01. Mai 2008
VPOD-Dialog
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Zusammenkommen ohne sich selber zu verlieren -
Zur politischen Bedeutung der Organisation für die Freiheit
Von Andreas Gross
Andreas Gross ist Politikwissenschafter und Nationalrat (SP/Zürich).
Es ist kein Zufall, dass die gleiche Frau, die mal sagte, sie kenne nur Individuen, keine Gesellschaft, die gleiche war, die als Premierministerin die britischen Gewerkschaften zerstören wollte. Margret Thatcher, so hiess die Frau, kaum aus dem kleinbürgerlichen Gewerbe. Dort misstraut man allen Menschengruppen, die grösser sind als die Kleinfamilie. Entsprechend will man zwar möglichst viel Geld verdienen und reich werden, doch versteht sich als unpolitisch, das heisst man verzichtet darauf, mehr gestalten zu wollen als die Grösse seines Portemonnaies.
Das hat wenigstens eine gewisse Logik. Denn wer über kein Kapital verfügt, der kann nur dann frei sein und auf sein Leben so einwirken, dass es nicht zum Spielball Anderer wird, wenn er sich mit ähnlich Gesinnten zusammen tut. Am Arbeitsplatz nennt man dies bekanntlich die Organisation in einer Gewerkschaft. Die gemeinsame Vertretung gemeinsamer und mit der gemeinsamen Arbeit verbundener Anliegen liegt da im Vordergrund.
In einer freien Gesellschaft bedeutet dies ausserhalb der Arbeitswelt politisches Engagement. Und weil man alleine politisch nur verzweifeln kann, muss sich auch hier mit ähnlich Gesinnten zusammentun, wer etwas erreichen, beispielsweise Allgemeininteressen gegenüber mächtigen Einzelinteressen zum Durchbruch verhelfen will.
Weshalb gibt es aber im deutschschweizerischen Kleinbürgertum – und kleinbürgerlich sind in der Schweiz, geben wir es zu, fast alle – so tief sitzende Vorbehalte, eine mehr oder weniger deutliche Skepsis, ja Abwehr gegenüber allen Formen der Organisation, des Zusammenkommens und Zusammenwirkens? Ist es die Angst vor dem unbekannten Anderen, auf den man sich einlassen muss, wenn man gemeinsam handeln will? Oder ist es Ausdruck vergangener schlechter Erfahrungen in und mit Organisationen, in denen man als Einzelner oder als Einzelne unterging?
Traditionelle Linke pflegen in solchen Momenten einzuwerfen, die heutigen Menschen seien eben zu individualistisch. Ich widerspreche mit dem Argument, wer so rede, verkenne die soziale Kompetenz vieler Individualisten und verwechsle den mit Egoismus. Ich meine sogar, dass wer kein Individualist ist und kein Selbstwertgefühl entwickeln hat, sogar Mühe hat, den anderen den angemessenen Respekt entgegen zu bringen, was nicht anders bedeutet als die Wertschätzung des Anderen, die Anerkennung dessen Wertes.
Die grosse Herausforderung für alle unsere Organisationen ist es folglich, gemeinsam stark zu werden ohne den Einzelnen klein zu machen. Wir können sogar sagen, dass wir gemeinsam nicht stark werden können, wenn der Einzelne sich bei uns schwach fühlt. Individualistische Kollektive sind gefragt. Wie schön dies funktionieren kann, war vergangenen Spätsommer an den Demos der UNIA für einen GAV der Bauarbeiter zu spüren und vor einem Monat beim Streik der Eisenbähnler in Bellinzona. Wenn wir diese Kolleginnen und Kollegen als Vorbild nehmen, dann werden wir keine Mühe haben, neue und jüngere Menschen für das gewerkschaftliche und politische Engagement zu begeistern.
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Andreas Gross
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