministerkomitee, die Mitgliedstaaten aufzurufen, die in Entschließung … (2008) aufgeworfenen Fragen auf angemessene Art und Weise weiterzuverfolgen und die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, die auf eine bessere Einbeziehung in die demokratischen Prozesse in ihrem jeweiligen Land abzielen.
3. Die Versammlung empfiehlt dem Ministerkomitee, unter Nutzung seiner einzigartigen Position als Forum für die paneuropäische Zusammenarbeit folgende Aktivitäten einzuleiten:
- eine Harmonisierung der Systeme zur Sammlung und Verarbeitung von Daten über Migranten unter den Mitgliedstaaten des Europarates;
- die Ausarbeitung von Leitlinien für die Registrierung und den Status von Ausländern, die seit vielen Jahren rechtmäßig in den Mitgliedstaaten des Europarates ansässig sind;
- die Förderung weniger restriktiver Bestimmungen für den Erwerb der Staatsbürgerschaft und die Harmonisierung der Einbürgerungssysteme, insbesondere, was die erforderliche Aufenthaltsdauer in einem Land angeht, um die Lage in den Mitgliedstaaten anzugleichen, sowie in Bezug auf die Kriterien zur Bestimmung des Integrationsgrades einer betreffenden Person;
- die Förderung einer Harmonisierung der Bestimmungen zum Wahlrecht und zu den politischen Rechten von Ausländern in den Mitgliedstaaten;
- die Förderung der Dezentralisierung der Integrationspolitiken, insbesondere im Hinblick auf Schule, Kultur und Kommunalverwaltung;
- Studien über die politische Beteiligung von Migranten und Menschen mit Migrationshintergrund auf den verschiedenen Ebenen der politischen Vertretung und des Entscheidungsprozesses;
- Aufforderung der Regierungen, dem Beispiel der holländischen Regierung zu folgen und nach den vom Internationalen Institut für Demokratie und Wahlhilfe (IDEA) erstellten Leitlinien eine Selbstbeurteilung der Qualität der Demokratie in ihren Staaten durchzuführen.
4. Außerdem ruft die Versammlung das Ministerkomitee auf, die erforderlichen Ressourcen bereitzustellen und – in Zusammenarbeit mit anderen Partnern – umfassenden Gebrauch von dem Forum für die Zukunft der Demokratie zu machen als einem Instrument zur weiteren Entwicklung der Demokratie in Europa, und eine seiner zukünftigen Sitzungen der Herausforderung zu widmen, die Migration für die demokratischen Systeme darstellt.
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